Freie Wahl der Religion

Parodie zum Thema Freiheit/ Unfreiheit

von  Terminator

Vor zehn Jahren drückte ich aus Langeweile die Select-Taste hinter dem linken Ohr, und mir erschien im Geiste eine transparente Benutzeroberfläche. Ich stellte fürs Erste eine andere Helligkeit ein, veränderte die Farbsättigung, wählte dann die Taste "Optionen" und des Weiteren "Religion wählen". Ich dachte, Buddhismus wäre eine coole Religion, oder warum nicht Islam? Nein, dachte ich, ich wähle eine Religion, deren Anhänger die niedrigste Geburtenrate aufweisen, sprich im Durchschnitt die wenigsten Kinder auf diese glücksferne Welt setzen. Später besann ich mich und wählte die Religion mit den höchsten und komplexesten moralischen Werten, mit den größten Freiheiten und der konkretesten Bestimmung der Menschenwürde, mit der höchsten Autonomie des Menschen vor Gott, dem Staat und dem kulturellen Milieu, und so wurde ich Christ.

Das Christentum war gewitzt genug, nach der Aufklärung nicht auseinanderzubrechen, sondern alle Werte, alle kulturellen und ethischen Errungenschaften in sich aufzunehmen, die einst von nicht selten atheistischen Freigeistern aufopferungsvoll gegen das institutionelle Christentum durchgesetzt wurden. Wäre das Christentum sich treu geblieben und hätte auf seinen frühmittelalterlichen Werten beharrt, gäbe es heute entweder kein Christentum oder keine freiheitliche zivilisierte "westliche" Welt. Zur Koexistenz von Menschenrechten und Hexenverbrennung gehört jedenfalls mehr Phantasie, als eine Gesellschaft aushalten kann.

Da sich die Geschichte so und nicht anders abgespielt hat, ist heute Christsein kein Widerspruch zu den Menschenrechten, sondern deren Bestätigung, und darum bin ich Christ. Im Übrigen bin ich gegen Kopftücher in geschlossenen Ortschaften bei Tempo 120 und darüber, für den Verbot des Raucherverbots in Eckkneipen mit Muezzin, für die Gegner der Kreuze im Schwimmbad für Klassenzimmer mit Migrationshintergrund und gegen Regenwälder, die für überflüssige Bücher abgeholzt werden. Etwas ist mit mir nicht in Ordnung, wenn ich eine Religion praktiziere, die den ohne sie bereits bestehenden Werten und Normen nichts hinzufügt außer schlechten Märchen und phantasiearmen Mythen.

Moral ist etwas für Kinder, damit sie sich in einer Wertegemeinschaft sozialisieren können und diese, alsbald erwachsen, mittragen. Moral ist, was gut für das Ganze ist, den Einzelnen hält sie am Leben und am Funktionieren, sie gibt seinem individuellen Leben keinen besonderen Sinn. Wenn wir uns einigen, einander nicht umzubringen und gemeinsam in eine Rentenkasse einzuzahlen, dann brauchen wir dazu keine Religion, sondern das Wissen der Massenpsychologie und der Volkswirtschaftslehre. Religion hingegen ist der Egoismus in Reinform, so pur, dass er glänzt.

Religion beantwortet mir die Frage, woher ich - ich als der ich als ich bin, nicht als homo sapiens - komme, wohin ich - ich persönlich - gehe, wer und was ich bin. Moral brauche ich, um geregelt und gesittet leben zu können, Religion brauche ich, um in Würde sterben zu können. Sobald es persönlich wird, sobald es mir in meiner geistigen Privatsphäre um mich selbst geht, um den Sinn meines Lebens, um meinen persönlichen Umgang mit meiner Sterblichkeit, muss der religiösen Toleranz gekündigt und der Relativismus über den Haufen gescheitert werden. Ich bin Christ, weil ich mich so entschieden habe. Für mich. Der somit persönliche Charakter meiner Auffassung davon, wo ich herkomme, wo ich hingehe und was ich bin, ist, anders als es scheint, genau das Gegenteil eines Relativismus, der jedem seine Wahrheit zugesteht. Ob der homo sapiens vom Affen oder vom Fisch abstammt, ist interessant, mir aber letztlich egal; was mich persönlich nach meinem irdischen Ableben erwartet oder worin mein persönlicher Sinn des Lebens besteht, ist - süßer, nicht bitterer - Ernst. Ich kann in dem, was ich für mich persönlich glaube, keine Rücksicht auf Ethik, Moral oder Recht nehmen, kann in meiner Einsamkeit angesichts des Todes mit niemandem solidarisch sein und habe beim Sterben kein Recht auf Leben und im Jenseits keine Menschenrechte.

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