Lob des Hasses

Manifest zum Thema Liebe, lieben

von  Terminator

Hasst!!! 


Und ihr werdet sehen, dieser Ein-Wort-Aufruf hätte genügt. Ihr hättet Zeit gespart. Aber lest ruhig weiter, wenn ihr die lange Version wollt. Vorwarnung: ihr werdet nichts anderes zu lesen bekommen, als was ihr eh schon fühlt.


Also gut. Hass ist leicht, Hass ist bequem. Und das Leben ist hart. Hat man nicht das Recht auf ein bisschen Bequemlichkeit? Mit Hass lässt sich das eigene Scheitern rechtfertigen: gib dem anderen die Schuld und hasse ihn! Der Hass rettet dich vor dem Allerpeinlichsten: hasse, und du musst deinen Neid nicht zugeben.


Projiziere deine Fehler auf den anderen und hasse ihn! Projiziere das Unrecht, das du ihm getan hast; missverstehe absichtlich, um zu hassen! Und du stehst vor deinem narzissischen Spiegel immer gut da. Der andere ist automatisch das Arschloch. Sei ein Parasit, und der Hass redet dir ein, du seist ein aufopferungsvoller Geber. Sei ein fauler Sack, und der Hass sagt dir, dass das was du verbockt, vergrault und versoffen hast, dir von den bösen Denen-da weggenommen wurde.


Hass rettet dein positives Selbstbild, Hass rechtfertigt alles. Hasse, und du brauchst weder Empathie noch Wissen. Wer hasst, ist automatisch der Gute. Hass ist der gute Hörnerengel auf deiner Schulter: Du bist unredlich? Nein, er ist der Lügner! Du hast verraten? Er ist der Verräter! Du bist ein unattraktives Arschloch? Nein, sie ist die Schlampe! Hass ist die nützlichste Empfindung des menschlichen Geistes.


Und Liebe? Liebe macht verletzlich. Liebe macht selbstkritisch. Welcher Masochist hat sie sich ausgedacht? Liebe nimmt dir den Stolz, sie macht demütig. Liebe lässt dich ständig an dir selbst zweifeln. Liebe ist verdammtes Selbst-Gaslighting, eine psychische Krankheit, eine selbstzerstörerische Perversion des Geistes.


Ich beobachte aus eigener Betrachtung: ich liebe und fühle mich überhaupt nicht toll. Ich habe so viele Fehler. Ich bin vielleicht ein guter Mensch, aber lange nicht so gut, wie die Liebe es von mir fordert. Liebe lässt das Damoklesschwert des Scheiterns über mir schwingen. Liebe macht mir Angst. Ich fühle mich klein, unsicher, schutzlos. Ich zweifle an meinem Selbstwert, ich sehe keinen perfekten Superman im Spiegel, der alles kann und immer recht hat. Ich sehe einen kleinen unscheinbaren einsamen Menschen. Und Liebe entreißt mir auch noch das Recht, mich dafür selbst zu bemitleiden.


Ich bin redlich, aber redlich genug? Ich bin großzügig, aber reicht das? Ich bin gut, aber kann mich dafür nicht loben: ich sehe es lediglich als meine Pflicht. Und wäre ich perfekt, hätte ich nicht das Recht, Gegeliebe zu erwarten. Liebe lässt sich nicht verdienen, nicht erbetteln, nicht erzwingen, nicht kaufen, nicht stehlen. Liebe ist einsam und friert, Hass brennt und genügt sich selbst.


Liebe ist ungemütlich, ungeheuerlich. Liebe ist fern, unerreichbar. Liebe ist wie der Tod, nur nicht einmal, sondern immer wieder. Liebe macht so wehrlos, so verzweifelt... und so dankbar. Liebe hat nichts mit diesem gefälligen allversöhnenden Plüschwort Liebe zu tun, Liebe ist hart, anstrengend und belohnt nicht. In der Liebe gibt es keine Garantie. Wer liebt, ist immer verantwortlich, auch wenn der andere schuld ist. Wer liebt, ist sich selbst nie gut genug, und glaubt noch weniger, dem anderen gut genug zu sein.


Liebe ist unzumutbare Leistung. Liebe hat nichts mit einem Rechtsstaat zu tun. Liebe ist diskriminierend. Lernt also aus meinen Fehlern, denn ich, armer Narr, bin unbelehrbar! Das Leben ist schon so hart genug, und dann noch diese unnötige Selbstqual: dumm, naiv, idealistisch. Hass ist schlau, Hass ist realistisch. Und wir sind doch kluge Menschen! Hass schmeichelt unserer Klugheit, Liebe beschämt sie. Hass ist ökonomisch sinnvoll, Liebe ruiniert. Hass macht frei, Liebe bindet. 


Und Liebe soll die Antwort sein? Nein, Liebe ist die größte aller Fragen.



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Kommentare zu diesem Text


 AchterZwerg (13.07.23, 06:58)
Die volle Punktzahl erreicht!

Mit einer 10 wedelnd:
der8.

Nietzsche schreibt im Ursprung der Religionen ebenfalls ungemein Interessantes über den Hass. Beispielsweise:

Nächsten-Hass. — Gesetzt, wir empfänden den Anderen so, wie er sich selber empfindet — Das, was Schopenhauer Mitleid nennt und was richtiger Ein-Leid, Einleidigkeit hieße —, so würden wir ihn hassen müssen, wenn er sich selber, gleich Pascal, hassenswert findet. Und so empfand wohl auch Pascal im Ganzen gegen die Menschen, und ebenso das alte Christentum, das man, unter Nero, des odium generis humani „überführte“, wie Tacitus meldet.
 

 

Kommentar geändert am 13.07.2023 um 18:07 Uhr

 Terminator meinte dazu am 13.07.23 um 22:39:
Sobald die Liebe ihr Objekt berührt, wird sie zu Hass. So dünkt mich angesichts des Nietzsche-Spruchs.

 Graeculus antwortete darauf am 13.07.23 um 23:24:
Darf ich fragen, 8. Zwerg, was das für ein Text von Nietzsche ist? "Ursprung der Religionen" ist keiner seiner Buchtitel, und die Links funktionieren (bei mir) nicht.

 AchterZwerg schrieb daraufhin am 14.07.23 um 07:04:
Da habe ich wohl nicht richtig aufgepasst ...
Tut mir Leid. Beziehe mich auf:

https://www.textlog.de/nietzsche/schriften/morgenroete/nachtraegliche-vernuenftigkeit

(63)

LG
Taina (39)
(13.07.23, 07:53)
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 Terminator äußerte darauf am 13.07.23 um 22:42:
Hier geht es nicht um Liebe oder Hass als Gefühl, sondern als Handlungsmotivationen, als Zugangsweisen zur Welt.

Als Gefühl verstanden, entsteht Liebe dann aus dem Gefühl der Allmacht? Aus dem Bewusstsein der Freiheit, Erhabenheit (die Welt/der andere kann mir eh nichts tun, ich bin zu stark bzw. schon gerettet/erlöst)?
Taina (39) ergänzte dazu am 14.07.23 um 01:17:
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 Terminator meinte dazu am 14.07.23 um 01:27:
Hass ist ein Gefühl, welches Handlungen motiviert
Hass allein motiviert nicht. Wut oder ähnliches muss dazukommen.
Taina (39) meinte dazu am 14.07.23 um 07:45:
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 Saira (13.07.23, 09:28)
ohne viele Worte, denn deine Analyse spricht für sich!

LG
Sigrun

 Terminator meinte dazu am 13.07.23 um 22:44:
Analysiert habe ich gerade nicht, sondern aus dem Herzen gesprochen. Aber reicht das? Ich bin mir gerade nicht sicher, ob Sprache (ob der Logik oder des Herzens) überhaupt in der Lage ist, etwas auszudrücken, das wirklich von Bedeutung ist.
Taina (39) meinte dazu am 14.07.23 um 07:30:
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 Tula (13.07.23, 23:18)
Hallo
Ich denke, der Text geht den psychologischen Ursachen des Hasses treffend auf den Grund.
Volle Punktzahl auch von mir!

LG
Tula

 Terminator meinte dazu am 13.07.23 um 23:25:
Ich denke, Hass ist zu 50% Neidabwehr (den eigenen Neid nicht wahrhaben wollen) und zu 50% alles andere.
Taina (39) meinte dazu am 14.07.23 um 07:40:
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 Graeculus (13.07.23, 23:22)
Na, da wollte ich doch gerade einen Einwand gegen diesen schon vorhin gelesenen Text formulieren, da finde ich, daß Du ihn wesentlich erweitert hast. Daran jetzt noch herumzumäkeln, wäre unanständig - auch deshalb, weil es ein ganz persönlicher Text geworden ist.

 Terminator meinte dazu am 13.07.23 um 23:29:
Ich habe nach der Hälfte zwischengespeichert, und da hatte ich die Liebe erst kurz angeschnitten, aber es sollte von Anfang an um die Liebe gehen, mit dem Hass als Kontrast. Den Hass konnte ich erklären, die Liebe nur beschreiben, wie sie sich im Augenblick anfühlt.
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