Schattendasein

Gedicht

von  Janna



Sie stand, wie meist, bewegungslos im Schrank.

Aus ihrem Seidenkleid, das leicht changierte

und sich am Saum entlang mit Rüschen zierte,

entwuchsen blasse Arme und die Hände -

zwei Blütenkelche - wirkten filigran

und durchscheinend wie dünnes Porzellan.


Doch Großmama rieb sie behutsam blank

und stellte sie auf jenen Apparat,

der sie mit seinem Schall zum Tanze bat.

Ihr Auftritt ging sehr schnell zu Ende,

und sie verschwand mit unbewegter Miene

in der geschlossenen Vitrine.


Eines Tages war die Puppe weg.

Zurück blieb lediglich ein heller Fleck.



Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text


 TassoTuwas (04.02.24, 10:20)
Kommt so leicht daher und beschreibt ein schweres Leben.

Herzliche Grüße
TT

 Agnetia meinte dazu am 04.02.24 um 12:31:
da schließe ich mich an. Gekonnt geschrieben Janna.
LG von Agnete

 Janna antwortete darauf am 05.02.24 um 07:40:
Hallo ihr beiden, freut mich sehr. Dankeschön!

 plotzn (04.02.24, 11:05)
Servus Janna,

ich kenne solche Puppen leider nicht, die sich durch Schall oder Vibrationen tanzend bewegen. Sie müssen ein Meisterkwerk der Feinmechanik gewesen sein und damals für Kinder faszinierend.

Liebe Grüße
Stefan

 Janna schrieb daraufhin am 05.02.24 um 07:42:
Hallo Stefan, für mich auf der oberen Ebene eine schöne Kindheitserinnerung. Ich war damals sehr begeistert.

Vielen Dank und liebe Grüße

Janna

 AchterZwerg (04.02.24, 11:47)
Hach,
eine Spieluhr hatte ich auch mal ...
wo die wohl geblieben ist?

Hier steht die kleine Tänzerin wohl für ein missratenes Leben, das sich am Ende aber doch der Freiheit öffnet.

 Janna äußerte darauf am 05.02.24 um 07:46:
Hallo Achter, das war keine Puppe zum Aufziehen. Sie funktionierte durch den Schall vom Radio. Siehe hier:  https://www.kleinanzeigen.de/s-anzeige/raritaet-alt-60er-tanzpuppe-fuer-lautsprecher-prima-ballerina/2657966976-78-2129

Danke fürs Feedback und liebe Grüße 

Janna

 Saira (04.02.24, 17:48)
Hallo Janna,
 
dein Gedicht ist für mich ein erschreckendes Spiegelbild vom lyrischen Ich. Die Spieluhr sehe ich als Pendant für ein Mädchen, das ein Schattendasein gelebt hat, ähnlich dem der Spieluhrballerina. Ich sehe noch mehr Bilder und sie machen mich sehr traurig.
 
Liebe Grüße
Sigrun

P.S.: Ich favorisiere dein Gedicht, weil es sehr intensiv ist.

Kommentar geändert am 04.02.2024 um 17:50 Uhr

 Janna ergänzte dazu am 05.02.24 um 07:52:
Hallo Sigrun,

deine Interpretation kommt sehr nah an das heran, was ich transportieren wollte. Ein Mädchen, eine Frau, die Aufmerksamkeit bekommt, solange sie funktionell ist; also so funktioniert, wie andere sich das wünschen. Tut sie das nicht mehr, wird sie entsorgt und nur der Fleck im Schrank erinnert noch an sie. Vielleicht. 

Danke und liebe Grüße

Janna
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram