Treppenhaus

Kurzprosa

von  BeBa

Irgendwann ist jeder dran! Die Worte meines Vermieters, als er mir beim Einzug die Mietbedingungen erklärte. Mich kümmerte es damals wenig. Jung genoss ich das Glück, diese vier Wände gefunden zu haben und kam dann meist erst nachts heim. Von den Nachbarn bekam ich kaum etwas mit. Manchmal stand der Sperrmüll einer Wohnungsauflösung vor dem Haus und wenige Tage später fuhr morgens ein Möbelwagen vor. So gingen und kamen die Mieter.
Ich wurde älter und begann, die Abende daheim zu verbringen. Fernsehen und Kühlschrank ersetzten Kinos und Bars.
„Gesettelt“ begegnete ich dann häufiger meinen Nachbarn, plauderte über dies und das im Treppenhaus und war bald auf dem Laufenden, was im Haus geschah, wer wo wohnte und was es sonst an Wissenswertem von den anderen Mietern gab.
Dann kam die Rente. Und ich erwischte mich immer öfter dabei, im Treppenhaus meine Schritte bewusst zu verlangsamen, in der Hoffnung, jemanden zu einem kurzen Gespräch zu finden. Die jungen Leute traf man nie, denn sie eilten morgens ins Leben und kamen erst spät abends oder gar nachts heim. Manchmal flackerte sie auf, die Erinnerung an frühere Zeiten in diesem Haus.
Ich traf nun die Älteren und Alten. Für sie waren die Treppen eine Quälerei und sie waren froh, ein paar Minuten mit mir dazustehen, Atem zu schöpfen und etwas zu plaudern. Doch kaum hatte ich mich mit einem angefreundet, war es bald schon wieder vorbei. Einer nach dem anderen verstarb.
Zuletzt war nur der ehemalige Lehrer im Souterrain älter als ich. Im Treppenhaus erzählte er mir die tollsten Geschichten aus seiner Schulkarriere. Wenn ich ihn traf, war er mir wie ein Freund. Unsere Gespräche auf der Treppe zogen sich immer länger hin.  Die anderen Mieter störten sich nicht daran, dass wir im Weg standen. Sie grüßten meinen Bekannten besonders freundlich und ihr mitleidiger Blick für ihn entging mir nicht. Er war stets blass und außer Atem und ich wusste, was sie dachten.
Ich selbst hoffte, dass mein später Freund noch eine Weile leben würde. Ihn, den Letzten der Alten wollte ich nicht so schnell verlieren.
Doch heute Morgen, ich war auf dem Weg zu einem Arzttermin (das Herz macht zunehmend Probleme!), trugen zwei geschniegelte Herren einen Sarg aus der Wohnung meines letzten Freundes. Ich erschrak, verließ aber stumm das Haus. Der Arzt untersuchte mich lang und sprach von einem normalen Alterungsproblem. Ich glaube ihm nicht. Und jetzt, ich komme heim, hält mir eine jüngere Nachbarin die Haustür auf. Hinter ihrem Lächeln versteckt sich dieser mitleidige Blick.


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Kommentare zu diesem Text


 Quoth (05.06.23, 11:27)
Tröstlich an Deinem Text ist die Vorstellung, dass es noch Mietverhältnisse geben kann, die Jahrzehnte überdauern. Da kann das Miethaus mit seinem Treppenhaus dann zur Welt werden, und am Schluss weiß der Mieter: Jetzt ist er der älteste. Jetzt ist er als nächster dran!
Aber starb denn nie auch mal eine(r) von den jüngeren?
Schöner Text! Gruß Quoth

 BeBa meinte dazu am 07.06.23 um 10:22:
Hallo Quoth,

ich danke dir für dein Interesse. Das Sterben Jüngerer ist dem Prot anscheinend entgangen.

LG
BeBa

Antwort geändert am 07.06.2023 um 22:21 Uhr

 Quoth antwortete darauf am 07.06.23 um 17:53:
Nein, es wäre eine andere Geschichte gewesen, lieber Beba! Zum vertikalen Treppenhaus passt es, dass es nach der Alterspyramide verläuft, eigentlich müssten die Ältesten am weitesten oben wohnen ...  :) Gruß Quoth

 BeBa schrieb daraufhin am 07.06.23 um 22:28:
Stimmt, Quoth. Aber ich möchte im Alter nicht mehr so viele Treppen hochlaufen. Und selbst wenn es einen Aufzug gibt, ist der doch eh ständig kaputt. Das muss zumindest meine 84jährige Mutter mehrmals im Jahr erleben. Und sie lebt in luftiger Höhe im 7. Stock. Tja, sie ist zum Glück noch fit, hatte ihr Leben lang Hunde und war so immer in Bewegung.

LG
BeBa

 Pearl (05.06.23, 11:29)
Oh, das erinnert mich an B. Mein Lieblingsnachbar, ein Wiener Original, war er, auch wenn er sagte, dass er zu den "Gscherten" gehört. Wir haben oft geplaudert, manchmal in seiner Wohnung getrunken. Er war interessant, wenn auch politisch ganz anders gesinnt...
Er war Koch/Kellner gewesen, früher, wie er erzählte und Zuhälter. Ob das stimmt, weiß ich nicht. Doch er war (zu) sensibel, mit einem Herzen, so Gold, wie es auch seine Kette mit einem Steinbock- (sein Sternzeichen) anhänger war. Ich vermisse ihn im Haus, und kann deine Erzählung darum gut nachempfinden.

Liebe Grüße,

Pearl

 BeBa äußerte darauf am 07.06.23 um 10:24:
Danke dir, Pearl. Auch dafür, dass du deine Erinnerung hier mit dem Text teilst.

LG
BeBa

 GastIltis (05.06.23, 13:56)
Hallo BeBa,
solange nicht einer von den Nachbarn vor dir nieder kniet und dir huldigt, ist doch die Welt noch in Ordnung. Oder?
Einfache Grüße von Gil.

 BeBa ergänzte dazu am 07.06.23 um 10:25:
Das ist, soweit ich mich erinnere, tatsächlich noch nie geschehen. Aber was nicht ist, kann ja ... aber vermutlich nicht.
Und so bleibt die Welt in Ordnung.

LG
GiL
Daniel (50)
(05.06.23, 16:24)
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 BeBa meinte dazu am 07.06.23 um 10:26:
Danke dir, Daniel. Ja, seine Treppenausgesellschaft kann man sich nicht aussuchen. ;) 

LG
BeBa
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