Nonsens 10

Bericht zum Thema Psychologische Phänomene

von  Augustus

Der Professor der Philosophie besuchte mich die Tage und äußerte gewisse Zweifel über seinen Verstand. Er sagte, er könne sich nicht mehr an bestimmte Dinge erinnern, die ihm aber sehr wichtig waren. 

„Sie wissen, mein lieber Professor, dass das menschliche Gedächtnis so gestickt ist, dass es viele Dinge wieder vergisst, sonst könnte es nichts mehr Neues aufnehmen.“

„Ja, ja, gewiss. Sie haben Recht. Nur kommt es mir so vor, als ob einige von mir mühsam erarbeitete tiefliegende Erkenntnisse des Geistes aus meinem Verstand verschwunden seien. Geradezu gelöscht.“

Zu ihrer eigenen Sicherheit, lieber Professor, dachte ich im Stillen für mich. 

„Sie müssen sich irren, lieber Professor, sie haben bloß in ihrem Zweifel das Bedürfnis wiederentdeckt, nach neuen Erkenntnissen zu forschen.“ sagte ich.

„Das muss es sein, woran ich gezweifelt habe!“ antwortete er. 

„Gewiss. Sie sind im Kern ein Wissenschaftler. Dieser muss ständig zweifeln. Der Zweifel ist‘s, der ihn antreibt.“

„Ich habe Sie in mein Testament berücksichtigt, “ sagte der Professor, „sie haben, ich weiß nicht wie, gewonnen. Ich lebe, wie sie sehen und arbeite wieder. Mein ganzes Vermögen habe ich ihnen überschreiben. Ein Villa im noblen Stadtviertel, Barvermögen, Aktien und vor allem eine mir ans Herz gewachsene Bibliothek mit über 10.000 Büchern. Ich vermache ihnen quasi mein Herz und meine Seele.“ 

„Nun, das ist sehr freundlich, lieber Professor. Aber ehe sie mich ins Testament berücksichtigen, berücksichtigen sie doch bitte folgende gemeinnützige Gesellschaft aus dem Kontinent Afrika.“

„Warum das?“ sagte er überrascht, „ich vermache es Ihnen. 

„Natürlich, ich weiß. Mir war nur nicht bewusst, dass sie über ein solch großes Vermögen verfügen und wenn mir das Erbe in späteren Jahren nach ihrem Ableben zufällt, so fallen für mich Steuern in sechsstelliger Höhe an.“ sagte ich bestimmt.

„Ich habe davon gehört.“     

„Und sicherlich haben sie auch gehört das gemeinnützige Gesellschaften von Erbschaften steuerbefreit sind.“ 

„Jetzt wo sie es sagen.“

„Gut, das wäre dann geklärt. Hier haben sie den Namen und Adresse der Gesellschaft aus Kongo.“  

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Meinem treuen Leser ist gewiss nicht entgangen, dass ich am Anfang meines Aufstiegs zum Hypnosetherapeuten an die hunderte Bewerbungen bei Nestle abgegeben hatte. Nun fragt er sich gewiss, wie ich das angestellt habe und warum ich dann plötzlich damit aufgehört habe. Der Leser muss sich nur vorstellen, dass ich mit jeder Jobzusage von Nestle angestellt war, durch einen verbindlichen Vertrag, der durch die Probezeit jederzeit ohne Grund gekündigt werden konnte. Durch meine krankheitsseitige Abwesenheit wurde mir zwar immer gekündigt, aber ich erhielt zumindest eine Vergütung für einen Monat oder zumindest für zwei Wochen, wenn Nestle schnell reagierte. Bei ungefähr 100 Zusagen und 100 Kündigungen darf sich der Leser die Gesamtsumme an Löhnen, die Nestele durch mich verloren hatte, ausdenken. Irgendwann nach gut 2 Jahren kam Nestle dahinter, dass alle diese 100 Mitarbeiter, die ich – verstellt - darstellte, dasselbe Bankkonto nutzten. Der Leser soll sich vorstellen, wie ich in zig Persönlichkeiten hineinschlüpfte und jede einzelne Rolle so souverän spielte, dass die Personalchefs nichts von dem Spiel merkten. Um immer effizienter bei solchen Gesprächen aufzutreten, lernte ich nebenbei die Grundlagen von 30 Fremdsprachen. Ich ließ mir Namen einfallen wie, Marques Gonzales, der spanisch sprechen kann und lange Haare trug (eine Perücke) oder Filippo Baltretini, der italienisch sprechen kann (mit Brille und vielen Muttermalen). James Stuart, der englisch sprechen kann und eleganten Schnurbart trug und sich edel nach der alten englischen Sitte anzuziehen wusste. Halit Attatürk, der türkisch sprechen konnte und mit einem dicken Schnurrbart ausgestattet war und eine Brille trug. Vladimir Juwitschenko, der russisch sprechen konnte und blondierte kurze Haare trug. Dabei ließ ich über meine natürlichen Zähne künstliche Zähne legen, die ich für die Stunde Vorstellungsgespräch mir anklebte. So hatte jede Figur ihre eigenen Zähne. Mit einem 3d-Druck aus China geht das problemlos. Zuhause übte ich vor dem Spiegel die Charakterrollen, um sie authentisch darstellen zu können. Die Personalchefs sahen stets eine eigenständige Person vor sich her. Einmal hatte ich – oder zwei meiner Figuren am selben Tag bei gleichen Personalchefs innerhalb von 2 Stunden ein Vorstellungsgespräch. Auf der Toilette wechselte ich zügig die Charaktere aus und war erfolgreich. Auch hier merkten die Entscheider nichts. 

Ich nahm für alle 100 Charaktere Adressen aus verschiedenen Ortschaften. Die Zusage sowie der Arbeitsvertrag wurden postalisch zugeschickt. Ich ließ an einem verlassenen Haus einen Briefkasten aufstellen und ließ einen Nachsendeauftrag bei der Post errichten. Dazu fand ich einen Asiaten, der eine kleine  Poststation in seinem Lebensmittelmarkt betrieb, der es so genau mit der Identifizierung nicht nahm, der ohne Ausweis Pro-forma-daten in den Computer eintippte. 
Alle Briefe, die von Nestele an die 100 verschiedene Adressen versendet wurden, wurden weitergeleitet zu dem Briefkasten am verlassenen Haus. Dort ließ 
ich die hundert Namen aufkleben. Eine  winzige Kamera installierte ich unweit des Briefkastens für eine ganz besondere Sache, die ich bald erzählen werde. Der Postbote, der vorbeikam, warf stets ohne Verdacht zu schöpfen, vielleicht mit etwas überraschter Miene, die Briefe ein. Die Kontoeröffnung war auch eine elegante Sache. Dazu warb ich einen Bettler, der halbwegs bei Sinnen war und ließ ihn bei einer Bank vorsprechen, er bedürfe eines Bankkontos, um Geld vom Sozialamt zu erhalten, das er nie beantragt hat. Bald kam er mit der Kontoeröffnung zurück. Die Bankkarten holte ich später beim ihm ab und gab ihm dafür großzügige Spende in Geld. Natürlich spielte ich da vor ihm eine Rolle. Ich gab mich als Don Quichotes aus und steckte ihm eine gedruckte Visitenkarte aus. Nun war der Plan vollendet und ich wartete auf Geldzahlungen von Nestle. Und tatsächlich flossen bald Unsummen auf das ein-und dasselbe Bankkonto. Nun wusste ich, dass die Bankautomaten nur so von Kameras bespickt sind. Ich ließ mir in Gedanken einen alten Herren vorstellen, der mit Brille, grauen Bart, grauen Schnurrbart, grauen langen Haaren, Hut, Gehstock, Kordelhose und einem alten karierten Sakko am Bankautomaten das Geld abholt. Dazu kaufte ich mir eine Maske, die ich über mein Gesicht fein aufklebte. Ich verwandelte mich in den alten Herren, in gebückter Haltung und zog ein Bein nach, während ich den Gehstock nutzte. Auch diese Verstellung glückte. Ich hob das Geld ohne Probleme ab.

Doch eines Tages sollte ich über die kleine Kamera in der Nähe des Briefkastens am verlassenen Haus, das immer noch verlassen war, beobachten, wie ein Trupp Polizisten und Männer in Zivilkleidung den Briefkasten beschlagnahmte. Ich vermutete das BKA dahinter. Ein kleiner Mann, nicht mehr als 1,62 in Zivil, gut gekleidet, kurzes Haar an den Seiten, oben bissel buschig, mit Brille und  kasachisch aussehendem Gesicht, das sich mir eingebrannt hatte, nahm ein paar Briefe in die Hand, beschaute sie, erhob den Kopf und sah sich um. Nach 30 Minuten waren sie weg. Damit wurde mir klar, dass Nestle das BKA eingeschaltet hat und dass sie bald das Bankkonto sperren und der Sache nachgehen werden. 

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Nach dem etwa gut 1 Monat vergangen war, veröffentliche das BKA in allerlei Zeitungen Fotos von dem Verbrecher „alten ergrauten Herren mit Gehstock“ mit dem mutmaßlichen Namen „Don Quichote“, der wegen Verbrechen gesucht wird. Das BKA bittet um Hinweise.  

Nestle setzte für die Verhaftung des Verbrechers eine Belohnung von 50.000 Euro aus, später nach 5 Jahren sogar um 70.000 Euro. 

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Rückwirkend betrachtet blieb sowohl das BKA als auch Nestle erfolglos. Die heisse Spur, die sie zuvor verfolgten und nach der sie suchten, erfror und erlosch. Ich bewarb mich nie wieder bei Nestle. Das Bankkonto wurde gesperrt. Der „alte Herr“ trat nie mehr in Erscheinung. Der Bettler wurde nach Verhör vom BKA bald unschuldig freigelassen. Er gab ihnen das Kärtchen „Don Quichote“ und er beschrieb halbwegs den „alten Herren“. Nestle und BKA kämpfte in dem Fall tatsächlich gegen Windmühlen – vergebens.



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Kommentare zu diesem Text

Kämpfernatur (31)
(11.04.23, 17:12)
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 Augustus meinte dazu am 11.04.23 um 22:21:
vielleicht haben wir denselben Humor.

 Dieter_Rotmund (11.04.23, 19:26)
überschreiben -> überschrieben.

 Augustus antwortete darauf am 11.04.23 um 22:21:
Wie aufmerksam!

 Terminator (11.04.23, 21:49)
Ohne Nonsens 9
kann Nonsens 10 kein`Leser `freu`n.

 Augustus schrieb daraufhin am 11.04.23 um 22:20:
Ja, bin etwas durcheinander gekommen. Hah!

 A.Reditus äußerte darauf am 12.04.23 um 07:26:
Die ursprüngliche Antwort wurde am 12.04.2023 um 07:26 Uhr wieder zurückgezogen.

 A.Reditus (12.04.23, 07:26)
Liest sich flott weg, ist spielerisch und fantasievoll und dann spielt es auch keine Rolle, wie realistisch es ist. Insofern uneingeschränktes Lob.

Nicht loben kann ich, dass der Autor sich für einen Tippfehler bedankt, den aber nicht korrigiert. Ich werde mir daher nicht die Mühe machen, die Fehler in Kompaniestärke aufzuzählen, die den Text an den Rand der Ungenießbarkeit bringen.

 Dieter_Rotmund ergänzte dazu am 12.04.23 um 09:43:
Nestle -> Nestlé ...und schon gar nicht Nestele.

 Don Quichote: Da sind mehrere Schreibweisen korrekt, diese gehört nicht dazu

 Dieter_Rotmund (12.04.23, 09:44)
Der Erzähler wirkt m.E. etwas zu selbstsicher, was ihn zunehmend unsympathisch erscheinen lässt. Dennoch eine runde Geschichte, geschmeidig erzählt.
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