Darüber hinaus.

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von  Elén

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(von Elén)
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Manchmal. Ich nehme im Wissen um das Immer ein Manchmal an, ich täusche mich mir selbst vor, um mich ein weiteres Mal für ein Leben zu entschließen, gegen das ich mich längst entschlossen habe, mich unweigerlich entschließen habe müssen, weil ich mit mir zu weit gegangen bin. Ich sage Manchmal, ich lüge mich durch die Tage, um überhaupt leben zu können. Ich bleibe an dem Punkt, an dem das Denken beginnen würde stehen und entsage meinem Verstand, um diese Widerwärtigkeit eines Lebens überhaupt ertragen zu können. Ein Mensch, der zu denken beginnt, ist sich seiner selbst ohnmächtig, ist sich ausweglos. Ich habe mich eingenistet in die Stumpfsinnigkeit, in diese Verstandlosigkeit, in diese absolute Abwesenheit von menschlicher Intelligenz, mich auf Fühllosigkeit eingerichtet, einen Mittelweg getroffen für das Abstoßende. - Ich gehe jeden Tag durch die Kalgergasse und muss hunderten von Menschen ins Gesicht sehen, denen die Niedersinnigkeit ins Gesicht geschrieben ist, die bei dieser Erbärmlichkeit ihres Daseins mit Socken, mit Strümpfen, mit Stutzen oder barfuss in den Schuhen stecken und hingehen, diese fragwürdigen Menschen an denen Gewohnheit bereits so groß geworden ist, dass bei ihrem Anblick einen genauen Menschen nur die Furcht befallen kann. Abstoßend. Ekelhaft und zutiefst erschütternd. Diese Menschenunwürdigkeit, diesen zutiefst und unsagbar menschenunwürdigen Ausdruck, den der Mensch annimmt in seiner ganzen Gestalt, den er austrägt wie ein feuchtes, lausiges Armutskleid. Je älter ich werde und je durchscheinbarer diese Welt mir wird, desto schwerer fällt es mir, überhaupt noch irgendwo genau hinsehen zu wollen. Diese Entsetzlichkeit. - Und, wenn ich auf die Strasse hinaus gehe, sage ich zu Janka, wenn ich auf einer dieser Straßen durch die Stadt gehe und alle diese hilflosen, diese abgeschnittenen Gesichter sehe, und wenn ich auf die Straße sehe, aus meinem furchtgeweiteten Augenwinkel schiele und sehe, und aus all diesen Mündern ein Reden höre, dieses erbärmliche Reden höre, muss ich mich abwenden und eilig irgendwo in eine Seitenstraße einbiegen, mit stolperndem Herzen, mit der Angst im Hals versuchen so schnell wie möglich in meine Wohnung zu kommen; um nicht verrückt zu werden, um mein Verrücktsein hinauszuzögern, um diese Bedrängnis meiner kleinen Hellsichtigkeit so schnell wie möglich zurück zu drängen und mir Dunkel, Umnachtung zu verschaffen, - selige Nacht, selig die Schlafenden, - mir diese starken Impulse, die mir Gewissheit aufdrängen, von der ich längst weiß, dass sie mich betrifft und gegen die ich ums Überleben kämpfe, um diese Gewissheit so schnell wie möglich mir aus dem Blickfeld zu schaffen, aus den Augen, aus dem Kopf. - Weil ein Mensch, der die Möglichkeit des Denkens in Erwägung zieht nicht existieren kann, er ist nicht lebensfähig, zitiert Janka Janka, die seit geraumer Zeit aus irgendwem spricht, zumindest nicht aus sich selbst. Es gibt viele Menschen, die sich Wissen aneignen und behaupten, sie hätten Verstand. Das ist der größte Irrtum; dieser große, dieser ungeheuerliche Irrtum, der das Gesicht der Lächerlichkeit annimmt, sobald er enttarnt ist. Was der Verständige als Verstand bezeichnet, ist am Ende doch nur ein hin- und herschieben, ein zerrupfen von Begrifflichkeiten, ein Pseudonym, eine Umschreibung Geistlosigkeit, die gesellschaftlich anerkannt, weil davon die Masse betroffen. Begrifflichkeiten, die manchmal, ich sage manchmal, eine Annäherung sind, ein Innehalten, ein flüchtiges Heraustreten aus einer Gewohnheit, um gleich unmittelbar und eiligst, da der Zweifel noch nicht einmal aufgekeimt, wieder zurückzufallen in sich selbst, in diesen angenommenen Verstand, der keiner ist, der niemals einer sein kann, weil die lebendige Natur ihn nicht zulässt, einen Verstand, den der erbärmlich Hilflose sich zurechtgelegt hat für ein Leben, sagt Janka, die begriffen hat, die nun absolut begriffen hat und unweigerlich hat verrückt werden müssen und seither in der Irrenanstalt lebt um dort ihrer Außergewöhnlichkeit, dem Wahnsinn auszuharren. – So gut es geht, so gut es geht, sagt Janka und lächelt verzerrt, entrückt, so gut es geht, wo längst alles aufgehört hat zu gehen, so alles stehen geblieben ist in der Erkenntnis der Ausweglosigkeit, so gut es geht, sagt Janka und weiß, dass sie sich unwiderruflich übertreten hat, dass sie über sich hinaus geschossen ist und weiß, dass nichts mehr gehen wird, weder heute noch morgen, dass, im Begriff des Denkens ihr die Möglichkeit, sich auch nur einen Millimeter zu rühren abhanden gekommen ist. So gut es geht, sagt Janka, die nicht mehr Janka ist, die nun und nur mehr ein gegen die Verzweiflung ankämpfendes Nichts ist, die nichts ist, die nicht mal mehr nichts ist, ein vernichtetes ausharrendes Nichts, das in einer Irrenanstalt in einem Bett liegt und mit blauen Augen, die niemandem gehören, diesen Augen, die in keinem mehr wohnen, die heimatlos geworden sind über der Einsicht und die transparent geworden sind für den menschlichen Wahnsinn, an die weißgelackte Decke starrt; mit begeisterten, entgeisterten, freigeistigen, geistesabwesenden Augen stiert, starr geworden, erstarrt über der Hilflosigkeit Dasein, über der Tatsache. So gut es geht, wo das letzte Kapitel Janka, die nicht mehr ist, die längst fort ist, einer Geschichte abhanden gekommen ist, wo dieses letzte Kapitel längst geschrieben ist und keiner das Buch zuschlagen will. -



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Kommentare zu diesem Text

rainer-dieter (31)
(12.08.07)
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AbeggRichard (44)
(12.08.07)
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chantiare (22)
(13.08.07)
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Jack (33)
(07.05.08)
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 Dieter_Rotmund (28.12.18)
Der Einstieg ist Mist, später wird's besser. Besser wäre es, mal nicht mit Ich, ich und ich zu beginnen, das hat nur ein abschreckende Nabelschau-Attitüde. Sondern an den Leser denken. Der ist wichtiger als das Autoren-Ich.
Das Bild mit dem Rotz (?): Nun ja, ganz nett. Warum nicht.
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