Beim Psychiater.

Erzählung zum Thema Frauen/ Männer

von  Orion

Guten Tag, Frau Hullig-Splätterfeld, guten Tag auch Ihnen, Herr Splätterfeld. Nur keine Scheu, ich beiße nicht, haha. Nehmen Sie bitte hier und dort Platz. Äh, Frau Hullig-Splätterfeld, Sie bitte hier, und Sie Herr Splätterfeld, bitte dort. Ist eine Angewohnheit von mir, wissen sie. Ich habe die Damen lieber so rechts vor meinem Schreibtisch. Sie kennen ja die Redewendung: Auch ein Psychiater hat manchmal so seine Macken, haha.
Nein, Herr Dr. Hallmann, diese Redewendung kenne ich nicht, ich meine, ich habe das noch nie gehört. Das verstört mich jetzt auch ein wenig. Ein Psychiater sollte in meinen Augen etwas Seriöses an sich haben, etwas, zu dem ich sofort Vertrauen fasse, bevor ich mich ihm gänzlich öffne, Da ist jetzt etwas zerstört worden, und …
Äh, Frau Hullig-Splätterfeld, liebe Frau Hullig-Splätterfeld, bewerten Sie meine soeben gesagten einleitenden Worte bitte nicht über. Ich meinte das natürlich nicht ernst sondern möchte Sie bitten, dies als eine humoristisch gemeinte „brich-das-Eis-Formulierung“ zu sehen. Üblicherweise lachen meine Patienten dann und das Eis ist gebrochen. Sie verstehen?
Ach so, haha, ja. Dann kann ich mich also problemlos auf den anderen Sessel setzen? Dort bescheint mich die Sonne nicht so direkt. Das kann ich nämlich garnicht vertragen. Na los, Horst, steh schon auf, wir tauschen die Plätze.
Eigentlich sitze ich hier ganz bequem, Sybille. Und die Sonne kann garnicht auf deinen Platz scheinen, weil Herr Dr. Hallmann wohlweislich die Gardinen vorgezogen hat.
Ich spüre die Sonne auch durch die Gardinen hindurch, Horst, egal, wie dick der Stoff ist. Du weißt doch,  wie empfindlich ich bin! Außerdem zieht es hier auf dieser Seite. Nimm bitte Rücksicht und überlass mir Deinen Platz.
Okay, Sybille. Dann tauschen wir.
(Tausch)
Iiihh, Horst, Dein Sessel ist ja so ekelig warm. Das kann ich garnicht leiden, wenn ich mich auf einen Platz setze, der von einem menschlichen Körper so unangenehm aufgewärmt ist. Da wird mir so –bäh-. Lass mich sofort wieder auf meinen alten Platz. (schauder).
Selbstverständlich, Sybille. Aber warte eine kleine Weile, bevor Du Dich hinsetzt, damit Dich die Körperwärme nicht wieder anekelt. Sonst könnte das hier eine unendliche Geschichte werden.
Ja, Horst, mach Dich nur lustig über mich, das bin ich ja gewohnt. Sehen Sie, Herr Dr. Hallmann, nun wissen Sie, warum wir hier sind.
Liebe Frau Hullig-Splätterfeld, bitte beruhigen und entspannen Sie sich. Schließen Sie die Augen und atmen Sie ganz ruhig ein und aus. Ja, so ist es gut. Und nun möchte ich mit der Sitzung beginnen, liebes Ehepaar Hullig-Splätterfeld bzw. nur  Splätterfeld. Sie sind hier, um mit mir –als neutrale und professionelle Instanz- über Ihre Eheprobleme zu sprechen. Aber vorher müssen wir einige einfache Regeln festlegen, an die wir uns unbedingt zu halten haben, denn nur so können wir unser gemeinsames Ziel erreichen. Sind Sie damit einverstanden?
Ja.
Jawohl.
Danke schön. Erste Regel: Jeder von Ihnen spricht nur, wenn ich ihm das Wort erteilt habe. Zweite Regel: Jede meiner Fragen wird umfassend beantwortet. Dritte Regel: Niemand von Ihnen beiden unterbricht den anderen oder mich. Ich dagegen kann jederzeit jeden von Ihnen unterbrechen. Sind Sie auch damit einverstanden?
Ja.
Also, ich weiß nicht … Das klingt in meinen Ohren ja so schrecklich autoritär. Wo bleibt denn da die Menschenwürde, wenn ich nicht sagen darf, was ich denke und fühle? Ich bin doch so ein spontaner Mensch. Herr Dr. Hallmann, ich glaube nicht, dass ich mich ein einem solchen Gitter von Vorschriften wohlfühlen werde. Es unterdrückt mich einfach, ich fühle schon jetzt die große Beklemmung, das Atmen fällt mir schwer … Oh, bitte, Herr Dr. Hallmann, öffnen Sie ein Fenster, lassen Sie frische Luft herein!
Sofort, Frau Hullig-Splätterfeld, (aufspring). So, erledigt. Stört Sie denn die Sonne nicht? Sie sagten doch vorhin, dass Sie …
In dieser Situation ist die Sonne wirklich das kleinere Übel, Herr Dr. Hallmann. (lufteinsaug) Ja, jetzt geht es wieder. Jaaa … Bitte entschuldigen Sie die Unterbrechung. Aber diese ganze Situation, wissen Sie, es ist so belastend, so negativ, so …
Frau Hullig-Splätterfeld, möchten Sie, dass wir jetzt weitermachen oder sollen wir das Gespräch abbrechen und Sie überdenken das Ganze noch einmal?
Was meinst Du denn dazu, Horst?
Ja, Sybille, also ich bin dafür, dass wir jetzt so weitermachen, wie es Herr Dr. Hallmann vorgeschlagen hat. Sein Vorschlag klang ja sehr vernünftig und …
Naaatürlich!!  Du machst ja alles, was andere Dir vorschlagen! Bloß nicht selbst mal nachdenken! Das habe ich gewusst! Genau das ist Dein Problem! Dafür brauche ich keinen Psychiater, um das zu erkennen! Der Chef sagt: Spring! Und Du springst! Die Werbung sagt: Kauf! Und Du kaufst! Die Regierung sagt: … (kreisch)
Sybille, würdest Du Dich bitte beruhigen!
Ja, Frau Hullig-Splätterfeld, bitte beruhigen Sie sich doch und lassen Sie uns weitermachen, um …
Beruhigen! Beruhigen! Immer soll ich mich beruhigen!!! (spuck) Daraus besteht mein Leben: Beruhigen, nie spontan ich selbst sein, immer nur funktionieren. Wie ich das hasse!! (heul) …
Frau Hullig-Splätterfeld?
Heul.
Frau Hullig-Splätterfeld, könnten wir uns bitte dem ursprünglichen Thema dieser Sitzung wieder nähern?
H e e u u l!
Äh, Herr Splätterfeld, sehen Sie hier noch eine Möglichkeit, innerhalb der uns zur Verfügung stehenden Zeit noch irgendwie weiter zu kommen? Wir haben nur noch eine halbe Stunde und so gut wie Garnichts beschickt. Tut mir leid, aber …
Es wird schwierig, Herr Dr. Hallmann. Andererseits, mal so von Mann zu Mann, Ihre ehrliche Meinung: lohnt sich die nicht unerhebliche Investition in die geplanten 20 Therapiestunden wirklich? Ich meine, Sie sehen ja …
Was würden Sie denn alternativ mit dem Geld vorhaben, gesetzt natürlich den Fall, dass Sie auf die Therapiestunden verzichten würden, Herr Splätterfeld?
Das kann ich Ihnen ganz genau sagen, Herr Dr. Hallmann: 3 Wochen Angelurlaub in Norwegen ohne meine Frau, beste Unterbringung, tolles Boot, tolles Angeln, Ruhe und Erholung. (seufz)
(Grübelpause)
Ich heiße Wolfgang.
Ich bin der Horst.
Wann geht’s los, Horst?
Wenn das so ist: Gleich morgen! Ich hole Dich um sieben Uhr ab!
Abgemacht!

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Kommentare zu diesem Text

krebs (53)
(02.09.09)
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 Orion meinte dazu am 03.09.09:
Hallo Andrea, schön, dass Dir der Text gefallen hat. Das mit den Klischees stimmt genau, obwohl ... wenn ich so nachdenke ... eigentlich ... Vielen Dank für Deinen Kommentar. LG Achim
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