Falsches Leben

Gedicht zum Thema Selbsterkenntnis

von  Galapapa

Falsches Leben

Im Fenster lief der Film „Die Einsamkeit“,
sie hatte ihn schon viel zu oft gesehen,
doch konnte sie ihn wieder nicht verstehen
und draußen, da zerfloss die rare Zeit
im Lärm der Straßen und der Stimmen.
Die Lichter fingen an, ihr zu verschwimmen.
Für den Moment schien sie beinah befreit.

Doch war es wieder nur ein Augenblick.
Sie sah ihr Antlitz in den Fensterscheiben
sich selber staunend ihre Augen reiben,
die Stadt klang plötzlich fremd und wie Musik.
Das Spiegelbild der Nacht begann zu schreien,
versuchte sich vom Echtbild zu befreien.
Sie spürte kalte Hände im Genick.

Und wieder hat sie sich nicht selbst erkannt,
da draußen, diese Welt war nicht ihr Leben.
In einer andern Dimension zu schweben,
das war ihr Traum, in dem sie sich befand.
Dort gab es weder Schuld noch all die Pflichten
und keine Zeigefinger sie zu richten.
Schon wieder war sie vor sich weggerannt.

Die Reflexion saß auf der Fensterbank
und hielt ihr stumm die Wirklichkeit entgegen,
sprach: „Komm!“ doch konnte sie sich nicht bewegen,
vor Unvermögen wie gelähmt und krank.
Es wurde spät, der Lärm von draußen schwächer,
ihr Glas war leer, ein voller Aschenbecher -
Sie weinte, als sie auf den Boden sank.

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Kommentare zu diesem Text


 miljan (02.11.14)
Zweifelsohne ein, wie ich finde, sehr gutes Gedicht. Aber was mir auffällt: "und draußen, da", "Die Lichter, sie", "den Moment, da", "Da draußen, diese Welt", "zu schweben/, das war". Ich finde jede dieser Stellen für sich genommen recht unauffällig, in ihrer Gesamtheit allerdings scheinen sie mir auf eine handwerkliche Schwäche im Gedicht hinzuweisen, nämlich auf einen gescheiterten Versuch, Satz und Metrum ausreichend zusammenzubringen. Wir würden sonst wohl sagen: "und draußen zerfloss", "die Lichter begannen", für den Moment war sie fast befreit", "die Welt da draußen war nicht ihr Leben", "zu schweben, war ihr Traum". Aber das alles würde vom Rhythmus her nicht passen, daher die Hilfskonstruktion, einen Teil voranzustellen, auf den sich dann bezogen wird. Tatsächlich ist das eine Kritik, die sehr ins Detail geht und dass dein Gedicht außerordentlich gut gemacht ist, soll sie gar nicht infragestellen, aber ich denke dennoch, dass die besagten Stellen Brüche sind, die irgendwie zu kitten den Lesefluss und die Melodiösität nochmal steigern würde.

lieben Gruß,
miljan

 Galapapa meinte dazu am 02.11.14:
Hallo miljan,
herzlichen Dank für Deinen Kommentar, die Empfehlung und Deine Hinweise!
Nun, wer einige meiner Gedichte gelesen hat, der wird mir sicher abnehmen, dass es für mich kein Problem gewesen wäre, die genannnten Stellen auch anders zu formulieren. Ich will damit sagen, dass ich diese Stellen ganz bewusst und nicht in Not und der Metrik geschuldet so ausgedrückt habe.
Allerdings gebe ich Deinem Einwand insofern Recht, dass ich es in diesem Text vielleicht übertrieben habe mit diesem Stilmittel. Mich selber hat es nicht gestört, doch wenn ich von Lesern auf solche Dinge hingewiesen werde, dann werde ich sofort hellhörig, denn all zu leich vergaloppiert man sich in solchen Dingen.
Ich habe deshalb zwei dieser Formulierungen eliminiert durch Umschreibung, so dass nur noch drei solche Stellen verbleiben.
Aber warum? Ich möchte dem Text mit diesem Mittel den Anstrich der spontanen Sprache, des Erzählens geben.
Ich sage aber nochmals: In der Häufung, in der dies ursprünglich der Fall war, wird das aber unschön, das gebe ich zu.
Es gibt noch einen anderen Grund:
Ich stand noch etwas unter dem Eindruck einer Lesung, die ich zwei Tage bevor ich diesen Text geschrieben habe bestritt. Dabei lag es mir an einigen Stellen wieder mal auf der Zunge, die gelesenen Verse im Vortrag umzustellen, um sie theatralischer darstellen zu können. Formulierungen wie "...in einer anderen Dimension zu schweben, das war ihr Traum..." erzeugen eine ganz besondere Dynamik der Betonung, die mir beim Vortrag besonders wichtig ist.
Als ich das Gedicht schrieb, stand ich wohl noch ziemlich unter dem Eindruck der Lesung und hab's ein wenig zu gut gemeint. So wie es nun dasteht, sollte es aber nicht mehr zu aufdringlich sein.
Nochmals vielen Dank und liebe Grüße!
Charly
Graeculus (69)
(02.11.14)
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 Galapapa antwortete darauf am 02.11.14:
Hallo Graeculus,
ein sehr schönes Lob vom Fachmann, das freut mich besonders!
Lieben Dank dafür, auch für die Empfehlung!
Die Vereinsamung vieler, vor allem alter Menschen sehe ich im Zusammenhang mit den Veränderungen unserer Gesellschaftsstrukturen, wie ich sie im Laufe meines Lebens mit ungutem Gefühl beobachtet habe.
In der Großfamilie, in der mehrere Generationen zusammen lebten, hatten auch die Alten einen Platz und eine Aufgabe.
Im Zuge eines sich ausbeitenden, gnadenlosen Egoismus sind heute viele Menschen nur noch dann bereit auf andere einzugehen, sich selbst im Interesse anderer zurückzunehmen, wenn ihnen gerade danach ist. Ansonsten aber macht jeder sein Ding und alles andere ist ihm egal.
Immer mehr Ehen werden geschieden, zurück bleiben gestresste Alleinerziehende und sog. Singles und keiner hat mehr Zeit oder Platz für die Älteren. Das ist nur noch ein kleiner Schritt dahin, dass der Nächste nicht mehr nur ignoriert, sondern auch nicht mehr respektiert wird.
"Ich will leben und wehe es stört mich einer dabei!" Mit diesem aggressiven Klima, das sich vor allem in den Städtn auslebt, werden auch immer mehr junge Menschen nicht mehr fertig und vereinsamen.
Wie werden wir einst sterben? Wer weiß?
Aber wer sagt uns, dass wir wirklich alles aussitzen müssen?!
Die Politik hat das "sozial verträgliche Ableben" doch schon lang in den Schubladen, oder?!
Beunruhigend ist das allemal.
Nochmals danke und liebe Grüße!
Charly

 Fuchsiberlin (02.11.14)
Die Reflexion saß auf der Fensterbank
und hielt ihr stumm die Wirklichkeit entgegen,
sprach: „Komm!“ doch konnte sie sich nicht bewegen,
vor Unvermögen wie gelähmt und krank.
Es wurde spät, der Lärm von draußen schwächer,
ihr Glas war leer, ein voller Aschenbecher -
Sie weinte, als sie auf den Boden sank.

Ein passender Abschluss, so empfinde ich es. Ein inneres Gefängnis, und das für sie gefühlte "fremde Leben" bewegt sich außerhalb ... Außerhalb der Einsamkeit ...

Meine Interpretation.

Liebe Grüße
Jörg

 Galapapa schrieb daraufhin am 02.11.14:
Hallo Jörg,
Deine Interpretation stimmt mit dem überein, was ich damit ausdrücken wollte.
Dieses moderne Stadtleben, das basiert immer mehr auf Frei- und Ungebundensein und grenzt die aus, die menschliche Nähe brauchen und ein gewisses Maß an Geborgenheit. Und eben die bleiben auf der Strecke dabei und vereinsamen oft, vor allem wenn sie an die Stadt gebunden sind und nicht "fliehen" können.
"Das da draußen ist nicht mein Leben" oder "in meinem Leben erkenne ich mich nicht wieder", so kann die Verzweiflung heißen, die dabei entsteht. So interpretiere ich diese ungesunde Entwicklung, die auch in einem stetig steigenden Ausmaß an Egolismus niederschlägt.
Herzlichen Dank für Deinen Kommentar und Deine Empfehlung!
Liebe Grüße!
Charly
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