Der Unbekannte - Nonsens 21

Text zum Thema Psychologische Phänomene

von  Augustus

Eines Tages stand ich vor dem wohl schwierigsten Fall, von dem ich je Kenntnis nahm. Dieser Fall war so ungemein interessant, dass ich dem lieben Leser ihn nicht vorenthalten will. 

 

Ich hatte es mit ziemlich ungewöhnlichen ausgeprägten Grade an Merkwürdigkeiten zu tun, die ich bisher nicht für möglich gehalten habe, ja, mir nicht mal im Anfall höchster Fantasie hätte vorstellen können. Ich hatte es mit einer Person zu tun, die behauptete, mich seit Ewigkeiten zu kennen, während ich die Person nie bisher in meinem Leben gesehen hatte. 

 

Er lud sich quasi selbst ein, denn es suchte dringend Hilfe für das, was er an eigener Psyche erlebt habe.  Wir saßen in meiner Praxis uns gegenüber, ich mit einer Tasse Kaffee, und er wollte – trotz meines Angebots – nichts trinken. Ich machte ein Zeichen, dass ich so weit sei. Er dankte und fing an über seine sonderbaren Erlebnisse zu berichten, die ich aufmerksam verfolgte und hin und wieder an meiner Tasse nippte.  

 

An dem einen Tag geschah das Faszinierendste was mir je wiederfahren ist.“ sagte er und fuhr fort, Ich schlief nachts auf dem Rücken und träumte einen Traum, ohne den Traum zu sehen, also im Grunde schlief ich tief und fest. Unerwartet – wie aus dem Nichts! erwachte ich gegen 5 Uhr morgens und blickte vor mir, keine zwei Meter entfernt, eine sonderbare Erscheinung. Ich konnte mich dabei nicht bewegen, mein ganzer Körper war starr, wie festgefroren, unbeweglich. Ich sah mich im Raum um. Alles war da, alles war bekannt, ich war nicht in der Hölle oder im Himmel, ich war immer noch in meinem bekannten Schlafzimmer. Den Blick wendete ich zurück zur sonderbaren Erscheinung, einem kompakten Wetterphänomen. Es war aber so, dass ich mich durchaus von diesem Objekt beobachtet fühlte. In der nächsten Sekunde schoss das Objekt in mich hinein, sodass ich einen Druck auf der Brust spürte und sank so schnell in den Schlaf zurück, so schnell wie ich aufgewacht war.

 

Ich nippte an meiner Tasse und er fuhr fort. „Erstaunlicherweise konnte ich mich nach dem Aufwachen, drei Stunden später, an diese Begegnung so klar und deutlich erinnern, dass ich sie weder dem Traum noch Albtraum, sondern einer realen Begegnung zuordnete. Im nächsten Schritt recherchierte ich über dieses Phänomen und fand dazu medizinische Literatur, die für dieses Phänomen einen Namen hatte: Schlafparalyse. Nach einigen Abenden intensiver Lektüre verstand ich ziemlich gut, was mir die Tage vorher passiert war. Dennoch ließ mich der Gedanke nicht los, dass hinter diesem Phänomen etwas weitaus Grundlegendes sich verbarg, das nur innerhalb des schmalen Zeitfensters und unter bestimmter Konstellation der Psyche, ein Blick für eine Dimension gewährt wird, die uns Menschen sonst ständig verschlossen ist. Diese Dimension wollte ich verankern, wo genau sie ist. Ist sie in mir zu verorten oder woanders?

 

Ich hörte ihm fasziniert zu, hatte ich doch selbst von so einem Phänomen noch nie gehört.  

 

Es war kaum eine Woche vergangen,“ sagte er, als ich unter der Schlafparalyse wieder eine sonderbare Erscheinung sah. Eine Gestalt, die sich unter der Decke verbarg, deren Kopf die Decke am oberen Ende herauswölbte, sodass ich genau wusste, dass drunter jemand sein musste. Er oder sie versteckte sich drunter, wobei die erste Begegnung in mir eine spontane Angst hervorrief, weil plötzlich neben mir jemand unerwartet dastand. Sechs Sekunden später, ja als ich wohl mit den Augen Blinzeln musste, verschwand im Moment des Blinzelns die sonderbare Erscheinung vor meinem Augenschein. Nun lag ich da, konfrontiert mit einem Phänomen, das mir eigentlich völlig unbekannt war, trotz der vielfältigen Lektüre, die ich las. Ich war mir plötzlich Patient und Doktor zugleich. Als Doktor glaubte ich ganz genau was mit mir geschah, als Patient verstand ich dagegen nichts. Diese beiden Denkweisen standen wertgleich nebeneinander und wechselten sich ständig ab. Glaubte ich gerade etwas über das Phänomen verstanden zu haben, zweifelte ich im nächsten Moment daran. In diesem, ja nennen wir’s Zweispalt, suchte ich nach irgendeiner Lösung für die Effekte meiner Psyche, die das Unterbewusste dem Bewusstsein mitzuteilen versuchte. 

 

Ich schenkte mir frischen Kaffee in die Tassen ein und bat ihn mit seiner Geschichte fortzufahren. 

 

Er fuhr fort zu erzählen. „Allein die Vorstellung, einen Traum oder Bilder, die das Unterbewusste aus dem Inneren in die Außenwelt erschuf, in die reale Welt projizierte, und vom Beobachter selbst zu sehen war, wie gewöhnlich man einenBaum oder ein Tisch sieht, war mehr als befremdlich. Denn ich verstand die Welt so, dass sie nur nach dem „Einwegprinzip“ funktionierte, vom Außen nach Innen. Die Außenwelt dringt durch unsere Sinne ein und wird durch die Psyche verarbeitet. Der umgekehrte Weg ist gewöhnlich versperrt. Das Unterbewusste teilt sich höchstens in den Träumen dem Bewusstsein mit. Sofern, dachte ich, die Welt tatsächlich nur nach der „Einbahnstraße“ funktioniert, dann müssten die sonderbaren Erscheinungen real gewesen sein. Vom Außen nach Innen. Andernfalls, ist die Straße von beiden Seiten befahrbar.

 

Er blieb in dem Moment still und grübelte über etwas nach, vllt. über den Fortgang seiner Geschichte.  Als er dann fortfuhr.

 

Kehrten wir unser innerstes Unbewusstes nach Außen – denn es sieht so aus, als ob es möglich ist – so wäre es gleichfalls real, es hätte nur eine andere „sichtbare“ Gestalt, als es in unserem Unbewussten unsichtbar verblieben wäre. Alles ist demnach ein Bild. Jedes Gefühl drängt Bild zu werden. Jeder Gedanke drängt sich zu verbildlichen. Deshalb braucht der Gedanke Worte als Kleider und das Gefühl die Gegenstände in der Außenwelt, um sich bewusstbar zu machen. 

Er stoppte in dem Moment, ich nippte am Kaffee und er fuhr fort. 

„Ich hoffe, sie können mir irgendwie helfen.“ 

 

Als ich aufstand neuen Kaffee zu kochen und mich Richtung Herd bewegte, sagte ich, ohne ihn hinter mir zu sehen, 

„Ihre Geschichte ist höchst faszinierend, sie könnten mein schwierigster Fall werden.“  

Als ich mich umdrehte mit dem Kännchen Kaffee in der Hand, fand ich nur einen leeren Stuhl dort, wo diese Person eben noch saß.  



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