Mein Vater, der Philosoph II.

Text zum Thema Philosophie

von  theatralisch

Ich habe das Bedürfnis, (wieder) mehr über meinen Vater zu schreiben. Beispielsweise werde ich erläutern, wie sich seine Beziehung zu mir gestaltete, gar welchen Erziehungsstil er verwendet hat.

So viel vorneweg: Mein Vater war jemand, der aus seiner Ambivalenz keinen Hehl machte. Er versuchte nie, mich in eine bestimmte Richtung zu drängen, obgleich er parallel dazu (für mich) so viel Macht ausstrahlte, dass dies die erste Seite beinahe ausstach. Wie ich das meine: Obwohl mir mein Vater nie gesagt hat, was ich tun muss, war es dennoch so, als würde er, respektive seine Auffassung immerzu mitschwingen.

Mein Vater war ein großer Satiriker. Als ich ihn im Alter von 13 fragte, warum er sich nach dem Tod meiner Mutter nie mehr für andere Frauen interessiert hat, überreichte er mir ohne zu zögern "Die Welt als Wille zur Vorstellung" von Schopenhauer. Er wollte wie sooft, dass ich mir seine "Weisheiten" selbst erschloss. Nach einer Weile und einigen Seiten ging ich erneut zu meinem Vater (überdies bestand er darauf, sich keine halben Sachen, also nichts Unausgereiftes anzuhören) und sagte: "Ich habe den Eindruck, dass du nicht viel von den Frauen hältst. Das hast du mich zuvor nie wissen lassen. War es das, was ich über den Umweg "Schopenhauer" gleichermaßen über dich (selbst) herausfinden sollte?"

Mein Vater zwinkerte mir daraufhin zu: "Nein, das war es nicht. Ich wollte einfach, dass du damit beginnst, Schopenhauer zu lesen. Warum ich keine Freundin habe, weiß ich ehrlich gesagt auch nicht. Wahrscheinlich fehlt mir einfach die Zeit dazu." Und er blickte sich beinahe hilfesuchend in seiner großen Bibliothek um, die den größten Teil unserer Berliner Maisonette-Wohnung ausmachte.

"Wer die Welt in Begriffe fasst, bleibt hinter dem Eigentlichen zurück, nur der Blick auf den Leib bringt die essenzielle menschliche Triebkraft zutage, den Willen. (Schopenhauer)"

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