MÄRCHEN in reimen (5) ---im anhang auch eines in prosa / von mir weder noch marquis posa...
Gedicht zum Thema Fantasie
von harzgebirgler
Anmerkung von harzgebirgler:
DAS MÄRCHEN VOM GLOCKENBLUMENELF
[Aus den nachgelassenen Papieren einer längst vergessenenen, regionalen Dichterin; hier exklusiv veröffentlicht.]
Es war einmal ein kleiner Blumenelf, der wohnte in einer grossen blauen Glockenblume. Und wisst ihr, wo die stand? Auf der Waldwiese links der Straße, die nach Michaelstein führt, dort, wo heute der kleine Pavillon ist, ja, da stand sie. Der kleine Blumenelf hatte goldblonde Locken und ein feines, schmales Gesicht. Er trug ein Käppchen aus hellblauer Seide, und sein blaues Wams war mit glasklaren, durchsichtigen Tautropfen-Knöpfen besetzt. An seinen Füssen hatte er kleine, goldene Sandalen, die waren mit Bändern aus Staubfäden geschnürt.
Es war ein schönes Leben, das der kleine Blumenelf führte. Er war alle Tage munter und vergnügt und wünschte es sich nicht schöner. Morgens, wenn er aufwachte, rückte er sich das Mützchen zurecht, das beim Schlafen ein wenig schief gerutscht war, dann beguckte er sich in seinen Tautropfen-Knöpfen, ob alles blank und schmuck an ihm war, und dann, wenn die Sonne so richtig warm auf die Wiese schien, erzählte er sich etwas mit den anderen Blumenelfen, die rings herum auf der Wiese in den meisten Blumen wohnten. Sie erzählten sich alles, was sie gehört und gesehen hatten, von den Kindern, die hier gespielt, von den beiden Liebesleuten, die Hand in Hand im Gras gesessen hatten, von der Mutter, die ihr erstes Kindchen in den Schlaf sang – und manchmal auch etwas Trauriges: von dem Soldaten, der in den Krieg musste, und seiner jungen Frau Lebewohl gesagt hatte hier auf der Wiese. O ja, auch die Blumen erleben viel! Und alles, was sie gehört und gesehen, bewahren die Blumenelfen in ihren Herzen. Und ist es etwas besonders Schönes oder besonders Trauriges, dann bewegt es die kleinen Herzen so sehr, dass sie überfliessen vor lauter Mitfreude oder vor lauter Mitleid. Dann sagen die Leute, die vorübergehen: „O, wie süss und und seltsam duftet es doch hier!“ -
Am Abend kamen die Rehe auf die Waldwiese, um zu trinken. Ganz behutsam stiegen sie über die Blumen hinweg, um sie nicht zu zertreten. „Gute Nacht, gute Nacht!“ sagten sie, und dann verschwanden sie in den dunkelnden Wald, der nachts nur den Tieren gehört, den Rehen und Hasen, und den Bäumen und Pflanzen.
Aber am allerschönsten war es doch für den kleinen Glockenblumenelfen, wenn der Wind wehte. Dann schaukelte die Glockenblume hin und her, auf und ab, es war wie in einer Schaukel auf dem Schützenplatz, und der kleine Elf musste sich ganz festhalten an den Staubgefässen, um nicht hinaus zu fallen. Dabei gab es ein ganz feines Geläute, kling-klang, kling-klang – und wenn ein Sonntagskind über die Wiese kam und lieb und artig gewesen war den ganzen Tag, dann konnte es das Läuten hören.
Wer von euch ist Sonntagskind? Der soll mir sagen, ob er es schon einmal gehört hat.
Aber eines Tages kam ein kleines Mädchen auf die Wiese, das pflückte die weisse Schafgarbe, es pflückte die rote Kuckucksnelke, und es pflückte auch unsre schöne blaue Glockenblume. Und es pflückte und pflückte so viele Blumen, dass die kleine Hand sie nicht alle fassen konnte, und als es müde geworden war und die Blumen welk, liess es sie einfach fallen, warf sie weg auf den Weg.
Ja, da lag nun die blaue Glockenblume, gerade auf der General-Busse-Strasse. Da lag sie im Staube, und die Wagen fuhren ganz dicht an ihr vorbei, und die Hufe der Pferde waren schon beinahe auf sie getreten. Ach, dachte der kleine Blumenelf, so soll ich nun hier sterben und vergehen, so weit von meiner geliebten Wiese, so weit von den Rehen, so weit vom Wald! Da liege ich nun im Schmutz auf hartem Stein, und gleich, gleich wird das grosse, schwere Rad des Wagens über mich hinweggehen und mich zermalmen! Und der kleine Blumenelf barg sein Gesicht in den Händchen vor Kummer und Angst. Schön hörte er das Rollen des Wagens näher und näher kommen , und das Herz zersprang ihm fast in der Brust.
Doch sieh, da liess der liebe Gott gerade in diesem Augenblick den kleinen Hans-Henning aus der Gartentür kommen. „O!“ rief er, „die schöne blaue Glockenblume! Wer mag sie fortgeworfen haben? Das war aber nicht recht!“ Und er nahm sie vorsichtig auf und brachte sie seiner Mami. Die stellte sie in ein Glas mit Wasser aufs Fensterbrett von Hans-Hennings Spielstube. Und die Sonne schien durchs Fenster, und die Glockenblume trank – ach, sie war ja so durstig! Und als eine Weile vergangen war, da wurde sie wieder frisch und schön. Auch der kleine Blumenelf erholte sich bald. Er rückte sein Mützchen zurecht, das ganz schief gerutscht war, und er band seine goldenen Schuhbänder wieder zu.
Dann kam die Nacht und Hans-Henning schlief in seinem weissen Gitterbett. Es war aber keine gewöhnliche Nacht, sondern eine Vollmond-Sonntagsnacht, in der seltsame Dinge geschehen können. Plötzlich wachte Hans-Henning auf, weil ihn jemand ganz leise an der Nase gekitzelt hatte. Er rieb sich die Augen und setzte sich im Bettchen auf. Hatte ihn nicht jemand gerufen?
Auf einmal sah er vor sich auf dem Bettrand jemanden sitzen, ein kleines, blondes Männlein in einem hellblauen Wams mit Tautropfen-Knöpfen, das war nicht einmal so gross wie Hans-Hennings halbes Fingerlein.
„Grüss dich Gott“, sagte das Männlein mit ganz hellem, feinem Stimmchen, „ich bin der Elf aus der Glockenblume und habe mit dir zu reden.“ - „Ja, lieber Elf“, sagte Hans-Henning, „was hast du mir denn zu sagen? Ich höre zu und kann dich gut verstehen.“
„Ich möchte mich bei dir bedanken, weil du so lieb warst, mich aus dem Schmutz der Strasse aufzuheben“, sagte das Männlein, „ich möchte dir danken, dass du mir das Leben gerettet hast und mich vor dem schrecklichen Tode bewahrt hast. Höre, Hans-Henning, was ich dir schenken will zum Dank:
Die Gaben: Traurigkeit zu wandeln in Fröhlichkeit,
Einsamkeit zu wandeln in Glück,
Leid zu wandeln in Liebe.
Drei schöne Gaben, Hans-Henning, wahre sie wohl, dann werden sie dich reicher machen, als Gold und Silber es zu tun vermöchten.“
Durch das Zimmer wehte ein Duft – über das Bettchen huschte ein Mondenstrahl – durch das kleine Herz zog ein Traum.
Weihnacht 1944.
Es war ein schönes Leben, das der kleine Blumenelf führte. Er war alle Tage munter und vergnügt und wünschte es sich nicht schöner. Morgens, wenn er aufwachte, rückte er sich das Mützchen zurecht, das beim Schlafen ein wenig schief gerutscht war, dann beguckte er sich in seinen Tautropfen-Knöpfen, ob alles blank und schmuck an ihm war, und dann, wenn die Sonne so richtig warm auf die Wiese schien, erzählte er sich etwas mit den anderen Blumenelfen, die rings herum auf der Wiese in den meisten Blumen wohnten. Sie erzählten sich alles, was sie gehört und gesehen hatten, von den Kindern, die hier gespielt, von den beiden Liebesleuten, die Hand in Hand im Gras gesessen hatten, von der Mutter, die ihr erstes Kindchen in den Schlaf sang – und manchmal auch etwas Trauriges: von dem Soldaten, der in den Krieg musste, und seiner jungen Frau Lebewohl gesagt hatte hier auf der Wiese. O ja, auch die Blumen erleben viel! Und alles, was sie gehört und gesehen, bewahren die Blumenelfen in ihren Herzen. Und ist es etwas besonders Schönes oder besonders Trauriges, dann bewegt es die kleinen Herzen so sehr, dass sie überfliessen vor lauter Mitfreude oder vor lauter Mitleid. Dann sagen die Leute, die vorübergehen: „O, wie süss und und seltsam duftet es doch hier!“ -
Am Abend kamen die Rehe auf die Waldwiese, um zu trinken. Ganz behutsam stiegen sie über die Blumen hinweg, um sie nicht zu zertreten. „Gute Nacht, gute Nacht!“ sagten sie, und dann verschwanden sie in den dunkelnden Wald, der nachts nur den Tieren gehört, den Rehen und Hasen, und den Bäumen und Pflanzen.
Aber am allerschönsten war es doch für den kleinen Glockenblumenelfen, wenn der Wind wehte. Dann schaukelte die Glockenblume hin und her, auf und ab, es war wie in einer Schaukel auf dem Schützenplatz, und der kleine Elf musste sich ganz festhalten an den Staubgefässen, um nicht hinaus zu fallen. Dabei gab es ein ganz feines Geläute, kling-klang, kling-klang – und wenn ein Sonntagskind über die Wiese kam und lieb und artig gewesen war den ganzen Tag, dann konnte es das Läuten hören.
Wer von euch ist Sonntagskind? Der soll mir sagen, ob er es schon einmal gehört hat.
Aber eines Tages kam ein kleines Mädchen auf die Wiese, das pflückte die weisse Schafgarbe, es pflückte die rote Kuckucksnelke, und es pflückte auch unsre schöne blaue Glockenblume. Und es pflückte und pflückte so viele Blumen, dass die kleine Hand sie nicht alle fassen konnte, und als es müde geworden war und die Blumen welk, liess es sie einfach fallen, warf sie weg auf den Weg.
Ja, da lag nun die blaue Glockenblume, gerade auf der General-Busse-Strasse. Da lag sie im Staube, und die Wagen fuhren ganz dicht an ihr vorbei, und die Hufe der Pferde waren schon beinahe auf sie getreten. Ach, dachte der kleine Blumenelf, so soll ich nun hier sterben und vergehen, so weit von meiner geliebten Wiese, so weit von den Rehen, so weit vom Wald! Da liege ich nun im Schmutz auf hartem Stein, und gleich, gleich wird das grosse, schwere Rad des Wagens über mich hinweggehen und mich zermalmen! Und der kleine Blumenelf barg sein Gesicht in den Händchen vor Kummer und Angst. Schön hörte er das Rollen des Wagens näher und näher kommen , und das Herz zersprang ihm fast in der Brust.
Doch sieh, da liess der liebe Gott gerade in diesem Augenblick den kleinen Hans-Henning aus der Gartentür kommen. „O!“ rief er, „die schöne blaue Glockenblume! Wer mag sie fortgeworfen haben? Das war aber nicht recht!“ Und er nahm sie vorsichtig auf und brachte sie seiner Mami. Die stellte sie in ein Glas mit Wasser aufs Fensterbrett von Hans-Hennings Spielstube. Und die Sonne schien durchs Fenster, und die Glockenblume trank – ach, sie war ja so durstig! Und als eine Weile vergangen war, da wurde sie wieder frisch und schön. Auch der kleine Blumenelf erholte sich bald. Er rückte sein Mützchen zurecht, das ganz schief gerutscht war, und er band seine goldenen Schuhbänder wieder zu.
Dann kam die Nacht und Hans-Henning schlief in seinem weissen Gitterbett. Es war aber keine gewöhnliche Nacht, sondern eine Vollmond-Sonntagsnacht, in der seltsame Dinge geschehen können. Plötzlich wachte Hans-Henning auf, weil ihn jemand ganz leise an der Nase gekitzelt hatte. Er rieb sich die Augen und setzte sich im Bettchen auf. Hatte ihn nicht jemand gerufen?
Auf einmal sah er vor sich auf dem Bettrand jemanden sitzen, ein kleines, blondes Männlein in einem hellblauen Wams mit Tautropfen-Knöpfen, das war nicht einmal so gross wie Hans-Hennings halbes Fingerlein.
„Grüss dich Gott“, sagte das Männlein mit ganz hellem, feinem Stimmchen, „ich bin der Elf aus der Glockenblume und habe mit dir zu reden.“ - „Ja, lieber Elf“, sagte Hans-Henning, „was hast du mir denn zu sagen? Ich höre zu und kann dich gut verstehen.“
„Ich möchte mich bei dir bedanken, weil du so lieb warst, mich aus dem Schmutz der Strasse aufzuheben“, sagte das Männlein, „ich möchte dir danken, dass du mir das Leben gerettet hast und mich vor dem schrecklichen Tode bewahrt hast. Höre, Hans-Henning, was ich dir schenken will zum Dank:
Die Gaben: Traurigkeit zu wandeln in Fröhlichkeit,
Einsamkeit zu wandeln in Glück,
Leid zu wandeln in Liebe.
Drei schöne Gaben, Hans-Henning, wahre sie wohl, dann werden sie dich reicher machen, als Gold und Silber es zu tun vermöchten.“
Durch das Zimmer wehte ein Duft – über das Bettchen huschte ein Mondenstrahl – durch das kleine Herz zog ein Traum.
Weihnacht 1944.