Schinkenbrote am Fuße des Gasometers in der Gustav-Müller-Straße - (Berliner StattPläne)

Groteske zum Thema Andere Welten

von  Gabyi

Schwarzwälder Schinken.
Liebten wir. Damals. Frühstück am Gasometer.
Auf dem Balkon - und mit Blick auf ein schwarz metallfiligranes Rondell mit Zylinder, dessen Hübe sich je nach Füllungsgrad teleskopartig zusammen schieben oder auseinander ziehen konnten. Mit spezifischem Geräusch, das in Abständen ertönte - ähnlich dem dumpf grummelnden Klicken eines überdimensionierten Relais'.
Schinkenbrote am Fuße des Gasometers.
Das Rote in den Leib, das Weiße über die Reling der Balkonkante. Wusch und weg. Man will ja nicht verfetten. Mein Liebhaber mag keine Speckringe am Bauch. Ich auch nicht.
Seine Mutter hat noch niemals seine Wohnung - 1 Zimmer, Küche, Bad, Balkon - gesehen. Sie besitzt ein Haus in Zehlendorf, in diese düstere Gegend von Schöneberg Ost traut sie sich nicht. Niemals, um nichts in der Welt würde sie je diesen Kiez betreten.

Bis zu jenem Tage. Dem Tag, an dem sich eine graue, wabernde, schwappende Masse auf West-Berlin zu wälzte.
Zu spät. Nie mehr Gustav-Müller-Straße. Am Gasometer.
Bei näherer Betrachtung erkannte sie sofort, dass es sich um Raumzeitschaum handeln müsse. Sämtliche Wesen würden mitgerissen werden und in einem virtuellem Wurmloch innerhalb einer Billionstel Nanosekunde ins Mittelalter katapultiert werden. Hier erledigte dann die Pest den Rest.
Das wusste sie sicher, denn sie war promovierte Studienrätin (mit esoterischen Tendenzen) an einem angesehenen Berliner Gymnasium. Laut seufzte sie auf, bevor sie mitsamt dem Jugendzimmer ihres Sohnes im Boden versank.

Unter dem Balkon, unten auf dem grau gepflasterten Bürgersteig, lief ein Hund mit seinem Herrchen Gassi. Er schnupperte neugierig am Boden, wedelte mit dem Schwanz, fand und verschlang die Schinkenreste und verschwand dann um die Ecke, träge Richtung Torgauer Straße trottend.
Zum Nachtisch aßen wir Schoko-Pudding im Bett. Es war hinreißend und umwerfend köstlich - bis das orangene Telefon uns unsanft unterbrach.
Bonnhoeffers Heilstätten am Apparat, volkstümlich liebevoll bei den Berlinern auch "Bonnies Ranch" genannt.

aus "Berliner StattPläne"



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Kommentare zu diesem Text


 AchterZwerg (01.11.23, 06:44)
Ein echtes Melodram, das sich super verdichten lässt


Einst lag ich
in Liebe mit dir
zu Füßen des Gasometers
als das Smartphon
verhalten erklang

Hier: Bonnies Ranch

. :P

 Gabyi meinte dazu am 01.11.23 um 10:06:
@Achter: danke fürs Poem. Habe schon einen Haufen Gasometergedichte geschrieben. Kennst du das von Günter Grass? Hier eins von meinen:

Gasometer Blues

Mein altes Gasometer
Was haben sie dir angetan?
Deine Schönheit: versaut
dein Körper: umgebaut
Bist mir nicht mehr vertraut

Danke für die Empfehlung :)

LG, Gabyi
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