Systemfehler

Aphorismus zum Thema Gesellschaftskritik

von  Ephemere

Die Kluft zwischen der Theorie von Markt und Demokratie und ihrer Realität liegt in den Kosten von Information und deren ungleichen Verteilung - es ist der entscheidende Modellfehler in ihren Annahmen.

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Kommentare zu diesem Text

Graeculus (69)
(02.12.13)
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 Ephemere meinte dazu am 02.12.13:
Es geht ja auch nicht darum, das System zu verdammen, sondern es zu verstehen - Un- und Missverständnis seiner Mechanismen sind seine größte Gefahr. Nur wenn wir ein gangbares Modell dafür haben und dementsprechend angemessene Erwartungen, können wir uns darin angemessen verhalten und es weiterentwickeln (oder ersetzen).

 TrekanBelluvitsh (02.12.13)
Zunächst einmal gefällt mir die Tatsache, dass du Kapitalismus und Demokratie zusammennimmst, denn ich glaube, dass es das eine nicht ohne das andere gibt.

Ansonsten denke ich jedoch, dass es genug Möglichkeiten gibt, sich Informationen zu verschaffen, um sich ein Bild zu machen. Dazu ist es nicht nötig, die Verfügungsgewalt über alles Informationen zu haben. Vielmehr ist derjenige, der über diese Informationen verfügt und dem andern vorwirft, dass er das nicht tut, im Zweifelsfall dazu verpflichtet, sie dem anderen zugängig zu machen. Wenn z.B. die NSA behauptet, sie hätte Dank ihrem Ausspähprogramm 50 Anschläge verhindert, so ist es an ihr, diese Aussage - zumindest stichprobenartig - mit Fakten zu unterfüttern. Tut sie das nicht, ist es vollkommen gerechtfertigt, sie der Lüge zu bezichtigen

Und jetzt komme ich noch einmal auf meine erste Aussage im vorangegangenen Absatz zu sprechen
(Ansonsten denke ich jedoch, dass es genug Möglichkeiten gibt, sich Informationen zu verschaffen, um sich ein Bild zu machen. Dazu ist es nicht nötig, die Verfügungsgewalt über alles Informationen zu haben): Hier lautet das Stichwort 'Abstratktionsvermögen'. Natürlich kann ich nicht von jedem wissen, was er denkt und welche Ziele er verfolgt. Doch wenn - auch hier ein Beispiel - der ADAC zu einem Punkt Stellung bezieht, kann ich das anhand dessen, was man über den ADAC wissen kann, bewerten, wie dies einzuordenen ist.

So verteidigt der ADAC immer das, was er für 'die Rechte der Autofahrer' hält, ist eine Autofahrerlobby - mithin auch eine Autoindustrielobby - und verhält sich dementsprechend: Bewahrer des Status Quo. Hier sein nur an die Propagandaarbeit des ADAC an E10 Kraftstoff erinnert und die Horroszenarien, die seine Vertreter an die Wand gemalt haben. Soweit ich weiß, ist kein einziger Motor in die Luft geflogen, was auch erstaunlich gewesen wäre, gab es zum Zeitpunkt der Einführung von E10 ja schon lange E5.

Kurz: Ein guter Gedankenanstoß, weshalb es von mir auch eine Empfehlung gibt, aber auch ein [x]kontrovers.

T.B.

 Ephemere antwortete darauf am 04.12.13:
Treffende Gedanken, doch ich zielte auf etwas Anderes ab: das Marktmodell (und Demokratie ist davon abgeleitet, ist selbst ein Marktmodell der Meinungen) basiert auf einer dialektischen Vorstellung von Verhandlungen: These-Antithese-Synthese (oder mindestens Kompromiss). Das setzt aber voraus, dass Informationen gar nichts oder für alle gleich viel kosten: ohne Informationen ist es nicht möglich, zwischen einer angebotenen These und ihrer ebenfalls angebotenen Antithese zu synthetisieren oder mindestens einen Median zu finden. Sind die subjektiven Beschaffungskosten für diese Information höher als die subjektive Bewertung des möglichen Schadens, wenn man These oder Antithese unverändert kauft, wird man letzere Option wählen. So verkaufen sich Thesen und Antithesen, doch es wird nicht mehr synthetisiert, oft gar nicht einmal mehr ein echter Kompromiss gefunden. Statt der volonté générale oder dem Gleichgewichtspreis stellt sich so mal Hegemonie, mal der kleinste gemeinsame Nenner ein. Das Resultat: Frust mit den Ergebnissen, die so gar nicht den Versprechen des Systems entsprechen. In Folge: Der Verdacht, das Versprechen sei eine Lüge, den Informationen des Systems, im System nicht mehr zu trauen. Das bedeutet: Die subjektiven Beschaffungskosten von Information tendieren gegen unendlich, weil fraglich ist, ob die Information tatsächlich erreichbar ist bzw. wenn sie erreichbar wäre, ob sie tatsächlich relevant wäre. Das wiederum führt zum Zusammenbruch der Zuhandenheit...das System stirbt den Enthropietod.
(Antwort korrigiert am 04.12.2013)
(Antwort korrigiert am 04.12.2013)
(Antwort korrigiert am 04.12.2013)

 TrekanBelluvitsh schrieb daraufhin am 05.12.13:
Ah, so ist das gemeint. Aber trotzdem sehe ich dann den Knackpunkt an einer anderen Stelle.
"(...)These-Antithese-Synthese (oder mindestens Kompromiss)
Dies setzt allerdings voraus, das jeder - d.h. ein Individuum und auch die Gesellschaft - bereit ist, sich mit weniger als der Maximalforderung zufrieden zugeben. Als Beispiel möchte ich hier nur den Denkzettel(sic!) für Sigmar Gabriel erwähnen, der nur mit 85% der Stimmen von seiner Partei bestätigt wurde. Anscheinend erwartet die veröffentlichte Meinung Zahlen, die man sonst nur aus Diktaturen kennt und damit auch die dort üblichen Glaubensbekenntnisse - gerne auch anstatt von These-Antithese-Synthese. Das bedeutet meiner Meinung nach, dass die Kosten hier allein an der Glaubensfähigkeit bemessen werden - eine Übertragung von Marketinggedanken auf den politischen Meinungsbildungsprozess. Ach ja, früher nannte man so etwas 'Propaganda'.

Goebbels Erben wettern heute halt nicht mehr gegen die Juden, sondern gegen den Meinungsaustausch... aber diesen letzten Satz solltest du nicht so ernst nehmen, ich bin halt ein Pessimist...

 Ephemere äußerte darauf am 05.12.13:
Das ist in der Theorie kein Problem - jeder kann seine Maximalforderung vertreten, durch die Dialektik dazwischen wird letztlich aus den Konflikten etwas Mehrheitsfähiges synthetisiert werden (oder sich die anknüpfbarere These durchsetzen). In der Praxis erfordert das aber in der Tat ein Verlieren- und Kompromisse-machen-Können...um beim Wahlbeispiel zu bleiben: Wenn der Wahlverlierer SPD, hinter dem nur ein Viertel der Bevölkerung steht, meint, der doppelt so starken Union, die um ein Haar im Alleingang die Mehrheit vertreten hätte, die Bedingungen zu diktieren und "nur auf Augenhöhe" in eine Koalition zu gehen, erinnert das an Brechts "wenn die Meinung des Volkes nicht passt, sollte man sich ein anderes Volk wählen". Nun wäre auch das noch kein Problem, wären die Informationskosten gleich null (oder mindestens für alle gleich), weil der mündige Bürger dann mit Leichtigkeit die unterschiedlichen Positionen beurteilen und sich positionieren könnte, so dass bei der nächsten Wahl eine "Marktbereinigung" stattfände. Dass sie aber hoch und ungleich verteilt sind, liegt stark an dem, was Du zu Recht "Propaganda" nennst - dem undemokratischen und nicht marktkonformen Sensationalisieren, Skandalisieren, Dramatisieren und der damit vollkommen zugunsten eines "winner takes it all"-Atavismus' verzerrenden Berichterstattung der Medien. Die wiederum geht zurück auf den Markt, an dem diese ums Überleben kämpfen - und an dem sie sich überhaupt nur wegen der Problematik der Kosten von Information etablieren konnten. Hier liegt womöglich der eigentliche inhärente Krisenherd...bei der "vierten Gewalt", die ja auch in Theorie und Verfassung kein klares Statut hat.
(Antwort korrigiert am 05.12.2013)
(Antwort korrigiert am 05.12.2013)

 HarryStraight (02.02.16)
Wunder verlangen nunmal Opfer.
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