Basilisk

Text

von  Akzidenz

Wisset aber, dass wir uns alle einig sind, was auch immer wir sind.

Nachdem der Chirologe die Hand der Mademoiselle betatschte,
schien doch nichts als die Verliebtheit den ganzen Jahrmarkt zu umdüstern.
Das ist es immer schon gewesen. Das war der Handleser gewohnt, der ein hervorragender Weissager auch war, und Grapholog, und welche vornehmste Gesellschaft der Jahrmarkt sonst noch auf sich gab. Hervorragend auch nur, solange wir sein Schattenspiel nicht recht durchschauten - hätten wir es durchschaut, hätten wir ihn auch nicht nötig gehabt, und die große List der Perlusion hätte die schmerzhaften und wahren Töne der Rhapsoden angenommen. Töne, die sich kein Kostgänger dieses Rummels, der den Zweck seines Besuches kannte, mehr hat anhören mögen. Das Spielsein verlor bei ihnen an Ernst. An Ernst vor allem, der nicht herpasste. Nicht hier, wo junge Stutzer an koketten, aber unbeirrbaren Erschöpfung der Venus festgenagelt waren. Oder wo die die Lilien wachsen, die künstlichen. Ja, wo man noch glaubt, der Mond wäre erreicht worden. Hier passt es nicht an Ernst der Welt. Hier ist, wenn man so will, die erste Musik ewig geblieben.

Nicht selten sind wir hier gewesen. In dieser Nacht merkte Ich das besser denn je; die Phantasie erschöpft allmählich, und in den Varietétheatern zeigen sie etwas, was man Kinematographie genannt hat. Mein Intimus hielt das für Humbug - Ich futierte mich darüber. Ich futierte mich wie immer über seine Assertionen: alle Behauptungen, deren Grund er nicht im Mindesten erklären konnte, waren für mich gleichfalls von wenig Sinn und wenig Zugkraft. Ich hielt es nicht für nötig, mich in ihn hineinzulesen - sich darin nicht vertiefen können, wie es dieser Zeit zu sagen schön war, wenn man nicht den Anstand hatte, die Leute zu beleidigen. Aber das war auch wie alles andere. Die Lüge war bei ihm eher eine Vorwendigkeit irgendeines Bonmots gewesen, und man nahm sie hin, als gehöre sie zur Geschichte selber; um uns Leute zu erheitern, hören wir gerne hinters Herz und dann wallen die Säfte! Solange wir noch herzhaft lachen können, war uns die Wahrheit allzu schade. Wahrheiten wie Jahrmarktsplausch, noch ohne eigene Sprache für die eigenen Dinge - nur zu lachen war das Beste, das Gepflegteste, das Unauffälligste, der wenigste Verdacht, uns selbst zu schaden. Dass die Moritatensänger das nicht wussten - oder weil sie es wussten - war der Grund ihrer Andersartigkeit. Sie erinnerten mich schwer ans Fieber, an Krankheiten und Ausgeburten, deren Herkunft sich an ihrer Nasenspitze mit der Hässlichkeit der Hexe quetschte, und, vom Einzefall bemessen, der ihren Leierkastenmann abzirkelt, das Hässliche dadurch bezeichnet, dass es keine Einzelheit an sich hat, kein Detail und keinen Knopf, der mich nicht irgendwo weniger gegruselt hätte, als sein Gesamtbild. Sie erzählten immer Gegenteile. Gegenteile des Plaisiers, Gegenteile des Vergnügens, jenes Vergügen, das die Morbidität des jungen Paris entbehrte und seine Einwohner an Liebe hindert. Sie waren die Seuche unseres Übelwollens, der nachgesagte Zeter der französischen Revolution, die mündlichen Überlieferungen, die an ihnen schienen, wie als ob sie sie überlebt hätten, die, denen wir diesen Platz versinnen: ein Memento mori aus der Kindheit - und schon blieb mein Intimus neben den Zuhörern stehen. Heute waren es zwei Damen mit Kind. Zwei Damen mit Kind, die zwei Damen mit Kind zum ersten Mal waren. Zumindest hier, zumindest heute. Ich konnivierte und wir hörten zu.

Dies war eine andere Welt - so war es hier gleichfalls dasselbe. Die Sänger litten an den Folgen ihres mantramierten Vorspiels - sie litten offenbar so sehr daran, dass sie unrücksichtig wurden wie Kranke, die im Bette zerbersten, und die, falls man das kennt, bisweilen von Dämonen aus den Tiefen regiert werden. Sie sangen den Frauen das Unheil vor, das sich vor dreißig Jahren an Ort und Stelle ergeben haben soll. Es hätte hier in einst ein Armenhaus gestanden, deren Hebammen die Kinder starben, und man nicht sagen konnt, weshalb. Es hätten hier imgleichen schon fünfzig Stupra hinter Büschen- und im Walde Notzucht stattgefunden, von denen ganz Paris bevölkert sei. Jene Bastarde treiben sich rum und gebären neue Kinder, die sich an ihren Gesängen labten. Und wenn, in periculo mortis, unsere Kinder nicht verhungern sollen, müssen wir für alle Zeiten hier noch stehen uns zu euch singen, und ihr uns Bakschisch dafür geben!

Artemis hat das Land verlassen. Das Land, das in den Blitzen schwebte. Die Frauen und das Kind verschwanden, und wir blieben gefeit dastehen, ganz als ob wir überzeugt gewesen. Wenn es einen Mann gegeben hat, der diese Intriganz vertrug, so war dies da mein Freund gewesen, und wir wandten uns erzürnt von ihnen den Wahrsagern zu, den letzten, die die Wahrheit sagten, und vor deren Spieltisch sich ein junger Spund mit Hure schöntat. Wir erkannten es in seinen Augen. Das kokette Mädchen fiel einer List zum Opfer, die wir in der Psychologie gemeiniglich als Interpassivität bezeichnet haben. Eine Geheimtruhe ihres Freiers, der er, ohne zu bezahlen, ihren Dienst genossen hatte, indem er sich lang von ihr flattieren ließ. Eine Geheimtruhe, deren innerstes Gold sie so arglos, wennauch mit derselben unverwundbaren und stolzesten Amönität über sich niederrieseln ließ, solange es einer selbstbewussten Dirne vornehm und geschäftlich vorkommt, ihre Jünglinge um jeden Preis mit ihren weltbewegten Schenkeln und geheimen Gerüchen zu becircen. Hier waren es Gerüche von mädchenhaften Rosen und nussigem Gewächs - Gerüche, die versagten, und die sie sich so billig kaufte. Der Jüngling erkleckte wenig später wohl daran, als sie sich nach dessen Abwinken ihm brüsk den Rücken zuwandt und er ihr dabei zusehen durfte, geradeso, als hätte sie es ihm gestattet - oder eben nicht.
Wir hatten keine Lust mehr auf die Wahrsager - die uns das Leben ermutigt hätten. Wir haben die Wahrheit schon gesehen, die Wahrheit der Frauen und die Wahrheit der Frau.

Über die Auswirkung des Aberglaubens habe Ich nur das höchste Recht erkannt: zu schweigen. Mit meinem Freunde schweigen. Wann immer es erfordert schien, dieser außerordentlich anderen, epimetheischen Natur des Jahrmarktes ein Gegengewicht zu leisten, so war es das Schweigen über die Pariser Wunder. Das Schweigen, das die Stadt umdüstert. Eben weil sie aus dem Nichts umdüstert, war das ein Wunder. Für die Ermangelung von klaren und luziden Instinkten nahmen wir damit gerne vorlieb; er sagte sogar - er, der freilich kein Morosoph war, wie andere seiner Altersklasse - dass wir uns immer, um zu glauben, auch, um unters Volk zu gehen, nur die Natur in uns beiseite nähmen, um im Sinne des Volkes ertragen zu können, was die Natur des Volkes wäre. Wir wären ebenso groß wie dieses Volk, wenn wir uns immer kleiner machten. Ebenso so groß wie diese Gruppe, wenn keiner von uns vorausliefe, ebenso wie die Synade, Spirochäten, bewegte Bakterien, deren einziges Verhältnis eine gleichbleibende Bewegung sei, solange sie sich nicht vereinzeln. Daran glaubte Ich natürlich nicht. Denn da ereilte ihn immer so eine Scham von innerer Geheimhaltung, . . die er sich par megárde so schlecht hat verbergen können, dass er ganz vorsichtig daraufhin wurde. Vorsichtig mit seiner Sprache und vorgeblich mit allem, was er vor ihr noch gesagt hat. Vor diesem Stein und jenem Stein der Weisen. Das warf schlechterdings noch mehr Fragen auf. Fragen, im Sinne derer wir uns ansehen müssten, tiefblicken müssten, um zu verstehen, welche schweigsame, ja auch fraglose- aber allgemeingültige Natur sich darunter befinde. Wir wären daher, immer im sänftiglichen Ausklang mit dem alten Spruche Non liquet zu lasten unserer Schuld, oder dem Ignoramus Bois-Reymonds, denn wir werden es nicht wissen, zu einer gänzlich verschiedenen, aber allerhöchsten Kraft unserer gemeinsamen Denkungsart gestossen. Zur Aphasie. Jene Stelle der Sprache, die nichts sagt und doch alles. Deswegen war das Schweigen für uns die eigentlich beste Antwort. Er wusste, dass Ich mir über diese Anwandlung von Morosität, die Art Selbstredlichkeit menschlichen Verdauens, Mythen und Fabeln von selbstgemachten Landkarten unserer begrifflichen Anonymität auch nie ein Deut klarer vorgekommen war als er. Vielleicht gab es allen Grund dazu, diese Schwierigkeit nicht zu bekennen; Misologie üben, und Mitmensch. Mitmensch wie Hure, die die größere Grausamkeit an ihr nicht kannte. An diesem Abend auf dem Place Louis le Grand schien sich so viel mehr im Sternenzelt darüber auszuleben, dass es uns unweigerlich schadvoll vorkam, noch auf diesem Platz zu bleiben, um aus diesen ungeklärten Fragen, Liturgien von Methode, von Antworten und Gegenfragen zu erwidern; wir hätten unter den Arkaden, im Halbdunkel der Fassade zwölf Grunde mehr dafür gefunden, uns Wichtigerem, Musikalischerem hinzugeben. Und so flüchteten wir in die Fassade.
Gedeckt von der Bewegung.

Chopins Tod war eine Maturität. Nichts hätte uns reiflicher erklärt, in welcher Zeit wir uns befinden und von welcher Zeit wir sterben würden, wäre uns dieser Spätromantiker nicht am selben Abend noch entschlafen. Wir waren längst vorbei - Jardin des Tuileries. Natürlich merkten wir nicht gleich viel: es ist natürlich, nicht zu merken, was wir später erst erfahren haben. Das Verliebtsein in die schönen und üblen Dinge dieser Erde ist immer das, das Gabe brachte. Hätten wir ihn leiden gehört, wäre mein Intimus zum Arzt der Zeit geworden. Der, der Chopin geheilt hätte! Doch vielleicht war es dort ein Abklang im Ganzen, ein Scherzo, eine Vielfarbigkeit, die sich allenfalls und irgendwo in ein gewisses Grün verwandelt hätte, das wir erst, nach Einhalt unserer Paramnese, als ein solches in Erscheinung haben treten sehen wollen. Durch die Gärten zu lustwandeln ist vielleicht die zweite Musik der Natur. Reisen vielleicht auch: um den Zweifel von der Welt zu fassen, ihn zu betreten - ein solcher Zweifel, der sich zwischendurch wieder als Gegenwart verkleidet hat. Und nirgends werden wir überall sein können. Nicht in den Koren, die man hier aufgestellt hat, und nicht zeitgleich an einem schweizer Bergsee, oder am nördlichen Polarmeer, wo in einem gelben Haus, das schon seit Jahren das gelbe Haus der Arktik war, ein Kind in Fieber und Decken gehüllt liegt. Wir wussten beide, dass die Ökumene existiert. Diese Weltbevökerung! Sie wäre indes exakt so groß und unnahbar wie das Bild der Welt, das in ihr steckt. Wenn wir annehmen, jemand hätte dies begriffen, verspürt der Zweifel? Neugier? überhaupt noch Spannungen beim Reisen? Spannungen vor Ungewissem, das jederzeit woanders, als da, wo er ist, ist? Die ganze Welt ist indemonstrabel! Die „ganze Reise“ ist es auch. Das war die schlagkräftige, die topologische Evidenz, die wir nötig hatten, um zu bleiben, zu ertragen. Kein größeres Schade für das Lachen war die Wahrheit! Das war das ganze Brunnenwasser dieser kleinen Glyptothek; zusammengerechnet und verkocht, und der steinernen Artemis, die vor uns rankte wie ein Obelisk, wieder in den Mund gekippt. Artemis, die die Frauen beschützte. Artemis, deren erste Studie Pandora war.

Von der Objektion bis in die Alchemie, es wurde schon allerlei Herbheit höchster literarischer Gnade, grüner Dämpfe, fremder Weichtiere in den Druckmaschinen heraufbeschwört - viel Satyr, viel Auf- und Widerlegen, dass selbst derjenige, der salvator mundi genannt wurde, der Retter der Welt und jeder Heiland, der damit gemeint sein könnte, Chopin oder sein Arzt, sich um ein Erkleckliches hätte verzagen müssen, den Leuten nicht noch mehr unter die Nase zu reiben, was gut tut oder übel, und das sie nicht bald wieder entlarvt hätten. Mein Sozius konnte nicht sagen, ob es sich dabei um ihn oder Claude Debussy gehandelt hätte. Jemand, der entlarvt. Die Musik war immer wieder unsere Zwietracht; und wenn Ich die Musik sage, dann meine Ich eigentlich nur den Geschmack. Überhaupt Klassik! Was meint das schon? Das ist die tote Musik eines weißen Europäers! - doch dies war die Musik eines Blinden, dies war Melete, und dies Aoide, dies das Geschwister, und dies hier das Ohr, die große auriforme Muschel, betonweiß und lackiert, ein musikalischer Naturalist. Nichts als Kunst ist Kunst, ist Kunst. Ein Allheiltmittel zum Durchdenken . .

Als wir uns auf die Esplanade machten, musste Ich aber die Musikalien besprechen, die Ich gestern erst erhalten habe. Das okkulte Sublimat ist längst aus dem Gespräch verschwunden- Ich schätze, der Pariser Schlossgarten hat es sich nicht nehmen lassen, die Besucher von ihrem Innenleben abzulenken, geradewegs noch vorzuführen, welches bürgerliche Klysma sich in der Verbindung von Natur und Technik auftreibt. Es reinigt die Poren von Kartomantien und Totenbeschwörern mit den konkreten Formen; betonbleiche Karyatiden, Statuen, Hecken, Brunnen. Wir fühlten uns nicht nötig, noch Steinrosen von ihnen zu essen. Silphium zu finden. Denn wenn wir angenommen hätten, es würde sich der ganze Erdball irgendwann darum beflissen haben, auch irgendetwas vom Okkultismus ganz zu glauben, so wäre es schon längst passiert. So wäre es, um meinetwillen, entweder in mauvaise foi oder göttliche Größe, in irgendetwas aufgegangen, das sich wie einem aufgeblähten Magen von all dem stopferischen Speisebrei mit Bitterstoffen zersetzt hätte und ihn wieder freimachte. Die Wahrheit dieser französischen Physiologie ist jedoch eine so außerkörperliche Angelegenheit gewesen, nicht nur eine Grundfrage ihrer Herkunft, ihrer Geschichte, ihrer Kultur, sondern, wenn wir mögen, auch alles, was wir uns dazudenken. An der Seine war nichts zuzudenken! Wir standen am Gestade und erachteten die Schwierigkeit, die es uns machen würde, sie zu übertreten. Der Fluss war immer ein Stück Wüste für Europa. Und die Wüste war in uns. Es ist eine vornehmliche Frage der Topologie, die Ich auch auf Gründe der Geheimzimmer anwende, jener Logen, Maleficia, Geheimräte des Welträtsels, das die Lüfte und die Wasser ansteuert, ob uns das auch in der Wüste passiert wäre. Das ist offengesagt eine so anständige Natur der Unwahrheit, dass sie nur alles Erdenkliche gegen den Aufsatz zu richten vermag, »die Grundwahrheit« sei irgendwo zu finden. Dass die Übermenge solcher Fälle gegen kein Gericht der Welt anhält, das hören wir unter den Leuten. Das hören wir besser noch in Fällen, in denen mit Makulaturen gefuhrwerkt würde, die die Advokaten der Gesinnung gegen Borboriten des Waldes auspielen könnten - das hört sich besser an! Da hört man gerne zu, und sieht und zaubert an den Spieltischen, die nicht aus Sand sind -- Überhaupt hat sich mir zu viel aus dreckigen Welten in das saubere, geklärte Wasser meines Weltbildes gelegt; ein Bild, dem vielleicht jemand wie Bouguereau, Redon oder Jean-Baptiste Camille Corot ein geistiges Alter erklärt haben könnte. Wir waren beide Liebhaber ihrer Geschichten, ihrer Mythologeme, ihrer Weltvezerrerei. Es war das wenige natürliche Licht von Kunst, das mir während meiner Kindheit klar und ohne jedes Falsche auf die Augen schien - und so kam er mir am Flusse wieder. Bouguereau benutzt Farben, als sei er der einzige, der Farben gebräuchte. Diese wenige Instanz, die noch gegen ein Aporem, wie Ich es nannte, gegen eine verschleierte Welt gewappnet sein kann, kann der Welt der Welt gar nicht enthalten sein, ohne selbst von ihr verschluckt zu werden. Sie ist irgendwann außerhalb der Welt gewesen und kam, was die Ausstrahlung ihrer Herkunft erklären würde, irgendwann zu uns hinunter. Doch dies hier, diese nachgemachte Erdenmutter, Magna Mater, Pacha Kamaq, in wessen Pantheon sie auch liegt, sie läuft in sprunghaftem Gebein an allen und keinen Dingen vorbei, verleimt sich mit dem Blut der Jahrbücher, dem alten Kanon unseres Alters, schleppt Gewinde mit sich an, und merkt nicht bald, woran sie stirbt, wenn die Erfinder Gottes weitermachen! Erfinder Gottes auf dem Jahrmarkt. Erfinder Gottes auch in den Gärtens des Regens. Das Nichts ist hier ganz All geworden; das Wasser . . ganz Binnenschiff. Und so betrachteten wir die Aushänge an den Schaufenstern, die Palimpseste, die Artefakte, die nachmals Überbleibsel alles dessen würden, was diese Zeit bestimmt, und in ferner Hinkunft hofften wir auf ein maßgebliches Auge, das die Spreu vom Weizen so zu trennen verstehen wird, wie es Rubens mit Medusa machte. In jenem Momente würden die zartfühlenden Hämmerchen eines Pleyels auf uns niederklingen und uns zurück ins Jenseits rufen. Jener Stelle auf dem Jahrmarkt, die nicht nach zuckerbraunen Äpfeln roch, und zwischen dieser Mondluft einen Blick auf Handleser und Muse freiwarf. Aber wir standen am Fluss, und wussten nicht, auf welcher Seite.


Wie Schelling die Essentifikation beschrieb, muss sie jene reifizierte, verdinglichte Bedingung allen Lebens sein, der wir uns weder erlassen noch in welcher vervollkommnen könnten; weil sie eben nur das Leben selber, das der Ewigkeit nachstrebt, frei vom Tode oder Sterben ist, und die einzige Erkenntbarkeit, die für den Menschen nicht unwägbar bleibt, diese Essentifikation selbst ist, solange der Mensch lebt. In Ermangelung dieses Glaubens, schäten wir uns dieser Zeit von Älteren und Fachwerken, von mystifizierten Adligaten vergangener Hektoden, von den Bibliotheken und Bibliomantien, die darin zu finden, so ehrfürchtig und entfernt, als in der Vergangenheit bedingt. Und würden wir je ein Mal hoffen, es gäbe Vergangenheit auch nach uns, so wie viel Rückgratlosigkeit verbliebe, und so viel Leserschaften alten Übel, das wir dem, das seine Runden auf dem Weltball geht, in Missgeschick und Acedie vermachten. Man wird sich fragen, als worin sich heute schon der deutscheste Geist irgendeiner Krähwinkelei- oder der attischste seiner Antike vorgeworfen sah, ob sich der Vorwelt je ein Grundriss, eine Draufsicht scharfkantiger und berechenbarer Grenzen dargetan hätte, die unsere Aszendenz allmählich in ein derart gegenwärtiges Licht zu verschieben vermöchte, dass überhaupt nicht mehr in Frage zu sei, ob diese Unzuträglichkeit der Zeit, nicht zu jeder Zeit unzuträglich, ja unerfindlich war.

Am Flusse schien sich nichts von diesem Welträtsel derart komplizenhaft über das Altertum gelegt zu haben wie die mediävale Vorstellung von Grausamkeiten, Blut und Unrecht, der versittlichte Takt, mit dem wir in das Wasser zählten und uns die Länge dessen vorstellten, wie lange es schon lebte. Wir werden es nicht wissen.

Die Art, sich zeitlich überheben zu wollen, offenbart nur die Unwägbarkeit einer ganz anderen Kontingenz, einer insich geschlossenen Gegenwart wie die vielen Stellen auf dieser Erde. Fünfzig Meter weit vom Flusse würde hier nun alles sein, was wieder wieder nicht erkennen; nämlich etwas, das die in sich schließende Selbstbewegung jeder Zeit verdonnert hat, sich ansehen, sich tiefsehen, sich unter die Augen sehen - jede Zeit, die wir heute hatten, war darin eine Meisterschaft, so sehr maßlos, dass wir kaum einer anderen zu glauben verstanden hätten. Die Technologie der Gegenwart behauptet sich auf Ausreifungen der Telepathie, und, die uns kraft ihrer handfesteren Mystik als die finale Kraft jeder Omniszienz in Erscheinung getreten sein möge, alswenn nicht im Fortschritt, sie auch auf ein vergleichbares raison d'etre gegründet hat wie die Magie, die Technokratie und allerhand Quacksalber früherer Märkte. Es lässt die Welt nicht unter sich. Logen der Düsternis und spendende Säfte des Akutalismus. Die Wahrheit der vollständigen Welt ist nämlich durchaus nur die Permutation derselben Vorstellung. Jeder Epoche oblag immerhin ein Perzent von Katachronismus, das sie festigte, niemals zu sterben; in Anklang desselben man sich wieder übereilte, in babylonische Höhen hinauszustreben und Mittel und Applikaturen für die Urkräfte manu propria zu finden. Obschon, das ist ein Damaliges. Man hat uns ihre Hexerei an den Haaren herbeigezogen und an den Glauben gefesselt, für wenig Sonderbares zu verbleiben . . von stets hungriger Gestalt ist das sogar eine Gefahr, die keine Grenze kennt. Ein Explikat, dessen Definiertes wir zu finden schwer bemüht und in keiner Richtung aufgehen werden: das war vor uns liegt, ist nicht mehr hinter, das hinter uns nie wieder vor uns. Und das war der ewige Mensch.

. . wisst ihr, wo mich das hinführt?
Der Zweifel macht den Wert am Leben.

Ein Sonderbares, Mystisches mitunter, an dem es, wie um alles andere Sonderbares, merkwürdige Ereignisse, einen Fatalismus von höchster Natur und Beschlagenheit in der modernen Magie und demotischer Zauberei gegeben haben soll, wurde von alle denen furchtlosen keltischen Kämpen und Kriegern an uns überliefert, die sie nur von einem Bärenfell behütet und mit Tiermasken camoufliert in düstere Schlachten und unheilvolle Kriege eingezogen sein sollen. Derart lichtlos scheint es mir herüber, von den Feldern, die nunmehr besiedelt und denen wohl noch etwas Fremdes, etwas Blutiges und Höhnisches, ja, beinahe maßlos Höllisches zu entnehme sei, dass wir es jederzeit für Hohn und Spott verbrauchen könnten. Hier, wo die Eichen sich versammelt haben und ihr Wald Stellen für die Düsternis und Dämmerlichter übriglassen, dort lehrten diese Berserker den Feind wohl ihre Listen fürchten. Schergen, von denen wird geglaubt haben, ein Totenheer habe sich mit dem Tierkreis vereinigt, und wilde Bestien seien herausgeboren, gewappnet mit einem Blut, das sie geheimnisvoll im Dickicht schluchten, wodurch sie uns dann, nur mit Lumpen betucht und vor Raserei und Blutlust strotzend, wie eine ganz andere Art von Tier, ein unbekanntes, vorgekommen sein möchten. Müssen diese nicht derart antik, derart grau und fasrig von der Herkunft, eumenidisch, furienrot, schon eine Seltenheit in der Geschichte, ein Affront an unsere Angst, eine Wahrhaftigkeit geliefert haben, die uns mit Hexensabbat und Gebräu die ganze Zeitgleichheit verführt hätte . . . zu einem inneren, gewollten Wunsche? . .

. .  ein anderer Vorwurf der Geschichte, ihres Kolorits: man gerät in die Füchterlichkeit jener Kinder und Krummbuckel, die nur mit guter Phantasie vor allen Welten irregingen. Von solch einem Irrglauben wird man die Leute nicht mehr sprechen hören. Sie verstehen ihren Vorwurf nicht; man hat sich zeitens jedes Jahrhunderts, gleichwohl Ich vermute, von den Vorwürfen der Vorzeit erholt, und es hatte die Geschichte allemal nötig, die Artefakte auszulegen, sie haben die potentia aller irdischen Glaubwürdigkeit in die Höhe des Noumenon erhoben und Mischungen der Wissenschaft betrieben, die, wie die Spagirik an überhaupt keiner okkulteren Qualität hat einbüßen sollen, als die Medizin an der göttlichen Hand! Es ist mir eine Überlegung von höchster Priorität, zu verkünden, dass auch jene maßlose Zeit, in der wir leben, dieser archaischen Gewalt niemals standzuhalten vermöge - sie ist älter als das Jetzt und neigt zu tieferem Dithyrambos mit den Tieren und Gewittern. Jene Gezeiten, die dahingehend berichtigen möchte, wenn wir nur spüren würden was es meint, dann es auch ganz die Wahrheit über die Berg und Tal: Hierin ist das Tal geboren, und deshaln hat es auch die Berge!Man sieht es heute tief in der Geschichte liegen und verdorren: man hat die Eskamoteure auf den Pariser Jahrmärkten entdeckt, die Monas Hieroglyphica, das Zeitalter der Chevalerie, und man braucht kaum Geduld, bloß einen Hort, ein Kämmerlein mit Rechnungen, um ihren Daseinsgrund zu fälschen. Man wird tiefer danach graben müssen: schon ihre kolossale Dokumentation, vielzähliger als all die Matrikel über unsere paar Jahrzehnte, Almanache, die es nicht mehr gibt, als dazumal ihr Haupt erhöhet, man spürt die Drangsal ihrer Akribie, feinsinnig, übersinnlich in jede Furche unseres Hirnes spucken, verfluchen, und sieht vielleicht, der sich erniedrigt wähnt, die Wolfsmenschen inmitten schrankenloser Kriege, zwischen Brühkolben und toten Stiefeln, im Spiegelreich der düstren Heide, im Falle ihres Umkommens, noch an die Hände eines Engels glauben . .

[..] Eine Methode, die sich nur Ihre Höhlenkrieger anzuwenden unmenschlich genug fühlen, denn Sie machen aus jeder Schlacht eine ambrosische Geburt, ein zykloides Ungetüm aus brasilianischen Bräuchen und uneuropäischen Riten; sie müssen beleuchten, was sie besiegen.

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