Von allen Hummeln verlassen

Text

von  kalira

Ich spüre sie nicht nur, ich höre sie auch. Ich höre sie in meinem Kopf, höre sie mit ihren Hakenfüßchen durch die Furchen wühlen, spüre, wie sie mit ihren Flügelchen zittern. Frontal-, Temporal, Parietallappen, alles Arztworte, alles Orte in meinem Hirn, Areale. Vorn, hinter der Stirn, seitlich an den Schläfen und von hinten, als würden sie die Wirbelsäule hinauf und hinein in meinem Kopf kriechen. Überall spüre und höre ich sie. Hummelstock, dieser Schädel. Sie sind überall. Und dort draußen das umgeworfene Katzenloch. Die Flinte lehnt noch am Tisch. Minimiez ist ein Beweisstück. Ich habe den Fellklumpen ausgegraben und in eine Folientüte geworfen. Erst holte ich das Gewehr aus dem Keller, dann Minimiez aus der Erde.

Die Kinder werden gleich zurück sein. Mit vollen Mägen, mit zuckrigen Lippen und einem kalten Döner für mich im Beutel. Ohne Zwiebeln, ohne Tomaten aber mit scharfer Soße. Aber bevor sie hier sind, gehe ich vielleicht besser hin. Klaus hat ein Motorrad. Minimiez wurde überfahren. Hummeln im Kopf und Lügen im Hintern. Miniklaus wohnt an der Ecke, die Kinder sind Döner. Hinter meinen Ohren brennt es. Meine Nase läuft. Im Ohr ein Rauschen und Hummelflügel, die gegeneiner reiben. Blut aus meiner Nase. Das Luftgewehr lehnt am Tisch. Die Zielscheiben in den Tüten der Kinder. Ohne Zwiebeln aber scharf.

Die Lügen haben laute Flügel. Ich höre sie in meinem Kopf. Es muss in meinem Kopf sein, denn wenn ich die Ohren zuhalte, höre ich sie trotzdem. Ich höre Vater aus dem Meer kommen, ich sehe Mutter rufen, ich grabe den Kindern ein Erdloch und werfe es um. Spannen! Die Feder muss gespannt sein. Peng! Schussbereit. Zuvor Munition einlegen, Zielscheibe fixieren.  Peng! Speder muss gefannt. Mution legen. Eng!

Ich höre alle Hummeln gleichzeitig. Ich sehe die Kinder kommen. Ich will schreien. Ich schreie nicht. Ich muss die Hände an die Ohren, nein, die Hände an die Flinte legen. Nicht abdrücken ohne zu zielen. Klauskinder. Kalten Döner in die Tüte zur kalten Katze. Beweismaterial. Spurensicherung. Nicht ohne mich. Nicht mit mir.

Peng! Ein Kind fällt um. Die Hummeln kreischen. Spannen. Peng! Noch ein Kind fällt um. Aus der Nase läuft Blut. Spannen. Die Hummeln kratzen, werden größer, werden groß, kommen mir aus den Ohren heraus, aus der Nase, aus dem Mund, ich erbreche pelzig und stachelig. Peng! Tot.

Drei Kinder liegen, liegen auf aufgewühlter Erde. Liegen im Frühling, als wäre es Sommer. Blutig und noch warm. Mein Kopf ist von allen Hummeln verlassen. Peng!

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Kommentare zu diesem Text

Ingrid. (38)
(01.05.18)
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 kalira meinte dazu am 02.05.18:
einer der eigen-artigsten kommentare, die ich je hier auf kv bekommen habe. DANKE dafür :) dafür lohnt sich so einiges. hm. hoffentlich nicht zu "hummelfeindlich" für deine hummelliebe?
Ingrid. (38) antwortete darauf am 06.05.18:
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 Isaban (01.05.18)
Ein grauenhafter Text, der mich von der ersten Zeile an gefangengenommen hat. Gut ist er. Und grauenhaft und ziemlich hummelfeindlich. Kinderfeindlich. Klausfeindlich. Dönerfeindlich und von allen Hummeln verlassen.

 kalira schrieb daraufhin am 02.05.18:
danke für dein lesen und kommentieren!
ja. grausam. ich bin unsicher, ob sich das bild der hummeln im kopf der leserin / dem leser erschließt.
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