Aufgewärmtes

Satire zum Thema Jahreswechsel/ Silvester

von  loslosch

Occidit miseros crambe repetita magistros (Juvenal, ~60 n. Chr. bis ~135 n. Chr.; Saturae). Aufgewärmter Kohl bringt die armen Lehrer um.

Metaphorisch gemeint ist hier das Wälzen von altem Unterrichtsstoff, das in seiner eingeübten Monotonie im Jahreszyklus einem Pädagogen hart zusetzen kann. Die Moderne mit ihrer Nachrichten- und Wissensflut kann diese Fährnisse abmildern, wenn der Magister engagiert genug ist, den neuen Stoff didaktisch aufzubereiten.

Woran Juvenal vor 2.000 Jahren nicht gedacht haben konnte: dass Bundeskanzler Helmut Kohl in seiner Silvesteransprache vom 31. Dezember 1986, auf den Tag genau vor 25 Jahren, alten Kohl aufwärmen würde. Am Schluss seiner Rede an die "lieben Mitbürgerinnen und Mitbürger" wünschte Helle allen ein glückliches und gesundes Jahr 1986. Das jedoch lag bereits in den letzten Zügen.

Des Rätsels Lösung folgte am Neujahrsmorgen in Rundfunk und Fernsehen: Eine untere Mediencharge hatte versehentlich das Programm von neulich eingespielt, Kohls Vorjahrsrede. Kaum einem der Hörer und Zuschauer war der peinliche Patzer während der Ausstrahlung aufgefallen. Dazu hatte schon die Sprachmelodie des pfälzischen Gesamtkunstwerks (Joschka Fischer) beigetragen. Und der versch(r)obene Rückblick aufs abgelaufene Wirtschaftsjahr? Ebenfalls kein Grund zur Irritation. Das übliche Schönzeichnen der Vergangenheit und die Sprechblasen zu den Sorgen und Nöten der lieben Mitbürgerinnen und Mitbürger lullten ein. Die Botschaft sackte in die aufs Feiern getrimmten Hirne wie aufgewärmter Kohl in die Mägen, crambe repetita eben.


Anmerkung von loslosch:

Realsatiren sind die besten.

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Kommentare zu diesem Text


 Lluviagata (31.12.11)
Nur ich hab das damals nicht mitbekommen. Wie denn auch! Nicht mal dieser geschichtsträchtige Patzer erreichte das Tal der Ahnungslosen ...

Rutsch gut rein, Lothar! ♥

 loslosch meinte dazu am 31.12.11:
zu meiner schande: ende 1986 lauschte ich kohls ansprache, merkte als ökonom nix (zb wegen des falschen blicks aufs wirtschaftsjahr), nur eines am schuss fiel mir auf, der falsche jahresbezug: auf ein gutes 1986. da dachte ich: der kerl kann nicht mal richtig ablesen, und die entourage lässts geschehen. meine güte, an die platte mit rille dachte ich gar nicht!

auf ein gutes 2012 mit festem arbeitsmarkt, auch für dich, andrea
lothar

 EkkehartMittelberg (31.12.11)
Es wäre eine Doktorarbeit wert zu untersuchen, in welchem Umfang die täglichen Kommentare in den Massenmedien mit wechselnden Aufhängern crambe repetita sind. Das Vertraute schafft die Illusion von Sicherheit.
Ekki

 loslosch antwortete darauf am 31.12.11:
... und ist es immer noch wert, ekki. bei den weihnachts- und silvesteransprachen sind die kernbotschaften weitgehend austauschbar. seneca machts möglich:  Neujahrsansprache des Bundespräsidenten. viel seichtes geblubber.

ein gesundes neues jahr dir, lieber ekki t.t. lothar

 Didi.Costaire (31.12.11)
Hallo Lothar,
Sprache und ein bestimmter Redefluss können wirklich einlullen. Inhaltlich deutet einiges in der 1986 ausgestrahlten Silvesterrede darauf hin, dass Kohl das Jahr 1985 beschrieben hat. Und trotzdem hat es kaum jemand gemerkt.
Kohl jedenfalls hatte trotzdem noch ein langes Kanzlerleben und wurde zur Gewohnheit. So "schlank" wie 1985 war er dann allerdings nicht mehr.
Ich wünsche dir ein glückliches und gesundes Jahr 2012!
Dirk

 loslosch schrieb daraufhin am 31.12.11:
du hast dir die mühe gemacht, den redetext nachzuverfolgen. du bist ja auch der bessere google-techniker (obwohl ich schon viel kann). wenn ich früher mal einen glückwunsch zum geburtstag einer industriegröße zu schreiben hatte, und zwar für den minister und 1 bis 2 staatssekretäre, kam verhaltene unruhe auf. ob es nicht besser sei, die entwürfe von verschiedenen leuten verfassen zu lassen. so ein unfug! eine leichte fingerübung, die formulierungen zu variieren.

die staatsspitzen ändern im allgemeinen wenig am entwurf, fügen "insbesondere" oder "das ist mir wichtig" ein.

ebenfalls ein gesundes und ideenreiches jahr dir(k) lothar
lieschen.mueller (52)
(31.12.11)
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 loslosch äußerte darauf am 31.12.11:
du dürftest dich an den patzer selbst noch gut erinnern, brigitta. die reaktionen beim publikum wären heute ähnlich. durchs werbefernsehen abgestumpft, wird alles runtergewürgt. gewürgt? nein, tangiert zur peripher. derber: geht am arsch vorbei.

guten rutsch ins neue jahr, lothar
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