Zacharias Bretzelburgs wundersame Antenne

Text zum Thema Weihnachten

von  Lala

III.

„Herr Bretzelburg? Das ist ja eine Überraschung, das ist ja …“, Natascha Silberstein, Russlanddeutsche, ganz entfernte Nichte des Quantenmechanikers Wladimir Alexandrowitsch Fock, Spross einer Petersburger Familie, die im selben Prospekt ihr Quartier hatte, wie die Pfandleiherin aus Dostojewskis Roman, bis, ja bis, Väterchen Stalin große Teile ihrer Familie zerschlagen, verstreut und umgebracht hatte, weil ihm die Nase Nataschas Großcousins missfallen hatte, ausgerechnet sie war wegen Zacharias Aufwartung verlegen geworden.

Sie stand unbeholfen im Türrahmen und ihre Wangen glühten rot. Sie war nervös, obwohl sie, als sie im September 1993 am Ostbahnhof Berlin angekommen war, bepackt mit einem großen Koffer, vielen Taschen, großer Hoffnung und noch mehr Angst und ihrer Lebensgeschichte wie einen Roman auf dem eigenen Buckel und obendrein noch tausend andere Geschichten ihrer Familie im Herzen tragend, eigentlich nichts mehr hätte erschüttern dürfen: Dieser Bretzelburg hatte es dennoch geschafft. Nebbich.

„Ich habe ihnen ein paar Kekse gebacken. Die mögen sie doch so gerne und ich hatte gerade nichts anderes zu tun. Wissen Sie mein …„
„Wie reizend. Aber backen Sie diese Kekse nicht immer am vierten Advent?“
„Ja, schon, aber ich habe da gerade ein Problem …“
„Wollen Sie nicht reinkommen? Auf eine Tasse Tee oder einen Kaffee?“
„Ich weiß nicht recht Frau Silberstein. Ich wollte mich nicht aufdrängen …“
„Papperlapapp, Herr Zacharias. Kommen Sie rein.“

Von da an saß Zacharias jeden Abend mindestens zwei Stunden auf Silbersteins Couch und schaute bei ihr seine Lieblingsserien, die er schon wochenlang verpasst hatte. Erst hatte es Natascha Silberstein ganz niedlich gefunden, so einen Bretzelburg auf der Couch sitzen zu haben. Sie schätzte die Kekse und hoffte insgeheim dem Bretzelburgeschen Wesen näherzukommen, denn es war ja nicht so, dass sie nicht ein Auge auf den stattlichen Mann geworfen hätte. Doch je näher sie ihm auch auf der Couch auf die Pelle rückte oder versuchte mit gewagten Dekolletés, ihn von den bunten Bildern abzulenken, umso mehr, umso angespannter schien Zacharias auf die Flimmerkiste zu starren. Frau Silberstein war sauer geworden. So hatte sie sich ein Tete-a-Tete mit Zacharias Bretzelburg nicht vorgestellt.


„Andrej, ich habe schon alles versucht. Er nimmt mich nicht wahr. Meinen Busen habe ich ihm schon direkt unter die Nase geschoben, aber er ist vollkommen unempfindlich gegenüber meinen Reizen!“, so klagte eines Vormittages Frau Silberstein am Telefon. Am anderen Ende hörte ihr Bruder aus Berlin zu, der von seiner älteren Schwester sich schwer genervt fühlte.
„Nadeschda, dann schmeiß ihn raus.“ empfahl Andrej zum wiederholten Male.
„Ach, Andrej, er ist doch so ein netter Mann.“
„Na dann behalte ihn, wenn er soo ein netter Mann ist.“ und auch diesen Ratschlag erwähnte er nicht zum ersten Mal.
„Ja, aber er kann doch nicht nur auf der Couch sitzen und nur Augen für den Fernseher haben?“
„Dann schmeiß ihn raus, Schwester.“
„Das sagst Du so leicht, Andrej. Aber sein Fernseher ist doch kaputt und er hat mir immer geholfen, wenn ich ein Stück Butter oder Milch brauchte.“
„Dann lass ihn schauen.“ murmelte Andrej in die Muschel und es schien als hätte er geistig auf Endlosschleife geschaltet und sich mit der anderen Hirnhälfte wie ein Wal wieder schlafen gelegt.
„Können wir nicht seinen Apparat reparieren?“
„Dann setz ihn vor die Tür, Natascha“,  murmelte Andrej automatisch.
„Andrej!“, rief Natascha zornig und unangenehm laut in den Hörer. „Hörst Du mir überhaupt zu?“
Andrej hatte sich so erschrocken, dass er aufgesprungen und fast die Hacken zusammengeschlagen hätte, aber davon wurde er schmerzhaft abgehalten, weil sein Kopf mit voller Wucht gegen die Kante des Regals gestoßen war, auf dem zahlreiche Familienfotos der weitverzweigten Familie Silberstein standen und die nun alle herunterpurzelten und auf- und auseinanderfielen.

Natascha hörte einen Schrei, das Scheppern von Gläsern oder anderen Dingen und dann hörte sie Andrej schlimme Flüche ausstoßen.
„Andrej, Schatz, was ist passiert?“ und Nataschas Sorge war nicht gespielt und steigerte sich noch, denn nach dem Andrej geflucht hatte, war es seltsam still geworden am anderen Ende der Leitung.
„Andrej?“, fragte zitternd, das Schlimmste erwartend, seine Schwester immer – mit leicht veränderter Betonung – in die Muschel. „Andrej?“
„Alles in Ordnung Schwester.“ hörte sie Andrej endlich sagen und bemerkte erstaunt, dass er sogar euphorisch klang. „Ich habe mir nur den Kopf gestoßen und ich glaube, dass es ein Glück war für uns beide, denn ich habe eine Lösung für Dein Problem gefunden.“

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