Oppa Kurt

Text zum Thema Biographisches/ Personen

von  Nachtpoet

Schon im Flur ein Geruch von Leder und Zigarre. Oppa ist zu Besuch! Räuchert wieder Würste im Keller. Die Rillo* im Mundwinkel, die Faust geballt, schallendes Gelächter, Hoch das Glas! Schnäppsken hinterher, ("Brauchs ja Omma nich sagen"), Wir kannten das ja längst. Weiter erzählt, gelacht, Hände rudern, große Gesten und immer wieder lachen! Wenn Oppa Geschichten erzählte, dann war das immer ein spannendes Erlebnis! Oppa war der beste Alleinunterhalter! Nur das Thema Krieg machte ihn sofort ganz still und ausweichend. Komisch, dachte ich als Heranwachsender, wo er doch so ein Haudegen war, der aus der Gefangenschaft ausbüchste und den Franzosen die Zunge zeigte. Er war bestimmt kein Nazi, aber die Niederlage schmeckte ihm wohl nie, wo er doch in Serbien, Frankreich und Russland gekämpft hatte, mit bestimmt zehn mal mehr Mut als ich je gekannt habe im Leben!

Später wurde mir klar, warum er so eine Frohnatur war, so lebensbejahend, so herzlich, so kumpelhaft, und warum er MICH gerade so liebte. Sein Sohn, also mein Onkel war ein kolerischer Stinkstiefel und ein falscher Hund, schon als Kind. Ich war vielleicht so eine Art Ersatz. Der Sohn, den er sich eigentlich gewünscht hatte? Nach dem Krieg wollte er nur noch arbeiten, Geld verdienen, etwas aufbauen mit seiner Frau. Und Freitag abends Skat spielen mit Kumpels, über 20 Jahre jeden Freitag Skat. Und Fussball spielen wie gucken, oder im Radio die Übertragung hören, mit Rotwein und Zigarre. Schalke, immer nur Schalke, da kam er her, aus Gelsenkirchen, kurz vor dem Krieg, weil es dort keine Arbeit gab, noch nicht einmal für Metzker.

Er hatte diesen mörderischen Krieg überlebt und er wollte leben, gut leben! Als sie bei minus 30 Grad in Russland am heiligen Abend vor einem verkrüppelten, kleinen Tannenbaum Lieder sangen und heulten, da wusste er noch nicht, ob er noch mal nach Hause kommen würde. Aber jetzt war das Wirschaftswunder, er arbeitete wieder als Metzker und er arbeitete hart. Morgens um vier aß er immer Zwieback in Milch und brachte oft gutes Fleisch mit nach Hause, das Omma zubereitete, sie konnte verdammt gut kochen! Dienstags war immer Schlachttag, da musste er schon um zwei raus. Die Ems war dann immer rot vor Blut. Mutter kann sich auch noch daran erinnern. Der Familie sollte es gut gehen, er sorgte dafür, es war immer viel Fleisch da. Auch im Krieg kam er an Fleisch, als alle anderen fasten mussten, denn er machte nachts heimlich Hausschlachtungen und kriegte immer was ab. Omma meinte, das mit dem Schnaps trinken begann erst, als er in den sechzigern nebenbei wieder begann auf Bauernhöfen Hausschlachtungen zu machen. Da wäre er erst auf den Geschmack gekommen, vorher war das nicht so, da trank er nur Bier oder Wein.

Oppa hatte auch einen Partykeller mit einem großen Schaltschrank für die ganzen blinkenden Lichter in den Weinflaschenlampen und leuchtenden Seesternen, alles Maritim. Darunter war ein Kühlschrank mit einer Riesenschnapsflasche, von der er sich immer heimlich etwas eingoss, wenn er mal Getränke holen sollte. Einmal sah ich das und er hielt den Zeigefinger vor seinen Mund. "Psst, keinem davon erzählen." Flüsterte er mir zu. Ich stampfte die großen Kellerstufen wieder hoch und als man mich fragte, wo Oppa bleibt, blieb ich einfach stumm. Als sie mich dann drängten endlich was zu sagen, hielt ich mir nur den Feigefinger vor den Mund und machte: "psst". Da lachten alle schallend und wussten Bescheid, aber Oppa, der auch jetzt oben war, meinte: "Verraten hat er mich nicht, das kann man nicht sagen."

Er schob mich stolz im Sportwagen vor sich her und zeigte mir die Welt. Ich brachte ihn zum Lachen und er mich. Er machte so viel Faxen und neckte mich, ich gab's ihm zurück. Je mehr ich lachte, um so mehr machte er Späße. Er war der Vater, der Zeit für mich hatte. Mein Vater hatte wenig Zeit, war Fernfahrer, nur Sonntags, wenn er mich zum Frühschoppen mit in die Kneipe nahm, wo ich Erdnüsse in Dunkelbier versenkte.

Aber Oppa kaufte mir auch alles mögliche, wenn ich krank war. Supermann-Comics, Yps-Hefte, Hörspielkassetten, Schokolade, Überraschungseier, und und und. Er konnte sich in die Langeweile von kranken Kindern hineindenken. Er hatte dieses Gespür für Kinder. Er hatte überhaupt Gespür! Er war immer Mensch geblieben, er war sehr beliebt im Schützen- und Kyffhäuserverein. Ihn kannten fast alle in der Stadt. Vor allem beim TSG Rheda, da spielte er noch lange in der Altherrenmannschaft.

Es war ein herrlicher Ausblick vom obersten Stock des Krankenhauses, als ich mich an diesem Tag von ihm verabschiedete. Ich sehe ihn noch heute auf dem Bett sitzen mit seinem gestreiften Pyjama, fast wie ein Sträfling, ausgemergelt. Er lächelte als ich raus ging, hob die Hand und rief noch:" Guck mal da, aus dem Fenster kannste tolle Fotos machen, ja bis später!" Es war das letzte mal, das ich ihn sah. Aber das ahnte da nur er. Bis zum Tod blieb er ein harter Bursche. Später soll er zu seinem Sohn gesagt haben: "Schalt doch ab die scheiß Geräte, hat doch eh keinen Sinn. Omma meinte später, dass der Lungenkrebs nur von der scheiß Raucherei gekommen wäre. "Das kann man nicht immer sagen". Meinte Papa, der nie ohne Zigarette zwischen den Fingern zu sehen war.

Mein Oppa war ein Mann, der noch Anstand hatte und mir den auch manchmal beigebringen musste, einer der nie gegen andere gehetzt oder Unwahrheiten verbreitet hat, der dazwischen gegangen ist, wo es Ungerechtigkeiten gab, der sich für Schwache stark gemacht hat, einer der Streit geschlichtet und keinen angezettelt hat. Er konnte eine ganze Geburtstagsgesellschaft zum schallenden Lachen bringen und spielte mit uns Kindern im Garten Fußball, bis er nicht mehr konnte. Er mischte sich nicht in belanglose Streiterein ein, aber wenn ihm einer blöd kam, dann konnte er auch lospoltern. Er blieb seiner Frau immer treu und behandelte sie nie schlecht. Er trank manchmal ein bisschen viel, perfekt war er halt nicht, aber er war ein Mensch wie man ihn sich heute wohl manchmal wünscht. Ein Mensch mit Herz. Mir wurde das erst richtig als Erwachsener klar, als er schon tot war. Ich wünschte, ich könnte ihm das heute sagen.


Anmerkung von Nachtpoet:

Oppa Kurt 1912 - 1991

*Rillo = Zigarre
Oppa mit Doppel-P ist westfälische Ausdrucksweise

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Kommentare zu diesem Text


 Nora (31.12.13)
Dein Text berührt mich sehr... ich kenn auch diesen Typ Mensch.. mein Paps war auch so.. und ja, es ist schade, dass vieles untersagt bleibt aber ich glaube, dass Dein Oppa das alles wusste... bin ein wenig sprachlos.. Ein Prösterken auf Deinen Oppa!

 Nachtpoet meinte dazu am 31.12.13:
Dank dir Nora! Genau! Wie mein Oppa immer sagte: "Prost Prost Prösterken, besser wie im Klösterken!"

 Jorge (31.12.13)
Eine Hommage an Oppa Kurt.
Da spürt man die tiefe Zuneigung zwischen Opa und Enkel.
Jahresendgrüsse
Jorge

 Nachtpoet antwortete darauf am 31.12.13:
Freut mich Jorge! Danke! LG Guten Rutsch!

 susidie (31.12.13)
Und schon landete ich auf youtube nach deinem Text.
Das Einzige, was ich dem hinzufügen kann.

http://www.youtube.com/watch?v=9gERef9rshU

(Lyrics-Version, sonst wird's wohl kaum verstanden, g*)

Guten Rutsch und lieben Gruß von Su :)

 Nachtpoet schrieb daraufhin am 31.12.13:
Ja danke! Der Text passt schon ein bisschen. Guten Rusch!
Zweifler (62)
(31.12.13)
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 Nachtpoet äußerte darauf am 01.01.14:
Dank dir Zweifler! Ja das stimmt! Schönes neues Jahr!
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