[Metier: ein Kellerloch Dreck]

Text

von  Elén

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Jeden Abend kommt Käthe die Straße herunter. Sie geht mit rheumatischen dicken Hüften, geht mit ausgedrehten Füßen, mit federndem Kopf, der nickt und wippt, geht, taumelt; zwei fest geflochtene Zöpfe baumeln unter der Vorgabe ihrer Bewegung, kitzeln ihre Brüste; mit schnurgeradem Mittelscheitel, mit säuerlichen Achselhöhlen geht sie am rechten Rand der Öffentlichkeit unter Eichenbäumen und Jahreszeiten, unter Wolkentürmen, ohne Gewerbeschein. Jeden Abend kommt Käthe die Straße herunter, bei Regen, bei Sonne, geht vorbei an meinem Fenster, schielt aus dem Augenwinkel über unsere Gartenhecke, als würde sie wissen, dass eine ungefähre Person sie nach immer der gleichen Uhrzeit bemerkt und dennoch besteht sie drauf, nicht gesehen zu sein; vorbei geht sie, biegt schneidig in die Stifterstraße ein, rafft bereits im unteren Gassenhals den Rock, steigt mit gerafftem Rock, mit ausgemergelten Schuhen über Brennnessel und Himbeerstauden hinter den Müllcontainern dem Fritz vor die Beine und macht ihre Büchsen auf. Nun schon seit Jahren; und ich habe nichts gesehen.

Ich habe vor Zeiten die Augen geschlossen,
es bot sich an –

Die Stadt hat sich verändert über die Jahre. Sie ist zusammengewachsen und in den Räumen, hinter Fenstern stauchen sich Geschichten; Zimmer, die nun bereits mehrere Generationen beherbergen und über der Geometrie nichts ausweichen kann. Man hat einen Unrat Gepäck zurückgelassen, der den Umzug am Ende doch mehr stört als ausschmückt. Die einen sind ausgezogen, die anderen weggezogen, endgültig; und jene, die dann doch etwas auf die Vergangenheit halten, über das eine oder andere noch unentschlossen sind, haben sich blindlings ein Ding oder einen Gegenstand gekauft, symbolisch, sich die blaue Vase ins Regal gestellt und einen Fernseher auf die Kommode im Schlafzimmer. Die Stadt ist zusammengerückt und auch der Regen des vergangenen Herbstes hat nur den Staub von den Simsen gewaschen, jedoch keine Geschichten und, unter dem Anschein der Veränderung ist die Gegenwart doch nichts anderes als eine, so scheint es,  immer wieder zufällige Vergangenheit.

Käthe geht in die Altstadt, sie trägt ein ausgezeichnetes Kleid, ein frisch gewaschenes Kleid, das noch ein bisschen nach Weichspüler riecht, ein Kleid, durch das der Sommerwind geht; die Lippen hat sie sich rot oder weinrot gefärbt, das Gesicht abgedeckt mit Puder, es sich zurechtgerückt fürs Geschäft; sie flaniert nicht, sie wuchtet ihr Werkzeug das Viertel hinunter, am Dom vorbei, sie schiebt sich vor sich her und fächelt sich mit der Hand ein wenig Luft ins Gesicht; sie blickt auf die Uhr und beschleunigt den Schritt, weil sie überdies mit zusammengekniffenen Augen sieht, dass die Sonne schon die Wipfel der Bäume am Stadtrand berührt. Die Geschäftige steigt mir einem ausgerechneten Satz ins Gebüsch und muss lange schon nicht mehr verhandeln.

Ich habe die Bodenvase im Vorzimmer umgestoßen, als ich mit meinen blinden zerkratzten Augen ins Badezimmer rannte um mich zu übergeben; ich habe mir die Augenlider übers Gesicht gezogen und meine Schwester gebeten mir die Wimpern zu schneiden, nur für alle Fälle. Meine Schwester antwort nicht, antwortete nie, da sie in jungen Jahren stets damit beschäftigt war ihre Geschichte aufzuschreiben, um nun endlich auch das Haus verlassen könnte, sich bei Gelegenheit einen Ziergegenstand zu kaufen und eine Wohnung in der Josephstadt, im achten Bezirk, im siebzehnten Stock, Straßenseite anzuschaffen, von dort oben hinunter sie gegebenenfalls einen Kaugummi spucken kann, von dort oben hinunter sie den Hass der Tage und eine Halsvoll kalten Rotz versehentlich auf die Köpfe der Huren spucken kann; auf Schlampenköpfe, die im Schein der Laternen und im Scheinwerferlicht des Verkehrs noch immer eine Erträglichkeit zu vertraut aussehen; keine Story für irgendwen oder irgendwann. Man lässt sich zurück, man räumt sich aus, man überlässt das Erinnern den Gescheiterten und den chronisch Brechsüchtigen.

Ich habe die gesamte Stadt auswendig gelernt, mir alle Wege eingeprägt die Käthe zu besorgen hatte. Ich bin ihr nachgeschlichen mit meinen Kinderfüßen; solange ich noch gesehen habe und meine diese Augen erträglich über dem Unmittelbaren im Leben. An der Albertinerkirche vorbei mit Käthe, am Rathaus vorbei; ich bin mit Käthe in der U-Bahn gesessen und habe den Einkaufskorb gehalten; neben Käthe auf der Parkbank, den Kopf gehalten, diesen verwahrlosten Schädel, der nach Schnaps roch und nach Zigaretten; ich habe mit Käthe am Küchentisch gesessen und das Erbrochene aus ihrem Schoss gewischt; ich habe mit Käthe in Amt gestanden und ihre Hand um den Kugelschreiber geklemmt;

Jeden Abend kommt Käthe die Straße herunter. Sie geht mit rheumatischen dicken Hüften, geht mit ausgedrehten Füßen, mit federndem Kopf, der nickt und wippt; zwei fest geflochtene Zöpfe baumeln unter der Vorgebe ihrer Bewegung, baumeln, kitzeln ihre Brüste; mit schnurgeradem Mittelscheitel, mit säuerlichen Achselhöhlen geht sie am rechten Rand der Öffentlichkeit unter Eichenbäumen, unter Jahreszeiten, unter Wolkentürmen, nun mit Gewerbeschein geht sie. Jeden Abend kommt Käthe die Straße herunter, bei Regen, bei Sonne, geht vorbei an meinem Fenster, schielt aus dem Augenwinkel über unsere Gartenhecke, als würde sie wissen, dass eine ungefähre Person sie nach immer der gleichen Uhrzeit bemerkt und dennoch besteht sie drauf, nicht gesehen zu sein und auf keine Geschichte zurückzufallen; - sie steigt dahin und dorthin mit ihren betrunkenen Füßen, mit ihrer abgenutzten Scham, mit ihrer abgeweideten Gegend, mit ihrem zerrissenen Unterleib und


ich habe
noch einmal die Stadt betreten,
mir die Augen eingeschlagen,
bis zur Bewusstlosigkeit mich erbrochen -



 
Mutter.



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Kommentare zu diesem Text

mmazzurro (51)
(23.07.07)
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 Elén meinte dazu am 17.08.07:
;)
daniela (39)
(25.07.07)
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The_black_Death (31)
(25.07.07)
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TomMüller (40) antwortete darauf am 26.07.07:
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zackenbarsch† (74) schrieb daraufhin am 06.08.07:
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 Dieter_Rotmund äußerte darauf am 17.08.20:
Nein, hat er nicht.
zackenbarsch† (74)
(06.08.07)
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 Elén ergänzte dazu am 17.08.07:
Dank :)
eilika (33)
(22.10.07)
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