man beachte: die welt tut weh

Skizze

von  Zeder

warum im frühling sommer ist und im sommer herbst, das weiß ich nicht. meine erklärung ist, dass die zeit davon läuft, immer ein wenig schneller.
meinen schatten muss ich mühselig die wand entlang ziehen, um ecken herum, über straßen. ein mann in schwarz an meiner seite, ein wenig vor mir vielleicht, manchmal ein blick zurück, nicht unfreundlich, nur manchmal vergesslich. ich bin bemüht und beschäftigt, kann nicht so recht sehen, wohin ich treten soll und während ich zerre, bete ich, dass es abend wird. mein gebet wird erhört: der schwarze mann führt mich in die nacht hinaus, in den tag hinein -
die tür weht auf. frau elster sitzt und raucht. verschiebt das glas auf dem werbeuntersetzer. dunkel lackiertes holz, einmal zedernhell gewesen, gedämmtes licht, obwohl tag ist. die frisur aktuell, eine zeitschrift unter dem arm, ich kneife die augen zusammen, kann nicht lesen was es ist. sie nippt am glas, formt rauchwolken, die zu boden sinken. mein schatten liegt tief unter dem stuhl. rotes, hartes polster. die tür schlägt auf, weht zu. mein bier kommt, läuft über. ich habe all meine nägel abgekaut, obwohl der tag noch nicht um ist, und sie wachsen so langsam. ich habe noch so viel zu tragen, sage ich. frau elster blickt auf, fragend, ich winke ab. sie dreht das glas, beherrscht sich, nippt daran, knallt es auf den tisch zurück. rede endlich, ruft sie. ihr kopf kommt ganz nahe, die zeitschrift rutscht ihr aus dem arm. rede endlich! wiederholt sie noch lauter und ihr gesicht verzieht sich wie altes, nasses holz. mein blick folgt der zeitschrift, ich kneife die augen zusammen und überlege was für ein baum das einmal war. vielleicht hat in diesen baum mal jemand etwas hineingeritzt. und als ich frau elster wieder ansehe fällt mir auf, dass mein leben ein geheimnis ist, dass ich ein geheimnis bin, ein langweiliges. frau elster trinkt aus, ein tropfen perlt an ihrer pfirsichfarbenen lippe, sie wischt darüber, hebt die zeitschrift auf. als sie aufsteht fällt nichts um. kein glas zerspringt, kein kind schreit, kein mensch stirbt, nirgendwo. dann weht die tür zu. eiche. der mann in schwarz sitzt vor mir und lächelt.
und nun? fragt er. nun gehen wir, sage ich, und schiebe meinen schatten aus dem lokal.
taghell. ich schließe die augen und beginne zu laufen. ich beginne zu rennen, immer vor meinem schatten davon. ich stürze. und wenn man stürzt, dann steht man wieder auf, sagt man. was ist, wenn man liegen bleibt, dreht dann die welt nicht mehr? ist das dann so, als ob ein puzzelteil fehlt, meint wirklich jemand, dass das so wichtig ist, das ich so wichtig bin? ich frage den mann in schwarz vor mir. er lächelt und sagt nein, das bist du nicht. aufatmen. das ist gut, murmle ich. ich renne weiter. ich betrachte den spielplatz, das rote auto an der ecke, den grauen balkon am haus rechts von mir, die häuserdächer - überall war ich schon. dann stehe ich wieder vor dem lokal. mein schatten hat mich nicht verfolgt, er hat gewartet. ich bin atemlos.der asphalt schimmert rot, als wir weiter gehen. ich beginne zu singen, weil meine fingernägel abgekaut sind. ich singe lauter und ich sage mir, dass ich mir diese melodie unbedingt merken muss, die vögel sind still, ich komme wieder an dem spielplatz vorbei, die kinder drehen sich um, die autos bleiben stehen, auf den grauen balkon tritt frau elster und lächelt herunter und ich begreife, dass es kein einziges geheimnis gibt. kein einziges geheimnis auf der gesamten welt. ein glas zerbricht und ich weiß plötzlich, dass es nichts mehr zu holen gibt. nurnoch zu geben, denn wir schöpfen uns gegenseitig aus.
ich stürze.


Anmerkung von Zeder:

03.11.08

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Kommentare zu diesem Text


 Vaga (05.06.09)
Viele viele Sätze, die einzeln für sich sehr besonders sind. Viele viele Male lässt sich das lesen und es bleibt spannend. Nur einen Teilsatz - von vielen - hebe ich heraus
fällt mir auf, dass mein leben ein geheimnis ist, dass ich ein geheimnis bin, ein langweiliges.
Auf sowas zu kommen, ist wirklich außerordentlich! LG - Vaga.

 Zeder meinte dazu am 05.06.09:
hui :) ich danke!
lg

 Mutter (05.06.09)
Ja, ganz großartige Bilder.
Fand ich auch.
Und der Titel ist wunderschön. Obwohl mir der Satz mit den Doppelpunkten, wie er im Text vorkommt, besser gefällt.

 Zeder antwortete darauf am 05.06.09:
danke! ich hatte auch über doppelpunkte im titel nachgedacht. vielleicht ändere ich das noch.
grüße.
blaubeermund (26)
(05.06.09)
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spiegelpfütze (26)
(16.06.09)
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Samjessa (28)
(04.07.09)
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 Zeder schrieb daraufhin am 04.07.09:
also. dass du das jetzt mal sagst find ich gut. mit dem ende gehts mir auch so. da stimmt irgendwas nicht.
Samjessa (28) äußerte darauf am 05.07.09:
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 Zeder ergänzte dazu am 05.07.09:
sie ist halt ein schlaues mädchen ;)
ich hatte eigentlich schon länger damit geliebäugelt einfach den letzten satz rauszunehmen. dann ist es schon wieder so abrupt, dass es cool ist.

 Zeder meinte dazu am 05.07.09:
jetzt hab ich ihn nochmal ganz überholt. was sagst du?
Samjessa (28) meinte dazu am 05.07.09:
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 Zeder meinte dazu am 05.07.09:
stürzen, weil ich das bild ja weiter oben schon verwendet habe. nur jetzt ist der schatten dabei und alle gucken und das unterstützt nochmal, das es kein geheimnis gibt. es bleibt so offen, ob sie wieder aufsteht.
Samjessa (28) meinte dazu am 05.07.09:
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 Zeder meinte dazu am 05.07.09:
lieber stolpern? ^^ das mit dem stürzen find ich schon gut so. aber beim ersten punkt geb ich dir recht! danke sehr, sami.
Samjessa (28) meinte dazu am 06.07.09:
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 poena (31.08.09)
komisch. ich versteh gar nicht, warum ich hier noch nichts dazu gesagt habe. das ist nämlich ein spannender text. gute beobachtung und coole bilder und die sprache, wie immer: treffend. :) p
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