Die Einladung

Short Story zum Thema Begehren

von  uwesch

Dieser Text ist Teil der Serie  BEGEGNUNGEN (Erzählungen, Short Stories)

Viele Jahre waren grau in ihrem Leben abgeflossen, so wie das Geld vom Bankkonto. Verarmt stützte sie nur noch notdürftig ihre Ruinen ab. Einmal die Woche besuchte sie ein öffentliches Seminar über intrinsische Motivation am Institut für Psychologie, welches auch für Nichtstudent*innen von der Universität angeboten wurde.
Jahrelang hatte sie vergeblich konkrete und tief verwurzelte Erwartungen an Männer gehegt. Der vortragende Dozent wirkte auf sie wie ein richtiger Mann aus Fleisch und Blut, so als müsste sie keine Fremdsprache mehr verstehen. Es kamen ihr einige Aussagen bekannt vor, doch diese Fragmente des Verstehens wuchsen sich dann doch nicht zu einer zusammenhängenden Klarheit aus. Deshalb suchte sie einen engeren Kontakt zu ihm, um zu klären was er von ihrer Meinung hielt.
In jeder Seminarstunde verwickelte sie ihn in eine Diskussion. Nach dem fünften Termin, als alle anderen Hörer*innen schon gegangen waren, umarmten sie sich plötzlich heftig. Durch die Stoffschichten hindurch konnte sie seinen Körper spüren. Er fühlte sich fest und zugleich nachgiebig an, so als wäre er offen für ihre Wünsche. Sie stellte sich vor, dass er alles geschehen ließ, was sie gern mit ihm anstellen würde. Auf den Vorschlag, sich einmal privat zu treffen, ging er nach kurzem Zögern ein.

Am Tag des Treffens tobte draußen der Wind wie eine Riesenhand durch die enge Gasse, in der sie wohnte. Das steigerte ihre rastlose Leere und Ungeduld, die sich als Symptom ihrer Einsamkeit manifestiert hatte. Heute wollte sie wissen wie weit sie gehen konnte. Immerhin war er unverheiratet und sieben Jahre älter als sie und hatte sicher Erfahrungen mit Frauen. Pünktlich klingelte es an ihrer Wohnungstür. Sie stöckelte in den Flur und öffnete. Nachdem er seinen Mantel abgelegt hatte gingen sie ins Wohnzimmer, setzten sich in zwei einander gegenüberstehende Sessel und beäugten einander etwas misstrauisch, ähnlich zwei Kämpfern, die zu müde waren, den Kampf fortzusetzen, aber auch unfähig sich zu ergeben. Ihr Gehirn fühlte sich an wie ein rotierender Ball, in dem die Gedanken wild durcheinander stoben. Um davon abzulenken fragte sie ihn, ob er etwas Musik hören möchte.
„Ja gern“, antwortete er.
Sie atmete auf und startete die Stereoanlage. Sanfter Jazz strömte wie frische Luft aus den Boxen. Er strahlte und sagte: „Was für eine schöne Musik.“
Sie sah das als Hinweis, dass er alles tun würde, um sie ins Bett oder sonst wohin zu bekommen. Ihre Knie folgten einem unwillkürlichen Paarungsinstinkt und begannen sich abzuwinkeln. Doch sein Gesicht verriet keinerlei Regung. Sie dachte wie trügerisch Gesichter sind und wie wenig sie von den Stürmen preisgeben, die dahinter toben mochten.
Das Gespräch plätscherte so dahin. Von ihm ging keinerlei Initiative aus, ihr verbal oder körperlich in intimer Hinsicht näher zu kommen. Selbst der Wein, den sie auftischte, ließ ihn nicht lockerer werden. Nach einer Stunde stand er plötzlich auf und meinte, dass er noch an seinem Seminar für den morgigen Tag arbeiten müsse. Er bedankte sich für die Einladung und verabschiedete sich mit einem festen Handschlag und den Worten: „Wir sehen uns morgen.“
Nach dem Zufallen der Wohnungstür ließ sie ihren Tränen freien Lauf und musste an ihre Kindheit denken. Die Gespräche mit ihrem Vater waren immer nach demselben Muster abgelaufen. Er trieb sie an den Rand ihrer Geduld, aber nie darüber hinaus. Sie versteckte sich dann hinter einem Schutzschild von Munterkeit und hielt damit ihren Frust in Schach.



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Kommentare zu diesem Text


 lugarex (03.10.23, 07:59)

Vergeblich suchte ich, was dem Stern im Wort "Nichtstudent", bzw. "Hörer" folgte und fand leider eine Fussnote oder Ähnliches. Nur einfach "innen"! (Wo und wie "innen"? :)) Muss man es wirklich? Wie viel  Druck Schwarze vergeudet man damit, wie viel Energie...

Sonst gut geschrieben, gratuliere und elgö, luga

 uwesch meinte dazu am 03.10.23 um 11:40:
Ach, diese Inninnen-Diskussion nervt nur noch. Ich mache es mal so mal so. Es gibt nicht die perfekte Lösung, es sei denn wir geben alle unsere Geschlechterrolle in der Hintertür ab  :angry:

Dank Dir für Deine Empfehlung und LG Uwe

 Teichhüpfer (03.10.23, 08:07)
Wenn ich eine Frau wäre, Student passt schon so.
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