Stunk

Satire zum Thema Kunst/ Künstler/ Kitsch

von  magico

Seit jeher nannten sie ihn verrückt. Was er auch tat, immer hieß es: Der ist verrückt. So fand es niemand verwunderlich, als sich an jenem Morgen ein Großaufgebot der Polizei, der Feuerwehr und des Roten Kreuzes zusammenfand. Die Kreuzung Emsstraße, Hasestraße, Obergerichtsstraße war komplett abgeriegelt. An den rot-weiß gestreiften Flatterbändern reihten sich die Schaulustigen aneinander. Mindestens jede zweite Person hielt ein Smartphone im Anschlag.
“Der ist doch total irre!”, tuschelten sie und, “Das musste ja so kommen.”
“Aus dem Weg”, rief jemand mit kratziger Stimme, drängelte sich grob zwischen den Gaffern hindurch und betrat die abgesperrte Fläche.
“Kriminalkommissar Kruse. Was ist hier los?”, stellte er sich vor, während ein uniformierter Polizist nach oben auf das Dach des Sparkassengebäudes deutete.
“Ah, verstehe. Was will der?” Allgemeines Achselzucken.
Die Feuerwehrleute wuselten wie Ameisen herum. In kürzester Zeit hatten sie ein Sprungkissen einsatzbereit.
Kruse blickte zu dem Mann, der auf dem Rand der Dachterrasse balancierte. Dessen Kleidungsstil ließ vermuten, weshalb die Stadtbewohner ihn als Verrückten bezeichneten. Der türkisfarbene Spandex-Anzug mit dem lila Umhang schmeichelte seinen unförmigen Konturen nicht unbedingt.
“Besorgen Sie mir mal ein Megafon.” Der Streifenpolizist sprintete davon.
Eine junge Frau mit wehendem Mantel bahnte sich den Weg zu Kruse.
“Das ist psychologisch gesehen schon seltsam. Bisher haben wir ihn nur als harmlosen Spinner in der Kartei. Eher ein Clown und kein depressiver Selbstmörder”, erklärte sie.
“Hat er schon irgendwas gesagt?” Kruse griff nach dem Megafon, das ihm der Polizist gerade überbrachte.
“Nein, bisher völlig stumm”, antwortete die Polizeipsychologin.
“Ist jemand im Gebäude?”
“Nein, die wurden schon alle evakuiert.”
“Na gut. Dann wollen wir mal schauen.” Kruse setzte das Megafon an. “Hallo Herr … Wie heißt der Typ?”
“Wettach.”
“Hallo, Herr Wettach. Was machen Sie denn da? Kommen Sie bitte wieder runter.”
Der verrückte Wettach reagierte nicht. Regungslos aber mit wehendem Umhang harrte er aus.
“Herr Wettach! Was wollen Sie?”
Noch immer keine Reaktion.
“Komme ich da irgendwie hoch?”, wandte sich Kruse an die Psychologin.
“Bestimmt, aber ich weiß nicht, ob das so schlau ist.”
“Wieso nicht? Sie kommen doch mit.”
“Ich komme was?”
“Sie sind die Psychotante!”
“Aber …”
Kruse hatte die Psychologin noch nicht ganz zum Haupteingang der Sparkasse gezerrt, als sie ein lautes “Stopp!” zurückhielt.
Der Kriminalkommissar blickte nach oben.
“Stopp!”, rief Wettach erneut. “Einen Schritt weiter und ich springe.”
“Jetzt seien Sie nicht albern, Wettach!” Kruse fragte sich schon während er sprach, ob seine Aufforderung noch Sinn machte.
“Ha! Sie gehen nicht weiter oder ich springe!”
“Da waren wir bereits. Wir stehen doch. Was wollen Sie?”
“Nichts! Doch! Ich will, dass alle zu mir schauen. Alle!” Wettachs Stimme überschlug sich.
“Na, wenn’s weiter nichts ist.” Kruse drehte sich um und hielt das Megafon an seine Lippen: “Alle Augen auf den Mann da oben! Das ist eine polizeiliche Anweisung!”
“Zufrieden?”
Wettach nickte theatralisch, breitete seine Arme aus und zog ein Bein an.
“Was machen Sie da, verdammt?” Kruse reichte es. Er rannte zum Haupteingang.
Sekunden später rannte Wettach ein Stück, um sich vom Sprungkissen zu entfernen und ließ sich vornüber kippen. Ein schockiertes Raunen ging durch die Menge. Viele schlossen ihre Augen, um den Aufprall nicht mit ansehen zu müssen. Ihre Smartphones aber behielten alles im Blick.
Als der große Knall ausblieb und der Platz vor der Sparkasse nur deshalb rot war, weil er eben mit roten Steinen gepflastert wurde, öffneten die Schaulustigen wieder ihre Lider.
Wettach baumelte in Superman-Pose an einem Seil und hatte ein Transparent entrollt, auf dem wild durcheinander die Buchstaben U, K, S, T und N zu lesen waren.
Kruse, der noch immer am Haupteingang stand fragte laut: “Was soll das heißen?”
Die kreidebleiche Polizeipsychologin war nicht imstande zu antworten.
“Stunk?", grübelte Kruse weiter.
“KUNST, ihr Banausen!”, rief Wettach und baumelte und baumelte.


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Kommentare zu diesem Text


 franky (29.06.22, 15:38)
Hi Magico 

Das ist doch ein gelungener Krimi, mit Seltenheitswert, wegen des erfreulichen Ausgang.
Grüße von Franky

 AchterZwerg (30.06.22, 06:29)
Originelles Sprachgespiele, das du amüsant in Szene setzt.
Durch das Supermanngehabe des Protagonisten wird der Kunst ein angemessener Platz eingeräumt - sie "baumelt und baumelt."

Schöne Grüße
der8.

 magico meinte dazu am 30.06.22 um 11:58:
Ich danke euch! Kunst ist einfach ... künstlich.
Agnete (66)
(30.06.22, 12:22)
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 magico antwortete darauf am 30.06.22 um 14:27:
Danke, Agnete. Die Satire ist, dass ich bei all den vielen Kategorien auf Anhieb keine passendere gefunden habe. Ha!

 Lluviagata (01.07.22, 09:43)
Its magic! 

Herzlich willkommen!

Liebe Grüße
Llu ♥

 Solvy (07.07.22, 12:15)
ja, dem bisherigen Lob kann ich mich nur anschließen. Eine spannende Kurzgeschichte mit einem herrlichen Ende, das die Absurdität solcher "Aktionskunst" zeigt.
Liebe Grüße
Solvy

 TassoTuwas (21.07.22, 08:57)
Hallo magico,

gefällt mir, gelungener Einstieg.
Sind wir nicht alle ein wenig (oder mehr) Wettach!

LG TT
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