Ein langes Leben

Kurzprosa zum Thema Betrachtung

von  uwesch

Dieser Text ist Teil der Serie  PHASEN DES LEBENS (Prosa)

Er erinnert sich an ihre Adresse aus seiner fortgeschrittenen Jugendzeit und kramt die Gasse, das Haus und die Wohnung aus dem Abfallspeicher seines Langzeitgedächtnisses hervor. Dort liegen haufenweise Gegenstände, Gesichter und Geschehnisse, die er längst vergessen geglaubt hatte.

Tage und Jahre waren vergangen, verloschen irgendwo am westlichen Horizont der Hafenstadt, vor den Fenstern seiner Wohnung am Hafendamm. Die lange Zeit hatte Gegenstände, Menschen und Ereignisse mit sich fortgenommen. In der Abenddämmerung blieb nur noch der Duft von Anne, der Klang ihrer Stimme, ihre Berührung. Sie war vor acht Jahren gestorben.

Das Leid war für ihn der sichtbare Beweis all dessen was er verloren hatte. Wovon er sich hatte trennen und was er hat zurücklassen müssen. Seit jeher besaß er wenig. Deshalb schätzte er das, was er hatte. Mehr als andere mit Glück und weniger harten Lebenserfahrungen.

Er sieht klar vor sich, dass all das, was heute auf der Welt geschieht, nicht mehr lange anhält, denn manche Menschen mögen es nicht wenn alles gut läuft. In prosperierenden Ländern tun sie so als wären sie schrecklich zufrieden, demonstrieren sogar lautstark ihre Freude. Aber in Wirklichkeit knirschen sie vor Wut mit den Zähnen. Denn sie wollen ständig, dass es noch besser wird, weil sie kein Maß kennen. Natürlich taucht dann sofort ein Nazi oder ein Kommunist auf - je nach Parteipräferenz.

Er ist es leid. Doch der Tod will ihn noch nicht holen. Der bestimmt immer selbst den Augenblick seines Besuches und erscheint niemals auf Bestellung. Es sei denn ein Mensch zwingt ihn herbei.



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Kommentare zu diesem Text


 Regina (28.03.23, 09:57)
Zwinge nicht den Tod herbei,
denn das ist nicht einerlei.
Lass ihn seine Arbeit tun,
du kannst später lange ruhn.

 uwesch meinte dazu am 28.03.23 um 11:58:
Eine gesunde Einstellung. Doch was sollen die armen AutorInnen nach unserem Tod dann noch geniessen, wenn sie unsere brillianten Texte entbeeren müssen? :ermm: 
Dank Dir für Deine Empfehlung und LG Uwe

 harzgebirgler (28.03.23, 12:45)
wie pilze sprießen altenheime allenthalben aus dem boden, natürlich profitorientiert,
was bei vielen alten - angesichts der zustände dort -
nur bedingt zu weiterlebensfreude führt. 

lg vom harzer

 uwesch antwortete darauf am 28.03.23 um 14:06:
Schwierige Entscheidung ob man im Altersheim verrecken möchte oder doch lieber zuhause.
Meine Mutter hat rechtzeitig sich selbst mit einer Überdosis Schlaftabletten gerichtet, mein Vater ist mit seiner Zweitfrau zwangsweise in ein Pflegeheim eingewiesen worden und dort gestorben. Alles nicht sehr erbaulich.
Sterben in der BRD wird einem nicht leicht gemacht. Da bleibt dann nur noch die freiwillige Schweiz-Alternative, die ihren Preis hat, den sich nicht jede*r leisten kann-
Dank Dir für Kommi und Empfehlung.  LG Uwe

 Quoth (29.03.23, 17:27)
Warum hat er sich 8 Jahre nach ihrem Tod Tod plötzlich an sie erinnert? Er erinnert sich an ihren Duft ... Hat er ein Fläschchen Uralt Lavendel gefunden - und das trug sie immer?

 uwesch schrieb daraufhin am 29.03.23 um 21:02:
Das sei der Phantasie des Lesers überlassen.
Dank Dir fürs Lesen und die Empfehlung.  LG Uwe
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