Balkon

Kurzprosa

von  BeBa

Undeutlich. Wie Nebel. Da so etwas wie ein Gesicht. Nein, zwei. Ich schließe die Augen, öffne sie wieder. Ja, sie sind da. Jetzt deutlicher. Alles fing so an:

Ich bin nur kurz auf den Balkon gegangen, um eine Zigarette zu rauchen, schaute über die Brüstung nach unten und sah sie. Und sie mich.
Zwei Männer, gepflegt, soweit ich das von oben erkennen konnte. Einer ein Strich in der Landschaft, der Andere fett wie ich. Der Dicke zeigte hoch zu mir, der Dürre folgte dem Fingerzeig und schon schauten beide. Ich machte einen Schritt zurück, zündete die Zigarette an und nahm einen ersten tiefen Zug durch die Lunge, als es an der Haustür klingelte.
Wer mich nicht kennt, dem sei hier erklärt: Ich erwarte grundsätzlich niemanden außer dem Post- oder Paketzustelldienst. Da es Sonntag war, konnte beides ausgeschlossen werden.
Es klingelte erneut. Die Zigarette drückte ich vorsichtshalber im Ascher auf dem Balkontisch aus, um dann unwillig, aber mangels Alternativen mit der Haussprechanlage den Fürbitter zu kontaktieren.
„Schön, dass Sie mit uns reden!“, kam von unten.
„Wie bitte?“ Mir fiel nichts ein.
„Wir sind uns soeben begegnet“, sagte die Stimme.
„Wie bitte?“ Mir fiel noch immer nichts ein.
„Herr Leimen?“
„Das bin ich, ja.“
„Wir stehen hier unten. Sie haben zu uns heruntergeschaut. Sie erinnern sich?“
Das war gerade mal fünf Minuten her. Wer erinnert sich nicht daran?
„Nein.“ Ich war dabei, das Gespräch zu beenden.
„Warten Sie!“
„Wie bitte?“, fragte ich. Was sonst?
„Wir würden gern mit Ihnen reden“, meinten sie von unten.
„Mit mir?“ Unvorstellbar.
„Genau, mit Ihnen. Was meinen Sie?“
Keine Ahnung wie, aber sie standen plötzlich vor der Wohnungstür. Durch meinen Türspion erkannte ich die beiden von der Straße. Sie klopften. Einmal, zweimal, dann klingelten sie. Was blieb mir, außer zu öffnen?
„Guten Abend.“ Sie waren freundlich. Ich ebenso und bat sie herein.
Wir im Wohnzimmer. Die Tür zum Balkon noch offen.
„Dort also!“, sagte der Dürre. Und der Dicke nickte.
„Was?“, fragte ich.
Die beiden lächelten. Es war, mit Verlaub, ein dämliches Lächeln.
„Sind Sie unglücklich?“, vernahm ich den Dicken.
„Warum?“
„Probleme?“, wisperte der Dürre.
Ich zuckte mit den Achseln. Die beiden lächelten wieder. Genauso dämlich wie zu Anfang. Für meinen Geschmack.
„Sie wollten springen?“, meinte der Dicke. Seine Schweinsaugen fixierten mich.
„Wohin?“
„In die Freiheit!“, wisperte der Dürre. Seine Stimme schwoll an.
Meine Achseln zuckten.
„Letzter Ausweg?“, fragte der Dicke.
„Können wir mal?“, meinte der Dürre und zeigte mit dürren Fingern in Richtung Balkon.
Ich zuckte.
Der Dürre ging vor. Ich zögerte, aber der Dicke hakte sich bei mir ein und so betraten wir vereint den Balkon.
Einer von ihnen zeigte auf den Ascher und die kaum angerauchte Zigarette. „Verzweiflung!“, kommentierten sie im Chor.
„Welches Stockwerk ist das hier?“, fragte der Dürre, jetzt entschlossen mit kräftigem Organ. Die Frischluft tat seiner Stimme wohl gut.
„Zweites“, erklärte ich zögerlich im zärtlichen Griff des Dicken.
„Sollte gehen!“, meinte der Dürre.
„Wir wollen Ihnen helfen“, sagte der Dicke und seine Umklammerung wurde immer inniger. Je mehr ich versuchte, mich aus seiner Umarmung zu lösen, desto anhänglicher wurde er.
Er hielt meinen Kopf über die Brüstung und gab mir damit Gelegenheit, die Straße dort unten zu betrachten, wo gerade noch meine beiden Helfer gestanden und zu mir hochgeschaut hatten.
„Es ist jedes Mal schwer“, sagte der Dürre. „Aber es kann klappen.“
„Was kann klappen, verdammt noch mal?“, fragte ich. Und hatte mich damit sicherlich im Ton vergriffen.
„Na, Ihr Plan!“, meinte der Dürre, wieder schwächlicher wispernd.
„Und?“, hörte ich den Dicken. Jetzt übertrieb er seinen Griff, es begann zu schmerzen.
„Ich wollte eine Ziga....“ Der Dicke hob mich hoch und dann ...

...
„Der zweite Stock hat nicht funktioniert“, wispert der Dürre ganz schüchtern.
„Aber hier liegen Sie im Siebten“, brummt der Dicke, scheinbar leicht gefrustet. „Das wird schon!“
Hört sich doch gut an.

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Kommentare zu diesem Text


 AchterZwerg (31.12.20)
Übergewichtige Raucher haben es in jeder Hinsicht schwer; ein Selbstmord auf Raten erscheint ihnen gleichwohl leichter als der verkürzende Sprung vom Balkon. Na ja, wenn man "nur" im zweiten Stock wohnt ...
Ein schwarzhumoriger Neujahrstext, der an gute Vorsätze gemahnt.

Packemasan

 BeBa meinte dazu am 01.01.21:
Danke, 8ter.

Gutes Neues dir!

LG
BeBa
Palytarol (59)
(31.12.20)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 BeBa antwortete darauf am 01.01.21:
Danke dir.

Gutes Neues 2021!

LG
BeBa
Sätzer (77)
(02.01.21)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 BeBa schrieb daraufhin am 02.01.21:
Danke dir, Sä.
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