Satzmassagen

Persiflage zum Thema Aufwachen

von  uwesch

Dieser Text ist Teil der Serie  Abenteuer Lesen und Schreiben

Eines Tages lief das Leiden aus ihm heraus wie aus einem lecken Fass. Nur die ganz dicken Brocken blieben noch einige Monate in seinem engmaschigen Seelensieb hängen. Er schreckte nicht mehr vor seinen Emotionen zurück - bis hin zu einer ansatzweisen Hemmungslosigkeit. Warum sich die Menschen über seine Wandlung aufregten verstand er nicht. Früher hatten sie ihn immer dafür kritisiert, dass er emotionslos sei und so agiere als ob er nichts empfinde. Dabei ahnt doch jeder, dass man sich die Hälfte seines Lebens einbildet und die andere geschieht, ohne sie wirklich wahrzunehmen.

Abstrakte Begriffe wie zum Beispiel Nudismus, Kommunikation und Emanzipation verloren für ihn ihre Magie, ähnlich einer semantischen Entladung. Inzwischen war seine Sprache von mehr liebevoller Art. Er empfand sie wie das Streichen einer Masseurin mit ihren Händen über seinen Körper. Kein Verständnis hatte er mehr dafür, dass die Menschen so wenig auf seelische Contenance Wert legten. Das Vokabular der Berufschristen lehnte er nach wie vor ab. Diese stellten alles in einer wolkigen Betroffenheitssprache dar, womit jeder vorhandene Konflikt unscharf wurde und im Nebel verschwand.

Seine eher kühle Frau ging nach hektischen Anfällen sinnlicher Exzesse immer schnell wieder zur Tagesordnung über. Sie war keine Anhängerin seelischer Aussprachen. Zu früheren Zeiten fand er das sehr praktisch, doch jetzt nahm er es als Defizit wahr. Das konnte nicht lange gut gehen. Das Schwebende der Situation löste sich dann auf. Er trennte sich und beschloss als Schriftsteller zu arbeiten, wobei er sich vorstellte, Satzmassagen zu gestalten. Manchmal gelang es ihm inzwischen vollkommenes Glück auch mit den Augen eines anderen Menschen zu begreifen.

Seine Finger griffen täglich in die Tastatur seines PCs, so als gingen sie verloren, wenn sie nichts zu tun hätten.



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