Ein Donnerstag im Juli 1969 verleitet mich im sogenannten "Komplexbau" "Gastronom" gegen 19:00 Uhr dem Schriftsteller Jan Koplowitz zu lauschen, der in der Zeitschift "Die Taktstraße" im Auftrag der SED, Parteiorganisation der Großbaustelle Halle-Neustadt Propagandaartikel über fleißige Bauarbeiter vielfach verfasst. So wurde ich neugierig auf Jan Koplowitz, weil in der örtlichen Tagespresse, "FREIHEIT" stand, er wäre quasi ein Meisterschüler von Egon Erwin Kisch gewesen. Ich hatte damals meinen ersten Artikel in der "FREIHEIT" verzapft, wo ich einen rührseligen Artikel über meinen Einzug in die die 9. Etage vom Block 10 beschrieb. Ich gedachte auch der fleißigen Bauarbeiter, die den Block 10 Klotz wohl in fast einem halben Jahr hochgezogen hatten.
Dachte aber in meiner Naivität, ich werde jetzt auch mal ein Reporter, wie der Bruder meiner Mutter (Reporter am Budapester Rundfunk bis 1945) und wenn es klappt, wird Jan Koplowitz mein Mentor. Werde ein schreibender Arbeiter und irgendwann seile ich mich von der Prädikatisierung Arbeiter ab und werde ein toller Schreiber, ein Reporter, ein Journalist, ein ganz feiner Intellektueller! Bin fast dabei, mich bei den "Genossen" einzuschleimen, um meinem realem mühseligem Arbeiterdasein zu entfliehen. Vorab schon aber mal hier postuliert: "Meine schreibenden Hände haben "pseudojournalistische sozialistische Verlautbarungstraktate" tunlichst umschifft! Diese Scheiße machte ich dann wirklich nicht mit!
Trotzdem. Damals hatte ich eine kleine Mappe mit maschinengeschriebenen Texten dabei und klatsche die dem Jan Koplowitz in einer Pause vor seine Augen. Einige Fotos sind vorhanden, die ich bei der Armee an der Mauer in Berlin fotografierte. Was er damals dazu gesagt hatte, weis ich nicht mehr. Es waren auch noch ein paar Typen von einem Halle Neustädter Singeclub dabei, die dem Jan Koplowitz auch auf den Geist gegangen sind. Es wurde diskutiert, sie wären von der Volkspolizei verhaftet worden, weil sie auf einer Wiese vor oder hinter Halle Neustadt das zutiefst kommunistische Lied " Wir singen schon heute die Lieder von Morgen" (
https://www.youtube.com/watch?v=KZUrwOAXOfo) geprobt hätten. Alles in allem hat mich der Jan wohl nicht im Geringsten wahrgenommen. Die Umstände des Geschehnes waren an diesem Abend dramatisch.
Ich staune Bauklötzer. Es kommt heraus, die Jugendlichen hatten zum Teil ihre Personalausweise bei der Singerei nicht dabei, weil die in irgendwelchen Jacken im BAZ (Bauarbeiterzentrum) hängen. Die Verhaftung hatte Dramabestandteile, die in der spießigen kleinbürgerlichen Zeit und komischen Zufällen begründet waren. Alles in Allem. das Outfit war damals absolut schuld! Die "SÄNGER" sahen schon mal anders aus, als der normale - Buna- oder Leuna Pelzer. Fast alle hatten sie hautenge Jeans aus dem Westen an, trugen Parkas aus dem Westen und Bundeswehrpullover. Sahen aus, wie Typen aus dem Westen! Nach DDR roch das noch nicht mal!
Einige Jungs hatten lange Haare und Westlatschen an, sogenannte Tramper. Einer hatte eine sowjetische Wasserpistole vom Typ Makarow dabei. Die Mädels hatten blassrote Lippen von West- Lippenstiften. Auf einem nicht eingeschaltetem Verstärker prangte das Fender Logo aus dem Westen. Interessant war damals für mich auch, Bonzenkinder wurden damals nie und nimmer "Arbeiter"! Ihre Bildungswege umschifften höchst elegant das Dasein in der "DDR-Arbeiterklasse".
Problem war, der damals sechzigjährige Jan Koplowitz schreibt jede Menge kommunistische Agitationslieder, wo er seine altväterliche spießbürgerliche Sicht der Dinge auf die Hallenser und Halle-Neustädter mit üblen Argumenten fast wöchentlich aber trotzdem in perfektem Deutsch literarisch vom Stapel lässt. Schreiben kann der Jan prima - aber oft Unsinn vom Feinsten!
"Wir brauchen auch kein Westgeplärr
von Platten, Bildschirm, Heule -
denn wer dort hinhorcht, sehr und mehr,
dem wächst im Hirn ´ne Beule.
Wir bauen neue Zukunft auf,
Wir sind nicht zu verdummen,
Und wer es wagt und hält uns auf,
den lehren wir - verstummen."
Aus: "Harter Song vom Bonner Flötenton
Aus dem Zyklus: Neustadt Lieder (geschrieben für die jungen Genossen der Kampfgruppen.)"
Zu den Langhaarigen lässt er folgenden Satz in diesem Zusammenhang in seinem Buch "die taktstraße" los: "und es gab auch einige langhaarige Geschöpfe darunter, die wir noch nicht davon überzeugt hatten, dass die Geschlechter sich eigentlich ein wenig voneinander unterscheiden müssten. (inzwischen ist das geschehen.)"
Seltsam war, er berichtete, "Busenfreunde" also die Stasi hätte die Volkspolizei benachrichtigt über den verfemten Straftatbestand: "Singen am hellerlichten Tag auf einer Wiese bei Halle Neustadt!"
Cool bei dieser Geschichte fand ich dann eine Bemerkung eines Mitgliedes der Singegruppe, dessen Papa wohl ein hochgestellter Nomenklaturkader in Halle war. Glaube es war der Parteisekretär Waggonbau Ammendorf oder sowas ähnliches. "Ich rufe den Vater mal bitte an!". Danach war Ende der Veranstaltung auf dem Polizeirevier, denn man hatte eine Riege Bonzenkinder beim Absingen kommunistischer Gesänge verhaftet. Das war für die Karriere aller beteiligten Volkspolizei Genossen übelst kontraproduktiv!
Trotzdem und eigentlich war damals für fast alle Bewohner von Halle Neustadt alles prima! Wer aus irgendwelchen miesen Wohnsituationen in Halle Neustadt anlangte, war in einem kleinen Arbeiter-Paradies gelandet. Alles war bestens, wenn es nicht gerade regnete und Halle Neustadt zeitweise im Schlamm versank. Aber dagegen gab es Gummistiefel! Die damaligen Städtebaulichen Verwerfungen brauchte man nicht zu ahnen - das spürte man. Kein Kino, kein Rathaus, kein Warenhaus, kein Theater, keine größere Kulturprojekte. Halle-Neustadt war aber kein Arbeitersilo, Halle-Neustadt war ein sozial absolut durchmischter Menschensauhaufen im Extremfall!
Es gab dort massiv die SED, die sogenannte Arbeiterpartei, in ihrer Führungsriege, inzwischen fast ohne Arbeiter, die alle, aber auch alle schlechte Augen oder miese Brillen hatten. Denn, komplett fast ganz Halle Neustadt schaltete sich gegen Zwanzig Uhr per terrestrischen Fernsehen aus der DDR ab. Selbst die Genossen in "Halle- Neustadt auch! Grund war ein Karl Rothammel, der am 25. Dezember 1914 in Fürth geboren wurde. Er war ein deutscher Sachbuchautor und Funkamateur. Er war Verfasser der Erstausgaben von Rothammels Antennenbuch, einem deutschsprachigen Standardwerk zur Antennentechnik. Der 1968er Jahrgang seines Antennenbuches war vom Feinsten! Wer in Halle Neustadt davon Kenntnis hatte, hatte kein griseliges und gruseliges Fernsehbild vom Westfernsehsender, sondern fast glockenklaren Empfang! Die cleveren Bauzeichnungen der Rothammelantennen kursierten bei de Leuna- und Bunapelzern. Die Konstruktion war einfach, wenn man die Konnektoren und Reflektoren Maße auf den halben Millimeter genau zusammen fügte. Es kappte mit einem Besenstil und Teilen von einem Regenschirm!
Wer aber damals, wer die Gebäude Fotos von Halle Neustadt betrachtet, sieht auf jedem, aber auf jedem Dach die riesigen Rothammel Richtantennen. (Gab es aber auch für ordentlich Geld in der HO zu kaufen!) Trotzdem war die Drohung da: "Und wer es wagt und hält uns auf, den lehren wir - verstummen." Das war Realität, wer aufmuckte, landete damals für die kleinste politische Verfehlung im Knast!
Das Ergebnis dieser Story ist trotzdem langweilig. Nie wieder probte der Halle Neustädter Singeclub auf einer grünen Wiese hinter Halle Neustadt. Man verkrümelte sich in einen Proberaum des Jugendclubhaus "Phillipp Müller"....Danach ging der Singeclub wie eine Primel ein! Man hatte dann viel später so Typen am Hals, wie: wie Bettina Wegner, Hans-Eckardt Wenzel und weiter Stephan Krawczyk, Kalle Winkler. und, und. und.
Trotzdem war ich sogar vordergründig dankbar Hackordnungen verschiedenster sozialistischen Clanstrukturen dort ein wenig kennen gelernt zu haben. Ich verkrümelte mich damals in andere Regionen einer interessanten Freizeitgestaltung. Ich produzierte als halbillegale Minimanufaktur nach kompletter marktwirtschaftlicher Manier historische Perkussionswaffen aus der Zeit der Völkerschlacht in Leipzig in Buna, in einem Barackenbau aus dem KZ Monowitz, dem Bau ANNA 92!
Aber das ist eine total andere Geschichte!