Blätterregen 8

Erzählung

von  minze

Bei Omas Geburtstag steht sie nicht im Vordergrund, es ist mir schon klar, bevor alle da sind. Es wird so sein, zwangläufig, dass wir uns als Cousins und Cousinen zusammen tun und sie über uns waltet, dass sie darüber zufrieden ist, dass wir miteinander sprechen, uns immernoch haben. Das ist jetzt ganz anders, weil unsere Leben sich ständig aktualisieren, je auf eine andere Art und die Verbindungen, die wir erhalten, unscheinbar sind. Erst einmal, aber die Herzlichkeit, das Verständnis für die Verstrickungen unter meiner Mutter und deren Vater – was uns mit ihnen als Geschwister, als Kinder unserer Großeltern, begegnet – das ist für mich immer da, als Grundstimmung greifbar. Es wird mir warm, wenn alle da sind und wir anfangen, über die Speisekarte zu gehen. Die Kommentare sind erzwungener Maßen ironisch, vielleicht schaffen wir es nicht anders, ernst können wir es nicht anstellen, aber ich finde darin auch etwas Liebevolles, etwas das würdigend, was Oma gut meint mit uns allen.


Ich warte auf Thomas. Er ist zu spät und wenn er zum einzigen freien Platz in die Nähe der Eltern muss, dann wird es schwierig, jetzt, mitten im Scheidungsprozess von seiner Ex. Das macht mich nervös, dass er nicht die freie Platzwahl hat durch sein spätes Kommen.

Ob er das weiß, was sich Oma fragt, was sie gefragt wird von ihren Nachbarinnen. Vielleicht merkt er nur und das schon immer, den dumpfen Vorwurf, das unterschwellige. Und das sie schon erzählt, was sie sich zusammen reimen kann, nie direkt, entschuldigend mit Schulterzucken. Gerade weil Thomas mit ihr nicht sprechen wird.

Ein bisschen angespannt wirkt auch die Frage im Raum, ob er seine Tochter mitbringen wird. Nachdem seine Frau so verletzt ist von allem, vielleicht meint Oma auch als Frau, dass sie dann einen anderen Anspruch hat, dass sie dann mitsamt der Tochter sich erst mal erholen muss und meinem Cousin nicht viel zu steht, zustehen kann. Noch weniger, weil er keine Erklärungen abgibt. Ich verschwiege, dass wir ein Wochenende im Advent uns gesehen haben und ich manches weiß.


Ich sage, als wir uns alle eins weitersetzen, unsere Kinder müssen mitsamt den Spielsachen weiterrutschen, relativ schnell zu Yann, dass ich trinken will. Thomas trinkt zwei Gläser mit mir, bevor er zu Spezi übergeht, aber die beiden stürzen wir. Wir albern herum, wir albern so konsequent wie schon immer, das geht von alleine, ohne Anlauf, Kontext und Ziel, es ist und war immer schon eine Blase. Jetzt, wo ich Mutter, Tochter, Enkelin, Frau bin, ist es einfacher mit Alkohol, aber das Albernsein zieht noch mehr, vor allem zieht mich Thomas. So wenig, wie er Lust hat, mit jemandem außerhalb der Cousinenecke zu sprechen – hat er überhaupt seinen Vater gegrüßt oder meinen? - so viel fragt er, bemerkt er Details, die meisten, um zu lachen oder es auf den Kopf zu stellen.


Während des Essens ist es leicht und es geht lange – wir gehen immer wieder mit seiner Tochter und meinen hinaus und lassen sie etwas rennen, auch im Regen. Doch schwer und deprimierend sitzt es in mir, als Yann das Auto weg fährt. Ich merke, dass es draußen kalt und nass ist, dass Oma den Geburtstag, wie sie sich es gewünscht hat, geschafft hat, dass Thomas gerade noch zur Suppe kam, dass nur zwei oder drei von uns viel getrunken haben und ich dazu gehöre. Dass es nicht möglich war, einfach nur so zu sein, dass die unausgesprochenen Informationen an mir ziehen, oder die Botschaften. Dabei sind es nicht die, die mich betreffen, denen kann ich was.


Ich fühle aber die Gemeinschaft zu Thomas als Gewinn.



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