Genie und Wahnsinn XXII: Guy de Maupassant (1850-1893)

Essay zum Thema Wahnsinn

von  JoBo72

Guy de Maupassant ist einer der bedeutendsten französischen Erzähler des 19. Jahrhunderts, einer der wichtigsten Novellisten der Weltliteratur. Der Spross eines ostfranzösischen Adelsgeschlecht gilt dabei als Epigone Flauberts. Er begann seine literarische Arbeit mit Gedichten und Dramen, bekannt wurde er jedoch durch seine realistischen Romane (Une vie, 1883; Bel ami, 1885) und Novellen, die v.a. in der Normandie spielen, deren Land und Leute Maupassant gut kannte. Neben dem unverschönten, kühl-objektiven Realismus zeugen insbesondere die 260 Novellen von Maupassants brillanter, technisch perfekter Erzählkunst.

Inhaltlich zeigt sich in den Novellen ein tiefer Schmerz über die Zustände der Welt. Mit deprimierendem Pessimismus widmet sich Maupassant der Mittelmäßigkeit des Menschen, die ihre Langeweile und Habsucht, ihre banalen Illusionen mit Grausamkeit und Erotik überdecken. Wie sein Vorbild Flaubert schreibt er sich seinen Ekel vor der Banalität des modernen Lebens von der Seele, einig mit seinem Zeitgenossen Schopenhauer und seinem Erben in Sachen Welt-Ekel, dem französischen Existentialisten Jean-Paul Sartre.

Neben Kriegserfahrungen (Boule de Suif) und der Lebenswelt der Dirnen (La Maison Tellier) tragen v. a. jene zahlreichen Novellen autobiographische Züge, die von Übersinnlichem, von Hirngespinsten und Alpträumen erzählen. Maupassant litt nämlich unter starken Halluzinationen, die möglicherweise auf eine Syphilis-Infektion zurückzuführen sind. Das besondere dabei ist, dass Maupassant sein Leiden nicht schamhaft geheim hält, sondern offen künstlerisch verarbeitet. 1883 beschreibt er in der Novelle Lui eindrücklich eine selbst erlebte Halluzination:

„Dann verschloss ich die Tür meines Zimmers zweimal und fühlte mich ein wenig sicherer. Wenigstens konnte niemand hereinkommen. Ich setzte mich noch und dachte lange über mein Abenteuer nach. Dann legte ich mich hin und löschte das Licht. Einige Minuten lang ging alles gut. Ich lag auf dem Rücken, recht friedlich. Dann überkam mich der Drang, durchs Zimmer zu sehen, und ich drehte mich auf die Seite. Im Feuer glomm es nur noch an zwei oder drei Stellen, so dass gerade noch die Füße meines Sessels beleuchtet waren – und ich glaubte wieder, den Mann darinnen sitzen zu sehen. Mit einer raschen Bewegung zündete ich ein Streichholz an. Ich hatte mich getäuscht, denn ich sah nichts mehr. Dennoch erhob ich mich und ging, den Sessel hinter meinem Bett zu verbergen. Dann löschte ich das Licht wieder und versuchte einzuschlafen. Ich war noch nicht länger als fünf Minuten hinübergedämmert, als ich im Traum, jedoch deutlich wie in Wirklichkeit, erneut die ganze abendliche Szene wahrnahm. Außer mir erwachte ich, und nachdem ich mein Quartier wieder erleuchtet hatte, blieb ich auf meinem Bett sitzen, ohne es zu wagen, wieder einzuschlafen. Trotzdem übermannte mich der Schlaf zwei Male für einige Sekunden. Beide Male sah ich die Sache wieder. Ich glaubte, ich sei verrückt geworden.“

Aufgrund der Erkrankung (Syphilis und Halluzinationen) fiel er mit 41 Jahren endgültig in geistige Umnachtung, eine gewisse Parallele zu Nietzsche, der ebenfalls unter Syphilis litt und mit 44 Jahren seinen geistigen Zusammenbruch erlebte. 1893, im Alter von 43 Jahren, stirbt Guy de Maupassant in Paris.

Sein erzählerisches Werk wird nach wie vor gerne gelesen, nicht zuletzt in Deutschland und wohl nicht zuletzt wegen der tiefschürfenden Kritik an jenem Menschenbild der Moderne, dass heute mehr noch als vor über hundert Jahren von Oberflächlichkeit und Mittelmäßigkeit geprägt wird.

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Kommentare zu diesem Text

Graeculus (69)
(07.10.18)
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 Dieter_Rotmund (10.03.20)
Ja, super, aber als wirklich gelungenen Essay fehlt dem Text noch das gewisse Etwas, der Kniff, die Volte, wasweißich.
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