Fass ohne Boden

Text

von  Gabyi

In meiner Kindheits-Straße gab es einen Böttcher. Der stellte Fässer und Tonnen aus Holz her, in denen Rollmöpse, Bismarckheringe, Matjesfilets, Saure Gurken und Salzgurken aufbewahrt wurden. Die Fässer standen dann auf dem regionalen Wochenmarkt. Die Fische und Gurken schwammen in einer Essiglake und wurden mit Holzzangen herausgefischt. Sobald die Tonnen zu einem Fass ohne Boden mutierten, waren sie ausgelaufen und auf dem Markt herrschte eine glitschige Sauerei. Man musste aufpassen, nicht auszurutschen. Oma Berthe hatte nicht aufgepasst und so schlitterte sie ungebremst zu Boden. Sie brach sich die Hüfte und erholte sich nie wieder davon. So etwas passiert mit Fässern ohne Böden. Eine bodenlose Sauerei.


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Kommentare zu diesem Text


 Oggy (01.03.24, 21:42)
Hätte Diogenes in einem Faß ohne Boden gehaust, wäre er früher oder später aus seiner komfortablen Wohnstätte mit ungewissem Schicksal herausgeplumpst. Bodenständigkeit quasi als Fundament des antiken Kynismus. Wow!

LG,
Oggy

PS
Ist Godot inzwischen eingetroffen?

 Gabyi meinte dazu am 02.03.24 um 13:39:
Er lag auch in der Tonne.
https://www.projekt-gutenberg.org/wbusch/diogen/diogen.html

Und Godot lässt weiter auf sich warten.
Danke für die Empfehlung :)

LG
Gabyi

Antwort geändert am 02.03.2024 um 13:40 Uhr

 Oggy antwortete darauf am 02.03.24 um 15:40:
Wenn ich das nächste Mal wieder zu Spaghetti Carbonara e una Coca Cola greifen will, bestelle ich stattdessen Spaghetti Tonno und erhebe meine Glas auf Diogenes.

 Gabyi schrieb daraufhin am 02.03.24 um 15:59:
Spliff, cool. Pizza Tonno ist auch lecker. Mjam mjam.

 AchterZwerg (02.03.24, 06:35)
Ein schön-doppelwandiger Fasstext! :)

 Gabyi äußerte darauf am 02.03.24 um 13:42:
Danke sehr für den doppelbödigen Komm :).

 Mondscheinsonate (02.03.24, 15:14)
Der Böttcher verkaufte gleichzeitig eingelegte Lebensmittel? Ich stelle mir alles gerade bildlich vor.
In Wien gab es ein altes Ehepaar, die waren irgendwann mal jung, aber das war lange her, sie war eine Zirkusprinzessin, tanzte am Seil, im Alter spielte sie mit über 90 noch auf dem Saxophon, mehr schlecht als recht, und er verkaufte im Stadtpark und Prater noch Salzgurken, auch weit über 90. Beide wohnten in der Tuchlauben und verdienten sich so ihr Brot und Miete. Wir liebten alle dieses Pärchen, sie starben aber still, keiner redet mehr über sie. Du hast mich wieder an meine Freude erinnert, wenn Papa mir eine Gurke kaufte und er sie aus dem Faß fischte. Ich war so glücklich!
https://www.andacht.at/et_cetera/lucia-westerguard

Kommentar geändert am 02.03.2024 um 15:38 Uhr

 Gabyi ergänzte dazu am 02.03.24 um 18:27:
Der Böttcher stellte nur Fässer und Tonnen her, gefüllt wurden sie von den Fischern und Kaufleuten. Deine Geschichte klingt sehr romantisch, schreib' doch mal 'ne Geschichte darüber. Die erinnert mich wieder an unseren blinden Nachbarn Straßburger, der einen Hökerladen betrieb und Klavierstimmer war. Über den hat Bübi Gerdau auch schon etwas geschrieben.

 Mondscheinsonate meinte dazu am 02.03.24 um 18:29:
Ja, über Wiener Originale kann man schön schreiben, auch über Waluliso, die Hawelkas, den General, den orgelspielenden "blinden" Rumänen, den "Obdachlosen", der eigentlich Millionär war...

 Gabyi meinte dazu am 02.03.24 um 18:56:
Habe mir den Film über Luzia angesehen, interessante Persönlichkeit. Erinner mich irgendwie auch an unseren Nachbarn Straßburger, der war blind und Klavierstimmer. Er wohnte direkt neben dem Böttcher ;) und schräg gegenüber unserem Haus. Über den hat Bübi Gerdau auch einen Text geschrieben. Ich habe es selber auch alles miterlebt.

 AngelWings (02.03.24, 16:17)
Ein Fass ohne Boden sein Bedeutungen: immer neue Investitionen verschlingend, weitere Mühen erfordernd, ohne dass jemals ein befriedigendes Ergebnis erreicht wird; ein Danaidenfass sein.

 Gabyi meinte dazu am 02.03.24 um 18:31:
Diese doppelsinnige Bedeutung ist im Text implizit auch schon enthalten. Danke trotzdem für die Aufzählung, Angel ;).

Antwort geändert am 02.03.2024 um 18:48 Uhr
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