Ich war noch einmal da

Alltagsgedicht zum Thema Kinder/ Kindheit

von  Erebus

Es ist in dieser Strasse, die als Schleife
den Block der grauen Häuser eng umkreist
ganz gleich wohin ich mit den Blicken schweife:
sie ist so seltsam leer und still verwaist.

Kein Mensch, kein Kinderrufen, auch kein Licht,
das hinter Scheiben von Geborgenheiten
spricht. Bunte Autos warten, dicht an dicht
geparkt, vor Stufen, die ins Dunkel leiten.

Da regt sich nichts, und regt sich nichts in mir.
Es ist ein Anderes, das längst verrann,
das war mit mir vor langen Zeiten hier.

Ich war noch einmal da, wo es begann.

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Kommentare zu diesem Text

janna (60)
(11.03.08)
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 Erebus meinte dazu am 12.03.08:
Liebe Janna,

ja, die Möglichkeit besteht wohl. Aber ich weiß nicht, würde das etwas ändern? Ich meine, wäre es besser, weil es dann leichter wäre zu wachsen und zu lieben, wenn man keine Verluste erleidet? Die Welt würde stehen bleiben müssen, um uns diesen Wunsch zu erfüllen: Bei der Rückkehr wieder am selben Ort zu sein, und gleichzeitig seinen Wert aus Sicht des Erwachsenen zu sehen - das geht ja nicht.
Ich danke dir ganz herzlich für deinen Besuch und Kommentar

Lieber Gruß
Uli

 Maya_Gähler (11.03.08)
Aus der Sicht des Kindes von damals fehlen heute dem Erwachsenen Menschen Dinge, die man glaubte damals zu spüren, zu fühlen, zu sehen. Es war auch sicher so, doch mit dem Erwachsenwerden kommt Ernüchterung. Leider.
Sehr gut ausgedrückt in deinem Gedicht.
Und ja... wirklich schade, dass LyrIch sich kein bisschen bewahren konnte von dem, was damals war. Zumindest nicht am Ort des Geschehens.
LG, Maya

 Erebus antwortete darauf am 12.03.08:
Hallo Maya,

es ist der Ort, der ein anderer scheint als damals. Vielleicht ist es nur die Farbe des Himmels, vielleicht die Autos, wo früher freie Bürgersteige waren, es ist anders. Es ist nicht das, was es war.
Ich glaube, es liegt vor allem daran, das irgendwann andere Stämme auf den Siedlungsplätzen wohnen. Ich glaube, es sind die Menschen, die den Ort und die Heimat ausmachen.

Ich danke Dir!
Lieber Gruß
Uli
Mitternachtslöwe (27)
(11.03.08)
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 Owald schrieb daraufhin am 11.03.08:
Die Sprechpause paßt da aber doch hin; schließlich warten die Autos.
Mitternachtslöwe (27) äußerte darauf am 11.03.08:
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 Erebus ergänzte dazu am 12.03.08:
Hallo Frank, ja, und hallo Owald,

auf die betreffende Stelle wurde ich auch schon anderen Ortes hingewiesen, und es scheint grade so zu sein, dass hier ganz unterschiedliche Lesarten möglich sind. Klar, wird ja aus euren Kommentaren deutlich ersichtlich.
Ich persönlich unterlaufe gerne den rhythmischen Versabschluss indem ich Inhalt und Klang weiterlaufen lasse, und wie hier, eine verzögerte Zäsur setze.
Ich kann den Einwand von der Sache her verstehen. Ich will es aber nicht ändern, weil ich persönlich den Text ohne ein Anecken lese. Und das nicht etwas, weil ich mir das so gut eintrainiert hätte, nein, er liegt mir, so wie er ist.
Und das die versetzte Zäsur des Zeilenumbruches, ganz so wie Owald schreibt, mit dem Warten sehr gut überein geht, stimmt doch.

Ich bedanke mich sehr für eure Kommentare!
Lieber Gruß
Uli

 Isaban (11.03.08)
Zur Form bleibt mir hier nicht viel zu sagen.
Zwölf jambische Verse im Kreuzreim, die Reime absichtlich klar und schlicht gehalten, um nicht vom Inhaltlichen abzulenken, durchgehend fünf Hebungen pro Zeile, keine metrischen Schnitzer.

In den Stilmitteln zurückhaltend lenkt das Gedicht alle Konzentration auf den Inhalt. Die jeweils letzte Zeile jeder Strophe, beziehungsweise bei der letzten Strophe der solitär gestellte Vers scheint die Essenz der Strophen zu enthalten - die einzeln stehende letzte Zeile die Zusammenfassung des ganzen Gedichtes.

Es ist in dieser Strasse, die als Schleife
den Block der grauen Häuser eng umkreist
ganz gleich wohin ich mit den Blicken schweife:
sie ist so seltsam leer und still verwaist.


Die Straße, um die das Denken in Endlosschleifen kreist, die Gedanken sehr schön als graue Häuser dargestellt, Hirnzellenassoziationen. Dort, wo das Denken begann, wo der Ursprung ist, scheint alles unerwartet unbelebt, still und leer zu sein.

Kein Mensch, kein Kinderrufen, auch kein Licht,
das hinter Scheiben von Geborgenheiten
spricht. Bunte Autos warten, dicht an dicht
geparkt, vor Stufen, die ins Dunkel leiten.


Die Erinnerungen spielen nicht mit, das erwartete "Zuhausegefühl" stellt sich nicht ein, obwohl ja alles wohlbekannt scheint, fühlt sich LI nicht angekommen, hat mehr die Fluchtgedanken im Blick,die bunten Autos, die Wege, die von dort weg führen, als das, was sich nicht der Erinnerung öffnet - oder, in anderer Auslegung, was ins Ungewisse, vielleicht in eine Sackgasse führt oder geführt hätte, wenn LI nicht einen der smartiebunten und somit verführerischen Fluchtwege von dort ergriffen/eingeschlagen hätte. Die Autos scheinen das einzig bunte/leuchtende im ganzen vergänglich grau bebilderten Gedicht zu sein und schreien damit praktisch: Bloß weg hier!

Da regt sich nichts, und regt sich nichts in mir.
Es ist ein Anderes, das längst verrann,
das war mit mir vor langen Zeiten hier.

Ich war noch einmal da, wo es begann.


Ich würde es so auslegen, dass LI versuchte seine Ursprünge zu finden, vielleicht mit dem Heimatort, vielleicht mit dem Elternhaus, vielleicht mit einer früheren Vertreibung, einem ungewollten, aber anscheinend unumgänglichen Abschied seinen Frieden zu machen. Nur funktioniert das nicht. LI hat sich vielleicht zurückgesehnt, auch zurück in die Vergangenheit und jetzt, wo es dort steht, wo es hinwollte, fühlt es nichts von dem, was es suchte/erwartete.

Berührend, grau-in-grau-einsam, fühlbar und ein bisschen in jedem von uns vorhanden, diese ungreifbare, unerfüllbare Sehnsucht zurück.


Es gefällt mir trotz seiner beinahe zu ehrlichen, schlichten Melancholie. Oder gerade deshalb.

Herzliche Grüße,
Sabine

Edit: RS-Korrektur
(Kommentar korrigiert am 12.03.2008)

 Erebus meinte dazu am 12.03.08:
Liebe Sabine,

ich bin ganz entzückt deiner Interpretation gefolgt, die sehr inspiriert und stimmig eine zweite Ebene des Textes offenlegt.
Zu meinem Kummer muss ich eingestehen, dass es nicht meine ist.

Nicht in dieser von vorn bis hinten durchgehaltenen Weise. Ich bedanke mich ganz herzlich dafür und werde sie diesem Text fortan zuordnen.

Die Einzelstellung des letzten Verses schien mir absolut notwendig, ja das wäre die sachliche Aussage, die der vermutbaren Enttäuschung des LI eine lakonische Antwort gibt.
Eigentlich war das der Ausgangsvers. Und jetzt meine ich fast, er könnte auch tatsächlich vornan stehen, ohne das der Text wesentlich geändert würde.

Die bunten Autos waren mir ein Anliegen, denn sie sind ganz bewusst als einzigen Farbtupfer gewählt, ohne irgendeine Ausstrahlung zu besitzen. Mir ging es dabei um die beschämende Tristesse, die ich empfinde, wenn bunte Autos wie blintzende Perlenschnüre in den Straßen stehen, zum Zeichen und Statussymbol verkümmernder Menschen, denen nichts mehr von Geborgenheit spricht.
Ähnlich sind natürlich die Stufen, die ins Dunkel führen, zu sehen, als Metapher des Aufstieg in die bürgerliche Ausweglosigkeit.

Ja und weil sich aussen nichts regt, regt sich innen nichts, hier kann kein Dialog der Zeiten, der Empfindungen stattfinden, da ist alles gestorben und veronnen.

Ich bedanke mich ganz herzlich

Lieber Gruß
Uli
Beaver (41)
(20.03.08)
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 Erebus meinte dazu am 23.03.08:
.
Hallo Manuel,

ich habe mich über deinen Kommentar wirklich sehr gefreut, weiß ich doch die Güte deienr eigenen Texte zu schätzen und achte das Lob sehr hoch

Danke schön, wenn auch verspätet ...

Lieber Gruß
Uli
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