Mein Vater, der Philosoph X.

Text zum Thema Philosophie

von  theatralisch

Mein Vater ist 1963 geboren. Als ich geboren wurde, befand er sich mitten im Studium und hatte dementsprechend keine Zeit für mich. Meine Mutter ebensowenig. Sobald ich denken konnte, versuchte ich mir das Lesen beizubringen. Es war für mich keine Einbuße, dass meine Eltern sich beinahe ausschließlich um sich selbst kümmerten: Sie mussten einer für sie essentiellen Karriere nachgehen. Das kann ich überaus gut nachempfinden.

Mein Vater hat mir schon des Öfteren gesagt, dass er sich nie eine Familie gewünscht hat. Und ich kann ihn da einerseits verstehen und anderseits muss ich ihm sogar beipflichten. Knausgard meinte ebenso, er wäre beim Anblick seiner Familie nie zu Tränen gerührt, jedoch beim Selbstbildnis Rembrandts, welches dessen Augen alterlos darstellte.

Etwas, das ich in gleicher Weise empfinde. Menschen, die besonderer Intelligenz und dergleichen sind, denken so. Das ist nur vernünftig, sich zuvorderst um sich selbst zu kümmern. Andere Menschen sind nun einmal andere Menschen.

Aus diesem Grund war ich meinem Vater nie böse. Und er blieb dennoch mein Vater. Ich bewegte mich in der einen Hälfte unserer Berliner Maisonette-Wohnung und er sich in der anderen. Zuweilen stellten wir fest, dass wir die selben Seiten in den Büchern mit Eselsohren versehen wollten. Das waren dann die sentimentalsten Momente unserer Vater-Tochter-Beziehung.

Heute ist mein Vater etwas über 50 Jahre alt und seinem Standpunkt noch immer treu geblieben. Das bestärkt mich darin, mich nicht beirren zu lassen. Es gibt nichts Wichtigeres im Leben als Buchpflege. Kinder werden auch ohne unser Zutun groß: Unsereiner, indem wir so schnell wie möglich mit dem Lesen und also mit der Buchpflege beginnen. Und die anderen - bei denen macht es ohnehin nichts, wie sie groß werden. Sie wachsen in die Höh wie Bäume oder beliebiges Gestrüpp.

Am Wochenende besuche ich meinen Vater im schönen Berlin. Er freut sich sehr, mich zu sehen. Ob das nun deshalb ist, weil ich seine Tochter bin, wage ich nach wie vor zu bezweifeln und will ich ehrlich gesagt auch bezweifeln. Ich will um meiner selbst willen gemocht werden und nicht, weil ich jemandes Tochter bin.

Wer anders denkt, sich also von jemand anderem abhängig macht, befindet sich wohl zeit seines Lebens im Gefängnis seiner selbst.

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Kommentare zu diesem Text

Graeculus (69)
(01.12.16)
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 theatralisch meinte dazu am 07.02.17:
Warum als Vater eine Fehlbesetzung?
Kinder müssen kämpfen. Und ich musste es vor allem. Dafür bin ich meinem Vater sehr dankbar. Er hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass Kinder lediglich aus drei (derzeit erdenkbaren) Gründen entstehen: Narzissmus, Versehen und Unwissenheit über 1. und/oder 2.

Wir alle sollten kämpfen, ausnahmslos. Bereits als kleines Kind fand ich Jammerlappen sehr schlimm, welche die Schuld auf alles und jeden schoben, nur immerzu den Moment verpasst hatten, endlich mal bei sich selbst anzufangen: Denn wer jammert, trägt die Schuld. Davon kommen all die Rückenschmerzen. Mein Vater entlockte mir durch seine Authentizität so viel Stärke, die unentbehrlich ist, um sich irgendwann auch eine eigenständige Person nennen zu können. Er sagte mir: "Mache, was du tun willst. Orientiere dich an niemandem außer an dir selbst. Sei still und horche ganz genau in dich hinein. Frage nicht danach, was die anderen tun, denn sie tun es aus zunächst völlig unbestimmten Gründen. Bewerte deine Handlungen, sei streng mit dir!"

Ja, Vater betrachtet mich nicht als Tochter, sondern als Person. Darüber bin ich sehr froh, denn es ist irrsinnig, davon auszugehen, elterliche Liebe müsse bedingungslos sein. Ich muss mich nicht von einer Bindung abhängig machen, denn ich bin die einzige Person, von der ich abhängig bin. Alles andere ist lediglich etwas schmerzhaft.

Wie dem auch sei, mein Kommentar soll jedenfalls nicht vorwurfsvoll klingen. So ist er nämlich gar nicht gedacht. Ich freue mich über jeden Leser.

Ich pointiere lediglich gerne die naheliegenden Gründe für die Zeugung eines Kindes. Die sind so augenscheinlich und nur wenige stehen dazu. Deshalb bin ich derzeit tatsächlich des Öfteren in Versuchung, mein Facebookprofil von allen Eltern oder zumindest solchen, die Unsinniges diesbezüglich konstatieren, zu bereinigen.

So absurd das nun auch für manche Menschen klingen mag, es ist so wahr. Ja, es ist einfach wahr. Deshalb steht es nun hier. Und lesen wird es...der vorherige Kommentator und ggf. der ein oder andere Stalker. :D

Danke für deinen Kommentar!
Sgd. theatralisch
(Antwort korrigiert am 07.02.2017)
Graeculus (69) antwortete darauf am 07.02.17:
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 theatralisch schrieb daraufhin am 07.02.17:
Es hat sich ja ohnehin viel verändert in den letzten Jahrzehnten, als beispielsweise Kinderkriegen de facto ein selbstbestimmter Akt wurde (Pille) und Frauen ohnehin mehr über ihr Leben bestimmen wollen: Gut so!

Insofern sind das Gründe, die lediglich von denen artikuliert werden, die sich eingehend mit derartigen Themen befasst haben. Also noch nicht mal ein Nischenproblem. ;) Problem insofern, als es dann eben nicht einfach nur eine Entscheidung ist (Will ich ein Kind oder nicht?), sondern viel mehr.

Narzisstisch, weil Menschen sich gerne noch einmal produzieren wollen und aus den Erfahrungen schöpfen, wenn sie ihren unerledigten Scheiß auf ihre Nachkommen projizieren.

Ein Versehen, weil sie nicht in sich als menschliches Wesen vertrauen (Ich kann ja ohnehin keine Kinder bekommen.) oder überhaupt gar nicht darüber nachdenken.

Und dann noch die Unwissenheit über 1. und 2.: Unbestimmte Gründe, also nicht der Rede wert.

Darüber hinaus ist Kinderkriegen unglaublich kompliziert. Das wiederum wissen nur solche, die vom Fach sind (Mediziner, Pflegekräfte, Hebammen...).

Alles in allem ein interessantes Thema - für mich vielmehr in der Hinsicht, dass ich mich frage, warum Menschen überhaupt Kinder wollen. Die meisten von ihnen sollten sich zunächst mit sich selbst befassen, denn Erziehung ist wichtig und gelingt nur, wenn ich auch mit mir selbst im Reinen bin. Es sei denn, ich entscheide mich bewusst dafür, Idioten großzuziehen und rege mich dann nicht darüber auf.

Etc. pp.
(Antwort korrigiert am 07.02.2017)
(Antwort korrigiert am 07.02.2017)
Graeculus (69) äußerte darauf am 07.02.17:
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 theatralisch ergänzte dazu am 07.02.17:
Ja, Kategorie drei dann.

Ach, wozu bin ich auf der Welt, wenn ich nie über etwas nachdenke. Das Leben wird davon auch nicht komplizierter, sondern vielmehr im Gegenteil. Ich wünschte, ich würde mir öfter begegnen...
Graeculus (69) meinte dazu am 07.02.17:
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 theatralisch meinte dazu am 07.02.17:
Hätte Kategorie 3 eher "Etwaige Gründe" oder wie du es nanntest "Biologisches Programm" nennen sollen. Eben solche, die es tun. Warum auch immer. Ich finde ehrlich gesagt keine plausiblen Gründe dafür, denn ich arbeite zuvorderst an mir selbst und das ist für meine Begriffe eine Heidenarbeit. ;D

Übrigens schrieb ich unlängst einen Text über einen weiteren Grund, respektive warum es sogar notwendig sein könnte, Kinder zu bekommen: Menschen müssen zu bestimmten Zeiten bestimmte Dinge tun, sonst leiden sie unter Umständen darunter. Beispielsweise im Alter von ca. 30 Jahren eine Familie gründen. Erwiesenermaßen ist es so, dass Serienmörder oftmals zu morden aufhören, wenn sie heiraten und/oder eine Familie gründen. Das ist natürlich das extremste Beispiel und zudem pathologischer Ursache. Es erklärt jedoch, was ich meine und worauf ich hinaus will: Aristoteles ’Goldene Mitte’. Wenn einer also keine Familie gründet im Alter von ca. 30 Jahren, lässt das denjenigen entweder lethargisch werden oder ausbrechen.

Ein Serienmörder unterbricht also sein Morden, indem er wieder oder überhaupt zur Mitte findet. Einer, der nicht mordet, verliert dagegen die Mitte, wenn sein Leben nicht in geordneten Bahnen verläuft und wird lethargisch oder bricht aus.

Jedenfalls scheint es notwendig zu sein, zu reflektieren, was mit dem eigenen Leben anzufangen sei. Ich zum Beispiel schreibe, mir kann nicht viel passieren, außer dass meine ’Schreibutensilien’ dem Feuer anheim fallen - dann kaufe ich eben neue!

Was ich damit konkret sagen will: Menschen sollten ihre Widerstandsfähigkeit entdecken und stärken. Auf diese Weise kann nicht allzu viel passieren. Und dem reflektierenden Rest bliebe allzu oft vieles erspart.

Wo findet der Narzissmus seinen Ursprung? Ich glaube, im 16.? Jahrhundert, als sich Narziss so gerne seinem Spiegelbild widmete. Wobei Narzissmus zum Glück nicht immer Störung sein muss. Menschen, die behaupten, sich selbst zu lieben, sind jedenfalls ziemlich unangenehm. Ich finde es bizarr, zu sagen: "Ich liebe mich (mehr als...)." Denn Liebe ist in meinen Augen immer mit Interaktion verbunden. Darüber schrieb ich in "Mein Vater, der Philosoph XII".
(Antwort korrigiert am 07.02.2017)
(Antwort korrigiert am 07.02.2017)
Graeculus (69) meinte dazu am 07.02.17:
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 theatralisch meinte dazu am 07.02.17:
Ferner ist es natürlich schon auch so, dass gerade einige der Serienmörder ein bürgerliches, gar konservatives Leben führen. Es gibt also auch in dieser Kategorie von Grausamkeit kein Schwarz oder Weiß. Es ist mal so und mal so.

Eine meiner Lieblingssendungen ist Aktenzeichen XY...ungelöst. Ich beschäftige mich überaus häufig mit Täterprofilen. Also kenne ich sowohl die Einen (konservativ) als auch die Anderen (keine Mörder mehr, wenn Familie).

Vieles ist mehr als logisch: Einmal logisch, wenn einer Serienmörder und gleichermaßen unauffällig (konservativ) ist. Und wieder logisch, wenn einer im Falle von Familiengründung mit dem Morden aufhört.

Es gibt viele Serienmörder, viel mehr als wir heute (derzeit) annehmen. Das kommt oft erst viel später raus und vieles wird gar nicht so wirklich in den Medien breitgetreten. Ich weiß es eben, weil ich mich dafür interessiere (für Abgründe und Menschen im Allgemeinen, denn ich strebe an, alles zu verstehen (ungleich akzeptieren)).

Ja, deshalb auch: Narzissmus kann positiv und negativ sein. Viele Menschen hängen jedoch unnötiger- und peinlicherweise dem Spruch "Nur wer sich selbst liebt, kann andere lieben." nach oder schlimmer "Ich liebe mich sogar mehr als die Anderen."

Richtig bzgl. Narziss.
(Antwort korrigiert am 07.02.2017)
Graeculus (69) meinte dazu am 08.02.17:
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 theatralisch meinte dazu am 08.02.17:
Gut jedenfalls ist einer nur, wenn er wirklich guten Willens ist. Und ich unterstelle den Menschen einen gehörigen eigenen Willen. Für mich gibt es kaum eine Entschuldigung oder Rechtfertigung für eine böse Tat, außer die Wahrnehmung ist derart betroffen, dass von Krankheit/Störung gesprochen werden kann. Insofern stimme ich dir zu.
(Antwort korrigiert am 08.02.2017)
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