Ein Abend bei den Linken

Kurzgeschichte zum Thema Tanz(en)

von  RainerMScholz

Ich weiß nicht, weshalb ich alleine hingegangen bin, mit Chris war ich aber auch schon einige Male da; mir war langweilig, oder ich wollte nur für mich an der Theke stehen, neue Freunde kennenlernen und so; ich hab´ ja keine; oder das besondere Wohnbauwagenflair eines besetzten Hauses auf mich wirken lassen. Ich weiß es nicht mehr. Chris war schließlich auch schon alles gewesen: Punk, Skinhead, Rocker, Hooligan, schwuler Hetero oder umgekehrt, Obdachloser aus Überzeugung und einmal sogar festangestellter Sozialpädagoge. Der kannte alles und jeden. Ich dachte, das färbt irgendwie ab. Mich kennt jetzt auch jeder, weil ich einmal mit der coolsten Sau von allen hier war. So ein Quatsch. Ich setzte mich auf einen wackligen Aluminiumbarhocker mit kaputtem Lederpolsterimitat und bestellte ein Jever, was anderes gab es gerade nicht. An der Decke baumelten eine bunte Glühbirnengirlande und Plastikweinreben, die Musik krachte aus verbeulten Lautsprechern und hinten in der Nische saßen Leute in grellkarierten Klamotten und Nietengürteln. Eine geschäftig missmutige junge Frau mit kornblumenblauem Bubikopf stellte das Flaschenbier vor mich hin und kassierte gleich. Ich lächelte, sie nicht. Im Laufe des Abends füllte sich die Besetzerkneipe mit illustrem Publikum, ich kannte tatsächlich den einen oder anderen vom Sehen, aber zu einem Gesprächsaustausch kam es nicht, während alle anderen sich prächtig zu amüsieren schienen. Ich wurde immer übellauniger. Und immer betrunkener. Ein Bier nach dem anderen kam die Theke hinunter von dieser Zyanblauen. Die unnatürlichste Farbe, die ich je bei einer Frau auf dem Kopf sah. Die alten violettgefärbten Vetteln ausgenommen. Nur damit man das Grau ihrer strohigen Haare nicht gleich erahnt. Strohig wie das Innere ihrer hohlen Birnen. Verwelkte Wachteln im dritten Frühling. Ich glaube, mittlerweile führte ich auch Selbstgespräche oder monologisierte mit irgendwelchen Opfern, die sich nur ein Getränk an der Theke bestellten. Auch über Politik und so. Und Frauen. Im Allgemeinen. Dann stellte das zyanblaue Fräulein das nächste Bier vor mich, ungeöffnet, also, der Kronkorken war noch auf der Flasche, und rief in eine allgemeine kneipengezeitigte Ruhepause: „Sag´ `mal, dich kenn´ ich doch,“, mit dieser schrillen, saalfüllenden Jahrmarktsstimme, „du bist doch Zivilfahnder, oder?!!“. Der Geraunepegel war wie abgeschnitten, alle starrten in meine Richtung, sogar das Punkgewummere aus den Lautsprechern schien verstummt zu sein. „Nein,“, versuchte ich zu antworten, „ das...stimmt nicht...äh, nö.“. Ich verzerrte meine Mimik mit einem gequält ungewollten Lächeln, das nicht so aussah, während ich fassungslos in das Gesicht der Zyanigen glotzte. Sie wiederholte in die Stille: „ Du bist doch Zivilbulle!“. Ich bleckte die Zähne in mein Portemonnaie, kramte die zwei Mark fuffzig heraus, legte die Münzen vor mein ungeöffnetes Bier, rutschte verquer vom Barhocker und verließ das Etablissement. Die bunten Glühbirnen schaukelten sachte im Wind, aus den Lautsprechern kam leise U.K.Subs: Endangered Species, und alle steckten wieder die Köpfe zusammen und die Irokesenbürsten und unterhielten sich weiter.
Ich war wirklich lange nicht mehr hier gewesen. Viel verändert hat sich nicht. Ich bin immer noch nicht bei der Polizei, doch heute scheint das niemanden zu interessieren. Bier kostet jetzt zwei Euro fuffzig, U.K.Subs läuft immer noch gelegentlich, die Leute kenne ich alle nicht. Und auch die Kornblumenblaue kennt mich nicht. Sie hat jetzt auch sonnenblumengelbe Haare. Und ist vielleicht jemand anders. Wenn er heute nicht ein ganz anderer wäre, käme Chris gleich um die Ecke, vielleicht, und wir würden Apfelwein trinken, den vom Stier am Main.


© Rainer M. Scholz

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (09.05.18)
Hossa, Rainer, Du kannst ja auch nicht-eklig!

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 13.02.20:
...aber was ist ein "Wohnbauwagen"?
Die Dinger zum Pausemachen auf den Baustellen heissen "Baustellenwagen" und z.T auch "Bauwagen", "Wohnwagen" sind altbekannt und fahren nach Italien und Spanien. Aber das Kompositum "Wohnbauwagen" ist unbekannt, ist das so ein Hippster-"Tiny House"?
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