Verflogen

Text zum Thema Beziehung

von  Isaban

Dein Koffer steht noch auf dem Dachboden. Wenn ich verquer bin, packt mich die Aufräumwut. Dann beginne ich, an irgendeiner Ecke zu räumen und zu räumen und finde irgendwas, an dem ich mich festhalten  kann, bis sich das Atmen wieder so anfühlt, wie das, was man immer tut. Ich habe ewig gewischt, gescheuert und geputzt, bis das alte, spröde Leder nicht mehr klebrig und staubig war. Sogar unter den Schnallen. Als wäre es ein Ritual, als dürfte ich den Deckel nicht eher heben, bis ich alle Regeln befolgt habe. Gerade ich und Regeln. Und Putzen. Du hättest gelacht. Und nach Honigtabak geduftet.
Manchmal drehe ich mich heute noch um, wenn ein Pfeifenraucher an mir vorbei geht. Wie kann man sich vor Zigaretten so ekeln und sich beim Duft von Pfeifentabak zu Hause fühlen?
Von dem Lederpflegezeug muss ich mir noch was besorgen. Inzwischen sieht die Oberfläche wirklich rissig aus. Dein Mantel ist drin. Anthratzit und warm und kratzig. Wie du. Pfeffer und Salz, graumeliert, damit man Flecken und morsche Stellen nicht sieht. Deine Worte. Er passt mir.
Ich weiß gar nicht, was das damals war. Ich konnte nicht heulen, nicht nachgeben, nicht  zugeben. Aber lügen konnte ich, wie gedruckt. Und so tun als ob. Es gab für alles die passende Lüge.
Heulen habe ich inzwischen gelernt, nicht damals, hinterher, irgendwann.
Du warst da, als ich nicht wusste wohin, du hast keine Bedingungen gestellt. Du warst so alt. Mir kamst du damals so alt vor. Alt und kantig. Und ich war so jung. Damals. Und trotzdem, da war was. Nichts, was mit Vögeln zu tun hatte, aber da war was. Das Gefühl, mal nicht auf der Hut sein zu müssen, mal nichts falsch zu machen.
Gesummt hast du, wenn ich mich wach geträumt hatte und gelacht, wenn ich was kaputt gemacht hab und über meinen Zorn und über mein Fluchen und über das Zeug, das ich gegessen habe und als ich in deine Hausschuhe kotzte. Und du hast immer Deine Kleine zu mir gesagt. Nicht meine Kleine. Ich hab mir gehört. Deshalb bin ich bei dir geblieben und habe mir das Lügen abgewöhnt.
Dein Mantel fühlte sich so richtig an. Das tut er immer noch. Jetzt. Nur der Tabak duftet nicht mehr. Wahrscheinlich habe ich die Dose aus deiner Manteltasche zu oft aufgemacht, um dich noch mal zu riechen.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text


 AZU20 (07.03.08)
Da hat das LyrIch aber etwas falsch gemacht. Auch wenn er älter war, es hätte ihn festhalten sollen statt jetzt alte Koffer zu wienern und sich nach dem Geruch von Pfeifentabak zu sehnen. Oder ist es auch hier die Sehnsucht nach dem, was man nicht hat, nicht mehr haben kann? Gut geschrieben, interessante Formulierungen und Bilder. LG

 Isaban meinte dazu am 09.03.08:
Lieber Armin,
das ist eine sehr interessante Interpretation meiner Geschichte.
Ja,man sehnt sich sehr oft nach dem, was man nicht haben kann und manchmal hält man sich einfach an dem fest, was war, wenn das, was ist sich nicht gut anfühlt.
Ich danke dir sehr für deine Rückmeldung.
LG, Sabine
artemidor (58)
(07.03.08)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Isaban antwortete darauf am 09.03.08:
Ja, Honigtabakwohlgeruch.
Danke, Arti.
Liebe Grüße,
Sabine

 Maya_Gähler (07.03.08)
Boah Sabine... das ist ja Kopfkino vom Feinsten, was du da bei mir auslöst...
Wie gut ich das mit dem Zigarettenqualm und dem Pfeifenaroma verstehen kann. Überhaupt ein Text, der richtig unter die Haut geht.
Keine Besitzansprüche zu stellen ist eine Kunst.
Dein Mantel fühlte sich so richtig an. Und das tut er immer noch.
Schön, wie man sich Erinnerungen bewahren kann.
Herzliche Grüsse,
Maya

 Isaban schrieb daraufhin am 09.03.08:
Das nehme ich als Kompliment für meinen Text, liebe Maya. Was will ein Text mehr erreichen, als einen Kopfkinofilm beim Leser hervorzurufen? Ich freue mich, dass dir die Geschichte so viel erzählen kann. Danke für deine Rückmeldung.

LG, Sabine
ich (41)
(07.03.08)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Isaban äußerte darauf am 09.03.08:
Ja, doch, das ist es. Ich danke dir für deine Rückmeldung, Sylvia und für deine Gedanken zumText.
LG, Sabine
Synonym (32)
(09.03.08)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.
wupperzeit (58)
(10.03.08)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.
KoKa (43)
(10.12.11)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram