Nonsens 8

Text zum Thema Psychologie

von  Augustus

Der Professor hatte sich telefonisch angemeldet heute zu kommen. Seine Stimme am Hörer klang etwas niedergedrückt, ja eigentlich zwanghaft, als würde sie Widerwillen handeln. Als er meine Tür gegen Frühmittag hereintrat, fand sich ein durchschnittlich großer Mann im Raum, alter Anfang 60. Er trug einen altmodischen Sakko, wie eine zweite Haut an sich. Wirres graues Haar säumte seinen Kopf. Ein unordentlicher Bart verkomplettierte sein Äußeres. Eine Brille saß auf dem Nasenbein und dahinter blickten ein paar blaue, verschwommene Augen mich an. Wie ein Rätsel stand er vor mir da. Eine gebückte Haltung verriet, dass der Mann viele Jahre und Stunden beim Schreiben verbracht hatte und die große Stirn und die tiefen, strengen Falten zwischen den Augen offenbarten, das ewige Wiederkäuen philosophischer Gedanken.

„Wie ich an ihnen erkennen kann“, sagte ich, „treffen wir beide gegen unseren Willen zusammen.“

„Das ist eine der Fähigkeiten der guten Baronesse“, erwiderte er. „Sie weiß allerdings nicht, dass mein Entschluss schon feststeht.“ 

„Was meinen sie?“ 

„Ich werde aus freien Stücken Suizid begehen. Ich habe das Recht an meinen Körper.

„Warum haben sie solange gewartet und warum tun sie es erst jetzt?“ 

„Das ist eine gute Frage, die nicht so leicht zu beantworten ist. Aber wenn ich ihnen eine Vorstellung geben darf, wie es sich damit verhält, so müssen sie sich einen langjährigen Prozess der Erkenntnis denken. Der letzte Gedanke eines Menschen, der sein Leben dem Denken gewidmet hat, stößt notwendigerweise an die Krone der Geistesgeschichte und höher geht es für ihn dann nicht mehr, er wird nur noch fallen können. Sie sind aber noch unverschämt jung, um das zu verstehen.“ 

Ich zuckte mit den Achseln. „Ich verstehe nicht viel von ihrer Arbeit und den hochfliegenden Gedanken“, sagte ich, „ich tue der Baronesse nur einen Gefallen.“ 

„Mich hält in dieser Welt nichts mehr“, sagte der Professor, „ich habe alles, aber auch wirklich alles durchdacht. Kant, Schopenhauer, Nietzsche, Hegel, Heideggar, Plato, Aristoteles, Horaz, Cicero, ja, ich kenne die Antike auswendig, das Mittelalter ausgezeichnet, den Aufstieg der katholischen Kirche  ist mir vertraut, der Islam bestens bekannt und all die anderen Mythen, Kulturen, Volksglauben fremder Völker. Jetzt bin ich müde davon geworden und will mich einfach schlafen legen, für immer.“ 

„Lassen sie uns die Modalitäten vorher klären, bevor wir anfangen.“ 

„Reichen ihnen 2.000 € die Stunde.“ 

„Oh, mein lieber Professor, ich danke ihnen für die Großzügigkeit, aber ich hätte ein weitaus interessanteres Angebot an sie zu richten.“

„Sie wollen verhandeln?“

„Ihr Fall ist sehr speziell. Ich würde sagen, er ist sogar eine Herausforderung. Eine Herausforderung, die mein Interesse geweckt hat.“ 

„Ich mache ihnen ein Angebot,“ sagte ich,“ ihr Leben gegen ihr komplettes Vermögen.“

„Sie haben Glück, ich bin kinderlos und nicht verheiratet. Ich lasse sie ins Testament schreiben, aber auch nur dann, sollten sie gewinnen; denn ich muss ja am Leben bleiben.“

„Sie versprechen, dass sie mir die Chance geben, ihr Leben zu retten, Professor.“ 

„Wie sie meinen. Wie ihnen das gelingen soll, entzieht sich meiner völligen Kenntnis.“ 

„Wir werden sehen, lieber Professor. Fange wir doch direkt an, verschwenden wir keine Zeit; denn sie haben anscheinend nur noch ganz wenig verfügbare Zeit.

 

Der Professor lag entspannt auf der Couch und verfolgte der schwingenden Nadel, die von links nach rechts sich bewegte. Er verfiel schnell der Hypnose und war nun im Zustand gelangt, mit dem ich arbeiten konnte. Es lag mir fern ihn über Blumenwiesen oder ihn durch einen Harem voller Jungfrauen zu führen oder ihm das Universum zu zeigen oder in seine Kindheit zurück zu kehren. Ich wusste nämlich ganz genau, was ich zu tun hatte. Ich brauchte nur Zeit und ein bissen Glück. 

 

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Vier Wochen später besuchte mich die Baronesse wieder. Hocherfreut berichtete sie mir vom Professor, dass er seinen Kopf in seine Arbeiten vertieft hat und dass er das mit einem noch nie dagewesenen Arbeitseifer tut. 

„Wie haben sie das angestellt, sie Wunderkind?“ 

„Eigentlich gehört es zu meinem Arbeitsgeheimnis, liebe Baronesse.“ Aber wenn sie hierüber stillschweigen bewahren, so sage ich es ihnen. Und kein Wort davon zum Professor.“

Aber natürlich, sie können mir vertrauen.“ 

„Als der Professor vom letzten Gedanken eines Menschen sprach, der sein Leben dem Denken gewidmet hat und der notwendigerweise an die Krone der Geistesgeschichte stoßen muss und höher es für ihn dann nicht mehr geht, kann er dann nur noch fallen; wurde mir klar, dass ich diesen Gedanken, wenn nicht löschen, so doch einsperren musste, den Professor also musste ich von diesem finalen Gedanken abschirmen. Ich brauchte Zeit diesen finalen Gedanken ausfindig zu machen und mit Glück habe ich ihn gefunden. Es war ein Risiko, ich hätte ihn auch nicht finden können und die Zeit wäre abgelaufen und der Professor wäre verloren gegangen. Jetzt, wo ich ihn gefunden hatte, habe ich den finalen Gedanken in seiner Seele vergraben, an einem Ort, den er ihn womöglich nicht finden wird können. Aber jetzt, wo ich von ihnen erfreut höre, liebe Baronesse, dass der Professor wieder mit vollem Eifer sich in die Arbeit gestürzt hat, so liegt die Sache anders als sie denken; in Wahrheit sucht er nach dem finalen Gedanken, den ich vor ihm versteckt habe.“    



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Kommentare zu diesem Text

Daniel (50)
(08.04.23, 00:07)
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