Feyener Relief

Kurzgeschichte zum Thema Erwachsen werden

von  RainerMScholz

Illustration zum Text
(von RainerMScholz)
Die Rinne befand sich in einem hohlen Wacholder- und Brombeergestrüpp, das den Hang abfiel nach Medard zu und vor den Bahngleisen endete, eine Bahnstrecke, die damals noch von roten Einschienenbussen bedient wurde, mit denen Großmutter mit mir zu den entfernten Verwandten nach Igel fuhr, an Konz vorbei, zwischen Trier und Wasserbilligerbrück. Wolfgang Schwind hatte den geheimen Ort gefunden, der gleich hinter der baufleckigen Rückseite der neuen Turnhalle versteckt war, zu der wir im Turnunterricht immer quer durch den Feyener Weg von der Grundschule im Gänsemarsch mit unseren Turnbeuteln hinmussten, um in der stickigen und nach Jungenschweiß riechenden Halle auf diesen fleckigen, an den Ecken abgestoßenen Matten unsere vorgegebenen Übungen an Leib und Seele zu vollziehen. Hinter der Halle lagerten verrottende Holzpaletten und ein mürber Bauwagen ohne Räder, in dem manchmal Clochards übernachteten oder sich ausnüchterten. An einer dieser Paletten und schimmelpilzbesetzten feuchten Bretter mit den hervorstehenden rostigen und schartigen Nägeln muss ich mir einmal eine Blutvergiftung zugezogen haben, die meine Oma rechtzeitig an dem venösblauen Strich an meinem linken Unterarm erkannte, der allmählich zur Schulter emporkroch und mich tötet, wenn er das Herz erreiche. An ihrer Hand gingen wir über die Stadtteilgrenze hinaus, über den leeren staubigen Sportplatz, an der Franzosensiedlung vorbei zu dem Kinderarzt Doktor Markward, der auch meine beiden Schlüsselbeindislokationen behandelt hatte, durch die ich gezwungen gewesen war, die Sommerferien und die Hundstage im August daheim zu verbringen und nicht mit den Freunden im Freibad Süd mit dem Zehn-Meter-Sprungturm und den Fritten mit Ketchup aus dem Pappschälchen.  Doktor Markward behandelte die Sepsis in seinem mit Marmor getäfelten Privatsprechzimmer pro bono erfolgreich. Als ich ihn sehr viel später um ein Attest über meine diversen Gebrechen zur Vorlage bei der Eignungskommission der Bundeswehr bat, schien er jedoch der Meinung zu sein, dass solche Plebejerkinder, wie ich eines war, sehr wohl bei der Armee gut aufgehoben seien, um ihren Bürgerpflichten nachzukommen, was er mir wiederum schriftlich bescheinigte. Vielleicht wollte er sich auch nur dafür rächen, dass sein Sohn Pierre, der bestimmt auch Arzt geworden ist, bei uns in der Klasse wegen des Standes seiner Eltern immer nur gehänselt worden ist und nie wirklich zu uns gehörte, auch nicht nach der einmaligen Einladung zu seiner Geburtstagsfeier mit kerzenbestückter Torte und bezahltem Lustigen August. Wir wussten nicht einmal, wie wir die winzigen Kuchengabeln richtig zu halten hatten und Pierre hatte an seinem siebten Geburtstag bestimmt am wenigsten Spaß von uns allen und weniger Freunde denn je.
Auch weil er beim Wurstschnappen stets zu gewinnen schien, ein Spaß, den sich der fette Schulhausmeister beim jährlichen Sportfest machte, um die Kinder zu belustigen, nachdem wir bei den verschiedenen Wettkämpfen unsere Siegerurkunden und Preise – Kugelschreiber, Luftballons, Lineale - erhalten hatten, die von den Honoratioren von Trier-Feyen gestiftet worden waren und von der Sparkasse. Der fette, große Mann in seinem ewigen grauen zeltförmigen Hausmeisterkittel band dann eine dicke, rote Wurst an eine Schnur, die an einem langen Stecken befestigt war, und wir hüpften dann mit offenen Mündern, die Hände spielerisch auf den Rücken gefesselt, nach der über unseren Köpfen baumelnden Wurst, während der riesige Angler lachte unter der heißen Sonne und schwitzte, lachte und schwitzte in der staubenden Glut des offenen Feldes des Fußballplatzes, unter dem Gejohle der Mütter und Väter und großen Brüder und großen Schwestern, der Onkel und Tanten. Dann tranken wir süße gelbe Limo, sahen dem Spiel der Bezirksklasse zu, und gingen schweißdurchtränkt und erschlagen heim.
Hinter diesem verdorrten Rasen und der angeschlossenen Turnhalle mit der verrottenden Rückseite und dem löchrigen Zaun hatte Wolfgang diese neue und aufregende, abenteuerversprechende Rinne in der Dornengestrüpphecke gefunden, durch die wir erst mühsam einen Durchgang finden mussten. Ein kleines Rinnsal tröpfelte aus einem kniehohen Tonrohr, dessen braune Glasur zum Teil abgesplittert war, floss eine steile glatte Ziegelsteinrutsche hinab, und man konnte, wenn man geschickt war und die richtigen Schuhe anhatte, bis hinunter zum Bahndamm gleiten, wo die Rinne im Boden verschwand. Jauchzend und schreiend rutschten wir den braunen Tunnel hinab, umsäumt von gründornigen Heckensträuchern, die den Tag in ein geheimnisvolles Zwielicht tauchten. Wolfgang und Peter und Mario, Frank Schuler und Stefan Konder und ich. Wir verteidigten unser neues Revier gegen die Bande von der Weismark mit Stöcken und Ruten, und Wolfgang Schwind traf einen der Jungen mit einem Stein am Kopf. Wenn Erwachsene den Treppenhohlweg heraufkamen, der Medard mit Feyen verband, dann verhielten wir uns ganz still, und waren sie fort, dann kicherten wir hinter vorgehaltener Hand und riefen hinter ihnen her. Wir blieben bis spätabends. Meine Großmutter kam nach mir suchen und wir kriegten geschännt; aber niemand wusste genau, was wir trieben.
Christoph Pautz, der Bruder von Peter, hatte sein Moped in die Werkstatt nach St. Matthias gebracht und kam zu Fuß den Hohlweg zurück, die wackligen schlickigen Treppensteigen hinauf und sah uns zwischen den grauen Holundersträuchern. Er rief seinen Bruder, riss ihn am Arm und schimpfte. Betreten kam Peter zu uns und wies auf das endoskopische Loch aus dem Boden, die moosigen Stücke und Brocken in der Rinne und Giftefeu, der nur an bestimmten Stellen gut wächst. Wolfgang rutschte ein letztes Mal, die Hose zerrissen und feucht. Schweigend gingen wir heim und wuschen uns aus freien Stücken die Hände und das Gesicht.


© Rainer M. Scholz

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (15.01.19)
Die ohne Not viel zu langen Sätze machen das Lesen sehr mühsam bis unmöglich - Schade, es scheint eine interessante Geschichte zu sein.

P.S.:
Erwachsen werden -> Erwachsenwerden

 RainerMScholz meinte dazu am 16.01.19:
Das macht die Übung.

Wenn das mit dem Erwachsenwerden nicht klappt, dann wende dich bitte an den Admin, da ich nicht weiß, wie ich die vorgegebenen Kategorisierungen ändern sollte.

 Dieter_Rotmund antwortete darauf am 16.01.19:
Ach, das steht schon so (falsch) im Scrolldown-Menü? Herrje.

Ein Meister der langen Sätze ist z.B. Thomas Bernhard.

 RainerMScholz schrieb daraufhin am 16.01.19:
Ein Meister der kurzen Sätze ist z.B. Bukowski.

Scrolldown-Menü - wie mag da das deutsche Wort sein? Im übrigen öfter einmal ausprobieren, geht ja hoch und `runter, wie das Leben, `mal so, `mal so, wie im 'Kalkwerk' des 'Kreaturhassers', wobei die Sätze so lang da auch nicht sind.

Antwort geändert am 16.01.2019 um 14:36 Uhr
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