Die Welt des Verbotenen erkunden

Erzählung zum Thema Jugend

von  uwesch

Dieser Text ist Teil der Serie  PHASEN DES LEBENS (Prosa)

Die Eltern hatten den Krieg überlebt. Der Vater wurde als junger Stabsarzt verpflichtet, an wechselnden Fronten unzählige Verwundete zu versorgen. Die schwangere Mutter flüchtete unmittelbar vor dem vernichtenden Bombenangriff auf Hamburg zu Verwandten nach Detmold. Dort wurde der Junge mithilfe eines Kaiserschnittes in die Welt geholt. Nach dem Krieg bekam der Vater nach vielen Bewerbungen endlich eine Stelle als Chirurg in Flensburg.
Der Junge war schon in frühen Jahren mehrmals von zuhause aus der häuslichen Enge ausgebüxt und wurde gesucht. Es gab viele Verbote. Die Kaimauer am Hafen durfte er auf keinen Fall betreten, um nicht ins Wasser zu fallen und zu ertrinken. Aber gerade das übte eine erhöhte Faszination auf ihn aus. Zu gern balancierte er auf dem schmalen Grat, der Land und Wasser trennte. Auch sollte er den Schrottplatz am Hafen, den er mit seinem Freund Latze oft aufsuchte, eigentlich nicht betreten. Natürlich hatten sie das trotzdem getan, um interessante Metallteile zu sammeln. Meist kam der Wärter und schimpfte, sodass sie schnell flüchten mussten.
Die Fischerboote dümpelten vor sich hin, angeleint zwischen Bojen und Stegen. Schwäne suchten ihren Weg, um Essbares für sich und die Jungtiere aufzutun. Er hatte immer etwas von seinem Schulbrot aufgehoben, um sie zu füttern. Manchmal saß er stundenlang dort. Es war seine aufregende Welt. Mutter schimpfte immer, wenn er zu spät nachhause kam. Von seinen Erkundungen erzählte er ihr natürlich nie die ganze Wahrheit.
Inzwischen kannte er viele verschiedene Plätze in der Stadt. Später erweiterte er seinen Horizont mit dem ersten Fahrrad. Im Sommer radelte er gern zum ehemaligen Flugplatz mit den vielen Bombenkratern, in denen er sich gut verstecken und in der Sonne onanieren konnte. Früh lernte er im Freibad Mürwik schwimmen und fuhr dann oft mit dem Rad nach Solitüde an der Förde zum Baden.
Mit der Zeit gewann er eine große Sicherheit in dieser Vielheit, auch weil das Entdeckte blieb. Seine Mutter war zwar ängstlich, aber hatte ihn machen lassen. Sie wusste, dass es keine neuen Erfahrungen ohne Risiko gibt.



Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text

Agnete (66)
(06.02.23, 11:08)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 06.02.23 um 12:49:
Die stilistisch ansprechenden Erinnerungen wirken sehr authentisch.

LG
Ekki

 uwesch antwortete darauf am 06.02.23 um 13:53:
Agnete:
Ja wir Jungs in der Nachkriegszeit sowieso. Spielzeug in dem Sinne gabs ja nicht.
LG und Dank für Deine Empfehlung von Uwe

Ekki:
Das sind sie in der Tat. Dazu kommt noch, dass wir Jungs eine Abkürzung über Bahngleise nehmen konnten, was natürlich strengstens verboten war. Ein Loch im Drahtzaun, das sicherlich von jugendlichen Rabauken geschnitten wurde, hat das dazu noch gefördert gefördert.
Der Flensburger Hafen war ein beliebtes Revier von uns Jungen, von den Eltern streng verboten. Spielplätze gab es zu der Zeit nicht.
Dank Dir für Deine Empfehlung und LG Uwe

Antwort geändert am 06.02.2023 um 13:57 Uhr

Antwort geändert am 06.02.2023 um 13:57 Uhr

Antwort geändert am 06.02.2023 um 13:58 Uhr
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram