Die zwei ungleichen Brüder und ihre Schwester

Szene zum Thema Unfall

von  uwesch

Dieser Text ist Teil der Serie  LEBENSUNWÄGBARKEITEN (Prosa)

Folgendes Exposé für einen geplanten Roman fand die Polizei bei dem bekannten Schriftsteller Michael Sätzer nach seinem tödlichen Autounfall auf der B1 kurz vor Hamburg. Der Autor war auf dem Rückweg von einer Besprechung mit seinem Verleger über den neuen Familienroman, der in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg spielt.

Exposé
Als Pauls Schwester Hannah 1946 drei Jahre nach Michael zur Welt kam, wurde er von seiner Mutter kaum noch beachtet. Alle Liebe bekam Hannah. Er flüchtete sich immer mehr in Selbstmitleid und mied die Menschen. Erst viele Jahre später schaffte er es, sein Leben mit Phasen der Selbstironie zu bereichern und sein Buchhalterdasein zu beenden. Er wurde Kabarettist.
Hannah konnte sehr früh Selbstvertrauen entwickeln, weil die Mutter sie über alles liebte und ständig förderte. Sie begegnete ihrer Tochter mit einer positiven Grundeinstellung, so dass diese Offenheit, Vertrauen und Lebensfreude entwickeln konnte. Die Schule schaffte sie mit Bestnoten. Ihr gelang es, all die Dinge auf den Punkt zu bringen die sie anpackte. Als der zweite Bruder Georg, eine Spätgeburt im Jahre 1965, zur Welt kam, war Hannah schon von zuhause ausgezogen und hatte kaum noch Kontakte zur Familie. Sie studierte an der University of California in Berkeley, promovierte nach ihrem Abschluss und arbeitete zeitweise als Gastdozentin dort. Sie entdeckte darüber hinaus ihre lesbische Neigung.
Georg lief so nebenher. Da er eine unerwünschte Spätgeburt war, bekam er nicht zu spüren, was es heißt geliebt zu werden. Ihm blieb keine andere Wahl als mit einer gewissen Rücksichtslosigkeit auf sich aufmerksam zu machen. Kein bisschen Glück war ihm vergönnt. Das prägte seinen Charakter. Er wurde ein sehr strenger Lehrer, der seine Schüler hart rannahm. Die Sitzenbleiber-Quote in seinen Klassen war außergewöhnlich hoch.
Der wirtschaftliche Aufschwung verbesserte die materielle Situation der Familie, doch die Kriegserfahrungen der Eltern und damit verbundene psychosoziale Probleme wurden verdrängt. Zusammenkünfte der erwachsen gewordenen Kinder mit ihren Frauen und auch deren Kindern wurden weitgehend gemieden. Selbst wenn man sich traf wurde sich nicht über wirklich Gravierendes unterhalten. Erst die Enkelkinder konnten später die Starre in den Beziehungen teilweise durchbrechen.

Glücklicherweise blieb das Manuskript des Romans unversehrt,  getippt auf einer alten mechanischen Schreibmaschine, weil der Autor es liebte die Energie seiner Finger beim Anschlag auf die Tasten zu spüren. Seine nicht berufstätige Ehefrau übergab den Text ihres Mannes ein paar Wochen nach der Beerdigung dem Verlag, denn sie brauchte dringend Geld.
Nach dem Druck wurde der Roman ein viel gelesenes Werk über die turbulenten Aufbaujahre der Nachkriegszeit in der BRD bis hin zur Wiedervereinigung mit der DDR.

 



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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (02.08.23, 23:53)
?

 Graeculus meinte dazu am 03.08.23 um 00:20:
Mir stellt sich die Frage, wo denn das Manuskript nun lag: in der Aktentasche oder auf dem Schreibtisch?

 uwesch antwortete darauf am 03.08.23 um 09:58:
Sorry, da hat wohl der Alzheimer zugeschlagen. Habe es geändert. Danke für den Hinweis.
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