Elms-Geflüster

Ballade

von  Tula

An einem Steg am Rand des Hafens ruht
ein alter Kahn; ein aufgebahrter Sarg,
nur ohne Trauerzug, der in der Flut
der Jahre längst versank. Gleich einem Fluch

der Regengötter hängt an seinem Rumpf
ein ausgefranstes, braunes Leichentuch.
Der Moder auf dem Deck formt einen Sumpf,
aus dem ein abgestorbener Mast-Baum ragt.

Die Brücke steht als finsteres Verlies,
in das sich weder Laut noch Farbe wagt.
Sogar der Schirm, der strahlend Richtung wies,
starrt schwarz und reglos in die Dunkelheit.

So spielt Freund Hein, es scheint zum Zeitvertreib,
mit ihm und seinem stählernen Gebein.

Doch neulich zog ein Flüstern um den Leib
und hauchte ihm aufs Neue Leben ein:

Aus seiner Tiefe drang im Atemzug
ein Ächzen, das die Sehnsucht in sich barg
und aus den Ankerlöchern vorn im Bug
ertönte dumpf ein Lied von seiner Fahrt

durch Flaute, Sturm und Nächte ohne Sicht.
Ihm blieb ein Logbuch, das er aufbewahrt.
Über den Bildschirm huschte plötzlich Licht
und durch die Luft ein Duft von Tamarind'.

Schon zerrte er und straffte alle Seile
zum Steg, so ungeduldig wie ein Kind.
Da stürzten sie herbei in großer Eile
und zurrten ihn voll Sorge wieder fest.




Anmerkung von Tula:

2021

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Kommentare zu diesem Text


 minimum (21.01.24, 10:12)
Ein düster-opulentes Lesevergnügen - genau das Richtige für einen winterlich kargen Sonntagvormittag im Binnenland :)

 Tula meinte dazu am 21.01.24 um 13:22:
Hallo minimum
So ein alter Kahn verlassen am See findet sich vielleicht auch im Binnenland  8-)

Die letzte Strophe soll nebenbei ein Gleichnis erstellen. Man könnte es zumindest als solches deuten. 

LG Tula

 Teo (21.01.24, 10:24)
Mein lieber Tula,
meine Güte, selten so gegruselt. Du hast aber auch eine Art, mit Finsternis und Unbehagen zu spielen.
Erinnert mich etwas an die gestrige Stimmung auf Schalke :D

Dir einen erfolgreichen Sonntag

Der fröhliche Teo (du weißt warum)

Kommentar geändert am 21.01.2024 um 10:24 Uhr

 Tula antwortete darauf am 21.01.24 um 13:24:
Hallo Teo
Natürlich soll das Gedicht niemandem die gute Laune verderben. Schalke-Fans ausgenommen  :D

Übrigens träumte ich heute wirklich, dass Bayern 1:1 spielt. So etwas wie ein Erwartungstraum. Mal schaun ...

Sonnige Grüße
Tula

 FrankReich (21.01.24, 10:55)
Die euphemistische Allegorie "Freund Hein" zieht m. E. den Gesamteindruck des Gedichtes etwas ins Lächerliche, auch in Bezug auf das Verb "spielt" sowie durch die Binnenreimung, der ungeschönte Ausdruck wäre hier nach meinem Empfinden angebrachter, aber sonst ... 🙂👍

Ciao, Frank

 Tula schrieb daraufhin am 21.01.24 um 13:26:
Hallo Frank
Deine Bedenken kann ich nachvollziehen, d.h. die Stelle mag man als etwas zu pathetisch empfinden. Sei's drum, immerhin geht es um das Ende und letzte Erinnerungen aus der inneren Tiefe.

LG
Tula

 plotzn (21.01.24, 11:44)
Servus Tula,

eine gekonnt-düstere maritime Ballade!

Noch immer ist sie ihm vertraut,
die Sorge vor dem nächsten Riff.
Sie haben ihn zum Glück vertaut,
sonst würde er zum Geisterschiff

Liebe Grüße
Stefan

 Tula äußerte darauf am 21.01.24 um 13:29:
Servus Stefan
Das Ende verbleibt ja auch als Allegorie für den Menschen. Wahrscheinlich ein Seemann  ;)

Dankend lieben Gruß
Tula

 Saira (21.01.24, 13:27)
Moin Tula,
 
so ein alter Kahn hat eben auch eine Seele und diese hier ist noch an Bord!!!

Eine grrrruselig-schöne Ballade!
 
Mit Gänsehautgrüßen
Sigi

 Tula ergänzte dazu am 21.01.24 um 13:34:
Moin Sigi
Dass Schiffe eine Seele haben, daran habe ich nicht den geringsten Zweifel. Man muss nur aufmerksam lauschen  ;)
Aber keine Sorge, noch schippern auch wir fröhlich herum. Ein paar Meere haben wir noch vor uns.

LG
Tula

 GastIltis (21.01.24, 20:41)
Hallo Tula, Apropos Seele:
Als wir 68 den Kühlwassereinlaufkanal am KKW Nord in Lubmin gebaut haben, du kennst die Gegend, mussten wir den Grundwasserspiegel auf 40 m Breite um 6 m absenken. Dazu eignete sich wegen des Feinsandes das Vakuumverfahren. Nachdem die ersten Vakuumanlagen liefen, waren sie Tag und Nacht zu überwachen. Dazu hatten wir über den ersten Winter drei Fischer, die von der Kurischen Nehrung stammten, und einen ehemaligen U-Boot-Fahrer eingestellt. Letzterer hatte im Krieg schon auf Grund gelegen!
Unsere Anlagen, alles improvisierte Konstruktionen, bestanden u.a. aus zwei Pumpen, einem großen Kessel und Steuerungstechnik. Für den U-Boot-Fahrer, der ledig war, (seine Mutter war bettlägerig, dadurch hatte er kein „Schussfeld“) hatten die Anlagen, die störanfällig waren, eine Seele. Er hatte eine bemerkenswerte Einstellung zur Arbeit, die dazu führte, dass er bei Quartalsprämien gegenüber den anderen immer fünf Mark mehr bekam. Damit machte er dann mit den Worten „Seggt di dat wat?“ die Runde.
Seggt di dat wat, lieber Tula?
Herzlich Gil.

 Tula meinte dazu am 21.01.24 um 22:57:
Hallo Gil
Jo min Jung, dat seggt mi wat!
Daraus ließe sich eine schöne Geschichte weben, nadörlich up platt, aber meine sprachlichen Kenntnisse reichten dazu leider nicht ...
1968 war ich gerade mal zwei Jahre alt und fünf Mark in der DDR genug für mindestens zehn kleine Helle  8-)

Dankend lieben Gruß
Tula

 GastIltis meinte dazu am 01.02.24 um 20:06:
Hallo Tula, übrigens habe ich gestern, meine Frau wollte unbedingt nach Greifswald, von Koserow aus auf dem Hinweg den Kühlwasserkanal und das Dorf Spandowerhagen besucht, in dem mein ehemaliger Kollege gewohnt hatte. Leider, er war Jahrgang 1924, habe ich ihn nicht mehr lebend angetroffen. vor drei Jahren ist er, noch sehr rüstig, verstorben. Das hat mir eine Frau erzählt, deren Mutter in unserer Firma tätig war. Wir haben uns beide riesig gefreut. Mein abschließender Besuch auf dem Friedhof war auch sehr von Erinnerungen geprägt. 
Der Kanal machte auch noch einen guten Eindruck. 
Greifswald hat mich etwas enttäuscht. Eine (evangelische) Buchhandlung hinter der Nikolaikirche war verschwunden, das Sibylla-Schwarz-Haus ist immer noch eine Ruine und weil es so schön ist, Ernst Moritz Arndt aus dem Universitätsnamen wegen seiner jdenfeindlichen Äußerungen verschwinden zu lassen, gibt es jetzt einen protzigen Alfried Krupp Wissenschafts Kolleg.
Die Sippe hat immerhin jüdische Zwangsarbeiterinnen, u.a. auch in Auschwitz beschäftigt, auf eigene Anforderung. Schöne gerechte Welt!
Gruß Gil.

Antwort geändert am 01.02.2024 um 20:07 Uhr

 Tula meinte dazu am 01.02.24 um 22:08:
Hallo Gil
Danke für deinen ausführlichen Reisebericht an einen Ort meiner heimatlichen Sehnsüchte. Ich war das letzte Mal vor etwa 5 Jahren dort, also bei Tante und Onkel. Wird mal wieder Zeit. Einen Traum muss ich mir noch irgendwann erfüllen: ein Törn auf der Greif, und sei es nur für zwei Stunden um Bodden. Aber sie liegt wohl noch immer in der Werft.

Das mit der Schule kann ich ebenfalls nicht nachvollziehen und dein Einwand berechtigt. Warum es so schwer fällt, die Menschen an ihrer Zeit zu messen ...

Dankend lieben Gruß
Tula

Antwort geändert am 01.02.2024 um 22:11 Uhr

 AchterZwerg (22.01.24, 05:34)
Lieber Tula,

ein wundersames Gleichnis auf das Altern und den nahenden Tod.

Noch einmal bäumt sich das beseelte Wesen auf, wünscht sich ein freies Fließen und ein Ziel: Schon wird es festgezurrt und in seine Schranken verwiesen.
Vielleicht in  eine der sog. Seniorenresidenzen. ---

Ichsaachnur: Gelungen. :)

 Tula meinte dazu am 22.01.24 um 22:35:
Hallo lieber 8er
So ist es leider. Eines Tages einfach so in einem Sturm unterzugehen, ist da nicht unbedingt eine schlechte Alternative.

Dankend lieben Gruß
Tula

Antwort geändert am 22.01.2024 um 22:35 Uhr

 Agnetia (13.02.24, 10:52)
ein wundervolles Gedicht, Tula, das als Symbol den sterbenden Kahn  hat. Ein Symbol fürs Alter. Oft habe ich sie gesehen diese Kähne. Es gibt kaum ein traurigeres, bedrückenderes Bild.
Das Schiff, eigentlich das Bild der unbegrenzten Freiheit, im Alter festgezurrt zur eigenen Sicherheit. So wie viele Menschen im Altenheim.
Ein Mal noch auf große Fahrt gehen und dabei zerbrechen wäre besser...
LG von Agnete

 Tula meinte dazu am 13.02.24 um 16:39:
Hallo Agnete
Wer ein maritimes Herz hat, den überkommt beim Anblick eines abgewrackten Kahns in der Tat eine ganz besondere Melancholie. Das Prinzip der unbegrenzten Freiheit ist sehr treffend, wie die Abenteuer, die es im Laufe der Jahrzehnte zu bestehen galt.

Einige Jahre lang besuchte ich regelmäßig meine Schwiegermutter im Heim. Beim Anblick einiger dort kam ich in der Tat auf das Gleichnis des Kahns. Sicherlich waren die Betroffenen (bereits im Zustand fortgeschrittener Demenz) zur eigenen Sicherheit, d.h. um nicht aus dem Sessel zu rutschen oder gar zu stürzen, mehr oder weniger 'festgezurrt' worden. Dann die Laute dazu, die innere Unruhe usw. Wer ahnt schon, was wirklich in ihnen vorgeht.
Beklemmend.

Dankend lieben Gruß
Tula

Antwort geändert am 13.02.2024 um 16:40 Uhr

 Agnetia meinte dazu am 13.02.24 um 19:47:
jA, ich habe es auch gesehen, als meine Mutter ganz am Ende für die letzten 3 Monate ins Heim geben musste. Menschen waren dort jahrelang! Wir haben abgewartet, bis es gar nicht mehr ging. Ich habe danach eine sehr rigide Patientenverfügung für mich selbst verfasst ... bestürzend, was man da sah. es lief mir noch jahrelang nach...

 harzgebirgler (27.02.24, 14:05)
hallo Tula,

ich muss dabei an abwrackprämie denken
wenn lebensläufe sich gen ende senken.  

lg
harzgebirgler

 Tula meinte dazu am 27.02.24 um 22:35:
Hallo harzgebirgler
Je früher man geht, um so mehr Prämie für die Erben. Also: Kreuzfahrten bis nischt mehr übrig bleibt  :D

LG Tula
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