Frühling mit Götterfunken

Kurzgeschichte zum Thema Behinderung

von  Martina

Richard bestieg umständlich den Zug. Er war nicht gut zu Fuß, denn er litt unter einer Krankheit, die Lähmungserscheinungen mit sich brachte. Selbst normale Bewegungen wie das Gehen ließen sich nur schwer und unter größter Anstrengung von ihm bewältigen. Seine Ausdauer war deshalb nicht die größte und seine Kräfte nicht die stärksten, aber er ließ sich nicht unterkriegen. Eigentlich kam er damit gut zurecht, wenn dieses verfluchte Zittern nicht wäre. Trotz Tabletten und Autogenem Training bekamen die Ärzte es nicht in den Griff. Unsicher strebte er auf einen Sitzplatz zu und machte es sich bequem. Wenn er so saß, fiel es kaum auf, dass er anders war als andere. Hier konnte er in Ruhe nachdenken. Es gab eine Zeit, da hatte er sich auch große Gedanken um das Thema Liebe gemacht. Er war sich darüber im Klaren, das er nie eine Frau körperlich lieben würde können. Auch hier machte ihm seine Krankheit einen bitterbösen Strich durch die Rechnung. Einmal nur, das war sein größter Wunsch, wollte er eine Frau berühren können,um festzustellen, ob es sich genauso wie in seinen Gedanken anfühlte. Lieber Gott, betete er in Gedanken, ich hab den Glauben an dich schon fast verloren, doch wenn es dich gibt, dann erfülle mir diesen einen Wunsch. Ach was, sagte er ärgerlich zu sich selber, es gibt ihn nicht, warum rede ich überhaupt zu ihm? Wenn es ihn gäbe, dann hätte er mir nicht diese Krankheit aufgehalst. Es schmerzte ihn mehr, als er es zugeben wollte, dass er nicht mehr glauben konnte, glauben wollte! Eine Träne der stummen Verzweiflung stahl sich aus seinem Auge und suchte sich unbeirrt einen Weg über seine Wange, von wo aus sie dann in den Abgrund stürtzte, direkt auf seine Hand. Er sah ihr noch fassungslos nach, als eine angenehme Stimme ihn ansprach. Darf ich Ihnen ein Taschentuch geben, fragte eine junge Frau, die wohl an der letzten Station zugestiegen sein musste. Richard schaute peinlich berührt zu Boden und konnte nur wortlos nicken.
Die Frau machte es sich im Sitz vor ihm bequem und reichte ihm dann ein Tempo.
Hier, nehmen sie ruhig, flüsterte sie fast. Ich hoffe es stört Sie nicht, wenn ich mich hier zu Ihnen setzte? Richard schüttelte kurz den Kopf und nahm dankend das Taschentuch entgegen. Nachdem er sich wieder einigermaßen im Griff hatte, schaute er sich diese nette Person genauer an. Sie war gerade in ein Buch versunken. Dunkelbraune Haare umrahmten ihr blasses Gesicht. Rehbraune Augen wanderten schnell von links nach rechts, als würden sie die Zeilen eher überfliegen als lesen. Schöne, schlanke Finger. Der Mann, der von diesen gestreichelt wurde, war zu beneiden. Richard rief sich zur Ordnung. Er empfand fast ein schlechtes Gewissen darüber, dass seine Gedanken so weit abgeschweift waren. Verlegen und unbewußt räusperte er sich. Dadurch abgelenkt schaute die junge Frau auf. Dann schenkte sie ihm ihr schönstes Lächeln und Richard blieb fast das Herz stehen. Es ging eine wahnsinnige Wärme von dieser Frau aus. Es tat schon unheimlich gut, nur in ihrer Nähe zu sitzen. Der Anfang einer interessanten Unterhaltung hatte somit begonnen. Die Frau reichte Richard die Hand, und sagte: "Es freut mich, dich kennen zu lernen, mein Name ist Monique." Richard nannte schnell seinen Namen, als er bemerkte, dass er fast vergaß ihre Hand loszulassen. Als Monique ihn bat, ihr alles aus seinem Leben zu erzählen, floss es aus ihm nur so heraus, fast wie eine Quelle, die endlich den Weg aus der dunklen Erde gefunden hatte. Er erzählte ihr von seiner Kindheit, seiner Krankheit, und von seinen Träumen. Auch über den von Liebe....
Komisch, all seine Hemmungen waren verflogen, es war ihm, als würde er sie schon immer kennen. Und Monique hörte ihm zu. Es war das erste Mal in seinem Leben, dass er jemandem seine Geschichte vom Anfang bis zum Ende anvertraute. Und es war das erste Mal, dass er keine Angst verspürte. Die Zeit verging wie im Fluge, und Monique meinte, dass sie gleich aussteigen müsse.  "Wenn du magst, steig doch mit aus, dann können wir noch etwas spazieren gehen," sagte sie. Hier in München gibt es den herrlichen Englischen Garten, den muss man einfach gesehen haben.“ Richard überlegte noch, als Monique einfach lachend seine Hand nahm, und ihn mit sich zog. Kurze Zeit später gingen sie gemütlich durch die Grünanlage. Jetzt im Frühling war es atemberaubend schön hier. Überall blüte und grünte es. An einer idylischen Stelle zog Monique eine Decke aus ihrer Tasche und breitete sie über den grünen Rasen aus. Eine große Buche schenkte ihnen Schatten. Richard setzte sich und lehnte sich am Stamm an. Monique legte sich bequem auf den Rücken und bettete ihren Kopf auf Richards Schoß. Ihr dunkles, langes Haar breitete sich wie ein Fächer über seine Schenkel aus. Richard war so angetan von ihrem Anblick, dass er sich einfach über sie beugte, und ihr einen Kuss auf die Stirn hauchte. Monique lächelte ihn einfach nur an, hob eine Hand und streichelte liebevoll sein markantes Gesicht. Richard stockte der Atem, soeben hatte sich sein Traum erfüllt, und sein Glaube schlug neu aus, wie das herllich zarte Grün um ihn herum.


Anmerkung von Martina:

Diese Geschichte ist frei erfunden...

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Kommentare zu diesem Text


 franky (03.09.06)
liebe martina
deine geschichte strahlt so viel wärme und liebe aus,
in meinen augen ist sie nicht mal erfunden;
sie ist immer möglich, wenn die schwingung von zwei seelen
ineinandergreifen.
meine gedanken wandern in diesem moment zu meinem beitrag:
"Im Transalpin zwischen Basel und Wien."
es zeigt wieder eine andere variation deines themas.
du hast eine wunderschöne geschichte geschrieben,
laß deiner phantasie nur freien lauf...
liebe grüsse und schönen sonntag
franky lächeln für dich
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