Pastell

Skizze

von  Zeder

Sie wacht nachts auf davon.
Ihre Mutter hat damals immer gesagt, dass man jeden Abend vor dem Schlafen gehen die Haare auskämmen muss. "Und du hast so schöne Haare", fügte sie manchmal hinzu und ließ die Bürste hindurch gleiten. Das Mädchen zählte meistens die Striche und befühlte nachher in der Dunkelheit das weiche Haar.
Heute Nacht wacht sie auf, weil sie plötzlich weiß, dass sie es diesen Abend vergessen hat. Und sie tastet im Dunkeln nach der Bürste und fängt an zu kämmen. Das Metall der abgenutzten Borsten zieht über ihre Kopfhaut und kratzt sich mit jedem Strich tiefer hinein, während sie von Null bis Hundert zählt. Danach gleitet sie erschöpft ins Bett zurück und schließt die Augen. "Entschuldige, Mama", flüstert sie in die Dunkelheit hinein.

Im Zimmer nebenan liegt ein trauriger Mann und betrachtet das Bild einer Frau mit weichen Haaren und stillen Augen. Er sagt: "Sie sieht genauso aus wie du" und schlägt die Decke zurück. Der Flur ist dunkel und nur wenn es Dunkel ist herrscht auch Stille in seinem Kopf. Er atmet erleichtert und hat Angst vor dem Morgen, er schält sich seine Kleider nach und nach vom Leib und öffnet die einzige Tür. Er wartet und durch das Fenster dringt das erste Licht. "Wie kannst du nur", sagt eine Stimme zu ihm. Der Vater seufzt und betrachtet das Gesicht eines Mädchens im Schlaf.

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Kommentare zu diesem Text


 Vaga (05.06.09)
Auch hier: Bilder! Sehr bewegend! Erschütternd zum Teil. Unter die Haut geht das Ende. Es wirft Fragen auf, die nicht eindeutig beantwortbar sind - und diese Uneindeutigkeit prägt die Qualität des Textes mit.
Melancholic. (31)
(09.07.09)
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 Zeder meinte dazu am 09.07.09:
ich danke! aber es ist halt wirklich nur eine skizze, in der hoffentlich die aussage des angestrebten textes schon deutlich wird. ich fand sie aber einer veröffentlichung schon würdig.
liebstes

 Ingmar (26.07.09)
liebe zeder,

lange betrachte ich die möglichkeit einer umstellung der abschnitte, und frage endlich, was denkst du?!

Im Zimmer nebenan liegt ein trauriger Mann und betrachtet seit Stunden das Bild einer Frau mit weichen Haaren und stillen Augen. Er sagt: "Sie sieht genauso aus wie du" und schlägt die Decke zurück. Der Flur ist dunkel und nur wenn es Dunkel ist herrscht auch Stille in seinem Kopf. Er atmet erleichtert und hat Angst vor dem Morgen, er schält sich seine Kleider nach und nach vom Leib und öffnet die einzige Tür. Er wartet und durch das Fenster dringt das erste Licht. "Wie kannst du nur", sagt eine Stimme zu ihm. Er seufzt und betrachtet das Gesicht eines Mädchens im Schlaf.

Sie wacht nachts auf davon.
Ihre Mutter hat damals immer gesagt, dass man jeden Abend vor dem Schlafen gehen die Haare auskämmen muss. "Und du hast so schöne Haare", fügte sie manchmal hinzu und ließ die Bürste hindurch gleiten. Das Mädchen zählte meistens die Striche und befühlte nachher in der Dunkelheit das weiche Haar.
Heute Nacht wacht sie auf, weil sie plötzlich weiß, dass sie es diesen Abend vergessen hat. Und sie tastet im Dunkeln nach der Bürste und fängt an zu kämmen. Das Metall der abgenutzten Borsten zieht über ihre Kopfhaut und kratzt sich mit jedem Strich tiefer hinein, während sie von Null bis Hundert zählt. Danach gleitet sie erschöpft ins Bett zurück und schließt die Augen. "Entschuldige, Mama", flüstert sie in die Dunkelheit hinein.



ps.

"Und im Regal weint eine Puppe in Pastell die Tränen, die das Mädchen nicht mehr weinen mag."

ich find das bild, find den satz sehr schön. und würde ihn trotzdem ersatzlos aus dem text zu streichen. kannst du das nachvollziehen? dies: "Entschuldige, Mama", flüstert sie in die Dunkelheit hinein. dieser satz ist schlichter, aber stärker, ergreifender. verliert jedoch viel (zuviel!), wenn dann noch folgt: "Und im Regal weint eine Puppe in Pastell die Tränen, die das Mädchen nicht mehr weinen mag."

viele grüsse,
ingmar

 Zeder antwortete darauf am 26.07.09:
hm. ich finde die idee interessant. bin erfreut darüber, dass beides so gut möglich ist. und frage dich: was verändert sich für dich durch die umstellung inhaltlich? ich finde das bild des vaters an der tür stark. stark genug für einen schluss. und auch offen genug für eigene gedanken.
und bei dem satz geb ich dir völlig recht, der ist überfluss. aber passt dann der titel noch?

danke, ingmar :)
theresa

 Ingmar schrieb daraufhin am 27.07.09:
liebe theresa

hoffe, du empfindest kritik nicht als zumutung hier. sehr behutsam, sehr zart schimmert er da im virtuellen raum, dein text (weswegen ich glaube, dass der titel - pastell - belassen werden kann und soll, auch wenn der satz "Und im Regal weint eine Puppe in Pastell die Tränen, die das Mädchen nicht mehr weinen mag" wegfällt), und ich möchte dir und deinem text nicht roh und gefühllos erscheinen...

heikel, oder unelegant, finde ich, dass du das mädchen mädchen nennst, dabei aber immer, wenn du ein personalpronomen brauchst, 'sie' und 'ihre' schreibst statt 'es', das mädchen, und 'seine' mutter, etc.

und übrigens, ich tät die abschnitte in der reihenfolge, wie sie sind, belassen. dies nach neuerlichem nachdenken als meinung dazu meinerseits.

hierzu: "...betrachtet seit Stunden das Bild einer Frau mit weichen Haaren und stillen Augen": ich finde das zu dick aufgetragen, dieses 'seit stunden', weil ich diesen text wort für wort beim wort und nicht beim sprichwörtlichen nehme, und dieses wort - seit stunden - glaube ich nicht. eine stunde ist schon ein sehr langes betrachten von ein und demselben bild, stunden im plural ist unnötig übertrieben... warum nicht ein 'versunken' oder so, statt einer zeitangabe?!

der satz "Und im Regal weint eine Puppe in Pastell die Tränen, die das Mädchen nicht mehr weinen mag" sollte meines erachtens zweifellos weg.

ich tät den mann im zweiten abschnitt am anfang mann nennen, so wie du es machst, aber gegen ende hin irgendwo einmal noch vater, etwa hier: "Der Vater seufzt und betrachtet das Gesicht des (!) Mädchens im Schlaf." fände diese 'verwandlung' vom ehemann zum vater sehr schön, glaub ich.

herzlich,
ingmar
(Antwort korrigiert am 27.07.2009)

 Zeder äußerte darauf am 29.07.09:
also, ingmar, ich finde deine kritik ganz im gegenteil sehr durchdacht und hilfreich und schlüssig. mir scheints irgendwie, dass du dir da die gedanken gemacht hast, die mir noch fehlten.
das mit den personalpronomina: eine unüberdachte gewohnheit. pff.
danke!

 Zeder ergänzte dazu am 29.07.09:
ich hab nun das vater im letzten satz übernommen und bin leidlich zufrieden. eine andere idee, auch nicht ohne vorbehalte:
er seufzt und betrachtet das gesicht seines kindes im schlaf.
die pastellfarbene puppe ist ad acta gelegt.
an das "es" als pronomen muss ich mich gerade gewöhnen. ich müsste den text dann folglich schon mit "es wacht nachts davon auf" beginnen. das klingt ja wie schlechte fantasy, oder so.
(Antwort korrigiert am 29.07.2009)

 Ingmar meinte dazu am 29.07.09:
du schreibst:
an das "es" als pronomen muss ich mich gerade gewöhnen. ich müsste den text dann folglich schon mit "es wacht nachts davon auf" beginnen. das klingt ja wie schlechte fantasy, oder so.

...eine mögliche lösung: du gibst dem mädchen einen namen. nennst es tina, z.b., statt das mädchen. hm.

 Ingmar meinte dazu am 29.07.09:
dein leidliches mit dem vater versteh ich. ja, so geht es nicht. es wirkt zu künstlich, statt kunstvoll. hm. machs rückgängig. und lass dir ne gute lösung einfallen, beizeiten. ich denk, die findet dich bestimmt. :)

ingmar
tausendschön (33)
(11.09.09)
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Anne (56)
(05.06.11)
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