Neuer, vielleicht (endlich) entgültiger Abschied.

Brief zum Thema Abschied

von  ZornDerFinsternis

Wenn man den Schmerz über Jahre in sich hinein lässt, verdichtet er sich.
Gewinnt mehr und mehr an Macht. Über die Gedanken. Das Handeln und Empfinden.
Es gibt keine andere Welt mehr dort draußen.
Es gibt nur noch dich. Und diesen ständig größerwerdenden Schmerz im Innern.
Der alle anderen Gefühle unter sich begräbt, sofern sie nicht schon lange bevor der Schmerz
einzog von der Klippe gesprungen sind.
Und ja, die Leere fühlt sich besser an, wenn der Schmerz bei ihr ist.
Es gibt keinen Notausgang mehr. Der Schmerz hat sich verbarrikadiert und droht damit
dich mitzunehmen. In dieses blass-grelle Licht. An einen dieser vielen Orte, von denen
die Menschen reden, dass es dort keinen Schmerz und keine Erinnerung mehr gibt.
Und, wenn ich mit meiner Flasche Whisky auf dem Balkon sitze und das Leben, das sich vor mir
abspielt betrachte, wünschte ich, es wäre nur eine Momentaufnahme. Ein Video. Etwas, das ich anhalten
könnte, um wieder einzusteigen. Daran Teil zu haben.
Aber, selbst ich, habe begriffen, dass, wenn man einmal am Scheitelpunkt gestanden hat und den falschen
Weg eingeschlagen hat, es kein Zurück mehr gibt.
Weder in die leidvollen Augenblicke am Rande der Existenzlosigkeit, noch in jene, fernen Kindheitserinnerungen.
Ob sie nun schmerzend oder halbwegs schön gewesen sind.
Ich habe die rettende Ausfahrt verpasst. Stehe im Nichts.
Bin dieses Nichts. Habe mich darin verloren. Und ändern kann ich nichts mehr daran.
Sämtliche Chancen sind verspielt worden. Ob nun beabsichtigt, oder eben nicht.
Und wieder lastet die Schuld auf meinen Schultern. Legt sich auf meinen Brustkorb und presst die letzten
Atemzüge erbittert aus mir heraus.
Das Leben tritt nach mir. Wieder und wieder. Ich habe keinen Willen und auch keine Kraft mehr, mich dagegen
zu wehren. Denn, ich weiß, es würde sinnlos bleiben.
Der Schmerz lächelt mir aus dem kalten Spiegel entgegen. Morgens. Mittags. Abends.
So lange, bis ich die Augen schließe. Versuche, den Alltag aus meinen Gedanken zu bannen.
Aber, es bleibt auch nur bei dem Versuch. Denn so viel Kraft habe ich nicht mehr.
Leere die Flasche. Und ich bin müde. Müde von der Welt. Dem Leben. Vielleicht auch bloß müde davon,
dieses Wesen Tag für Tag durchs Leben schleichen zu sehen. Mit dieser schmerzverzerrten, erbärmlichen Miene.
Und jeder Griff zum Messer, zur Flasche, zu Pillen und Zigaretten bringt das Ende ein Stück weit näher.
Und doch, habe ich das Gefühl, diese Welt will mich einfach nicht verstehen. Nicht mehr.
Und ich, ich will sie nicht mehr sehen. Diese Gefühle im Innern nicht mehr aushalten müssen.
Diesen enormen Druck. Dieses jämmerliche Bestreben, einmal glücklich sein zu können.
Es kotzt mich an, jemals so viel Schwäche zugelassen zu haben. Meine Verachtung wächst neben dem Schmerz.
Und ich komme nicht weiter dagegen an. Verabscheue die Welt, dafür, dass sie mich nicht gehen lassen will.
Sich weiterhin an meinem Schmerz und meiner Ausweglosigkeit aufgeilen will.
Verabscheue mich, dass ich diesen Kampf längst verloren habe und das Schlachtfeld dennoch nicht verlassen habe.
Und ich weiß, dies, was ich hier beschreibe, wäre in deinen Augen wohl auch kein Leben mehr.
Du hättest nie so lange ausgehalten. Dich so lange davor gedrückt, dich still aus dem Staub zu machen.
Und wieder, muss ich einsehen, dass ich ein verachtenswerter Feigling bin.
Stecke mir die letzte Kippe an. Die Schachtel ist leer. Genauso wie ich.
Alle Reserven sind ausgeschöpft und die wertlosen Träume, bis aufs Letzte, ausgeschlachtet.
Der Himmel zieht sich langsam zu. Als würde der Mond die Gardine zum Kinderzimmer der Sterne zuziehen.
Um sie vor diesem jämmerlichen Anblick, den das Leben, die Welt und die Menschen bieten, zu schützen.
Ich wünschte, ich hätte auch so jemanden gehabt.
Aber irgendwie, ist es auch längst egal.

Wenn du mich lächelnd in Erinnerung hast, bist du ein Heuchler.
Würdest du um mich auch nur eine Träne weinen, dann hast du nie wirklich gewusst, wer ich war.
Egal.
Ich bin weg.
Mach es besser als ich.


XYZ

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Kommentare zu diesem Text

seelenliebe (52)
(08.08.10)
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 ZornDerFinsternis meinte dazu am 08.08.10:
Es stimmt, ich bewundere immer wieder sehr...wie du die geschriebenen Worte, in etwas Tröstendes und Kraftspendendes umsortieren kannst.
Du bist so herzlich...ich danke dir, meine Liebe :)
SigrunAl-Badri (50)
(08.08.10)
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 ZornDerFinsternis antwortete darauf am 08.08.10:
Entschuldige, es gibt keinen Grund, Angst zu haben.
Wirklich nicht.
Und bitte verzeih, aber ich glaube nicht an "Gott".
Das habe ich vor vielen, vielen Jahren aufgegeben.
Drück dich
SigrunAl-Badri (50) schrieb daraufhin am 08.08.10:
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 ZornDerFinsternis äußerte darauf am 08.08.10:
Der Blödsinn existiert nur irgendwo verschwommen in meinem Kopf und auf Papier.
Entschlussfreudigkeit fehlt schon lange. Also, meine liebe, liebe Sigrun , mach dir bitte keine Sorgen, es gibt keinen Grund :)

 Mondgold (08.08.10)
liebe anni
dein LI ist erfinderisch, man möchte fast sagen raffiniert, zieht den leser erst durch die scheinbare fähigkeit zur selbstreflektion auf seine seite um ihn dann ebenfalls, wie auch das „schleichende wesen mit der flasche“ (protagonistin?) zu bespucken, ihn sowohl als gaffer als auch als mittäter dastehen zu lassen.
schreibstimmen kann man abwählen... hast du schon einmal daran gedacht? "leben" heißt erfahren, doch ist es nicht wesentlich was uns widerfährt, sondern was wir daraus machen... und wie das wort "wesen"tlich schon andeutet, sind wir im JETZT für die weiteren prägungen unseres wesens
verantwortlich...
alles liebe zu DIR
MOndgold

 ZornDerFinsternis ergänzte dazu am 08.08.10:
Ich kann dich einfach nur umarmen, du machst mich jedes Mal mehr sprachloser.
Drück' dich, Liebes.

 Fuchsiberlin (08.08.10)
Liebe Anne,

in Deinem Brief fließt wahnsinnig viel an Schmerzblut, Trauertränen und Wolken der Verzweifelung lassen die Sonnen verschwinden.

Ich wünsche Dir, dass der Tag kommt, an dem Du den ersten Sonnenstrahl mit einem großen Lächeln und einem vor Glück pochenden Herzen einfängst.

Du schreibst sehr ausdrucksstark und sehr gefühlvoll.

Ich schick Dir eine liebe und aufmunternd-Dich stärkende Umarmung.
Passe bitte auf Dich auf, liebe Anni.

Ganz liebe Grüße
Jörg

 ZornDerFinsternis meinte dazu am 08.08.10:
Lieber Jörg, eben das, wünsche ich dir auch von Herzen.
Ich danke dir, dass du immer so liebevoll bist und deine Zeit hier, doch irgendwie, vergeudest.
Ich hoffe, du gibst ebenso auf dich Acht.
Lass dich umarmen, Anni
EliasRafael (50)
(08.08.10)
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 ZornDerFinsternis meinte dazu am 08.08.10:
Stimmt genau. Vielen Dank für deine Zeit und deine Zeilen.
Liebe Grüße und einen schönen Sonntag :)
Anni

 Seelenfresserin (08.08.10)
Irgendwie schön zu wissen das es jemand gibt, der die Gedanken, die bei mir immer in der Schädeldecke kleben und nie beisammen sind, so sortieren und aufschreiben kann wie du. Ich fühle mich in die Zeilen ein und denke: Fuck. So siehts aus, und nicht anders. Aber auch wenn da diese Auswegslosigkeit herrscht. Gehen muss man einen Weg. Ob ins Dunkle oder ins Helle. Keine Ahnung. Aber jeder Weg kann irgendwie mal an einer schönen Ecke halt machen. Und sei es nur die Umarmung von jemandem.

glg jenny

 ZornDerFinsternis meinte dazu am 08.08.10:
Jenny, bei dir geht es mir auch so. Liebe Jenny, danke, dass deine Umarmung und deine Worte mir immer eine sichere Zuflucht und Geborgenheit sind.
Schließe dich in meine Arme.
Anni
Diro (50)
(08.08.10)
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 ZornDerFinsternis meinte dazu am 08.08.10:
Du bist so weise und einfühlsam.
Sicherlich werde ich nicht sauer sein, weil du über Gott und Zuversicht schreibst. Weil du liebevoll und aufmunternd bist.
Es geht weiter. Egal, in welche Richtung.
Schließe dich in meine Arme und danke dir :)
seelenliebe (52) meinte dazu am 09.08.10:
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Manu (56)
(09.08.10)
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 ZornDerFinsternis meinte dazu am 09.08.10:
Manu, Liebes, ich bin mir sicher, wir werden beide eine solche Ausfahrt finden, auch wenn der Weg bis dahin vllt. kein einfacher und schöner sein wird, so wird er dafür umso strahlender sein, wenn er hinter uns liegt.
Drück dich.
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