ich springe nicht

Gedicht zum Thema Krisen

von  claire.delalune

ins müde geboren
ist dieser tag
und jener
und
jener
nun
schon so lange

die augenblicke
schlagen langsam
zu
vergebliches
warten
auf öffnung
der mauer

und wieder ein tag
der mir
graut


Anmerkung von claire.delalune:

© kmv 2018


"Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen." (Psalm 18,30)

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Kommentare zu diesem Text


 princess (24.01.18)
Hallo Claire,

dieses
ich springe nicht
in der Überschrift lässt offen, in welche Richtung LyrI nicht springt.

Zunächst hatte ich das Bild eines Todessprungs vor Augen. Wenn ich aber die Verse auf mich wirken lasse, so erkenne ich viel Passivität. Der Tag ist müde geboren, die Augenblicke schlagen langsam, das Warten ist vergeblich. LyrI scheint in der Bewertung seines Seins als trist festzustecken anstatt sich auf Selbstverantwortung zu besinnen. Da ist dann auch kein Sprung mehr möglich. Auch nicht der über die Mauern und das Grau des Tages hinaus.

Liebe Grüße
princess

 claire.delalune meinte dazu am 26.01.18:
Hallo princess,
danke für deinen Kommentar.

Nein, ein Todessprung ist nicht gemeint, soviel kann ich gleich sagen.
Deine Deutung, dein Empfinden der Worte hat mir viel zum Nachdenken gegeben. Danke dafür.

Liebe Grüße
Kathrin

 idioma (24.01.18)
Man hat mich hier im Forum belehrt, dass man niemals
vom LyrIch auf den Autor schließen darf.
Aber dieser Text ist sooooo dicht und treffend geschrieben,
dass man dahinter doch persönliches Erleben vermutet.

Ich glaube der Titel enthält beide Deutungen :
die erste spontane Deutung
= Suizidgedanken = immerhin verneinend formuliert !

Dann denke ich : WIE schön wäre es doch zu lesen :

ins Müde geboren
ist dieser Tag
und jener
und
jener
nun
°
°
°
ganz unglaublich ausdrucksvoll
- sowohl verbal als auch optisch -
wie minimiert die Tage tröpfeln,
wie eine versiegende Quelle
und tödliche Dürre und Leere rundum......

Ganz wunderbar
wie die letzten drei
wieder ebenso kürzer werdenden Zeilen
wieder zum Thema "Tag" zurückkehren
und die schillernde Mehrdeutigkeit des Wortes "graut".
Die Formulierung ist übernommen von
" mir blüht etwas "
Der Tag könnte/sollte eigentlich BLÜHEN !
aber dem LyrIch blüht ganz Übles.......
der Tag "graut"
= ein grauer trüber regnerischer Morgen
synonym zur depressiven Stimmung des LyrIch
" mir graut ( vor diesem Tag ) "
enthält aber auch das ganze Grauen + die Verzweiflung des lyrI
Der zitierte Psalm gibt schließlich dem Titel die zweite
absolut negative Bedeutung und überführt die Bibel
( = einst Inbegriff von Trost und Hilfe ! )
der nutzlosen Hilflosigkeit. (

DANKE dass Du den Leser aus hoffentlich Deinem aktuellen Foto so fröhlich freundlich anlachst, damit ich glauben kann,
was man mich hier lehrte................
idi

 claire.delalune antwortete darauf am 26.01.18:
Hallo idi,

erst mal ganz herzlichen Dank für deinen langen, ausführlichen Kommentar! Mich beeindruckt, wie genau du dich mit den Zeilen beschäftigt hast und welche Deutungen du für die einzelnen Passagen gefunden hast!

Ja, LyrI ist so eine Sache.
Ich sag mal so: In jedem Text steckt etwas von mir. Einfach, weil die Empfindungen, Erlebnisse, Beobachtetes, Gelesenes (was auch immer mich zu Texten inspiriert) durch mich hindurch gegangen sind, bevor sie zu Worten wurden. Aber ich bin nicht unbedingt mit LyrI identisch, auch wenn es Texte gibt, bei denen das so ist.

Hier fließt vieles ineinander. Und damit möchte ich es für den Hintergrund auch belassen. :)

Da ich immer sehr intuitiv schreibe, freue ich mich besonders über deine Interpretationen, über die sprachlichen Feinheiten, welche du entdeckt hast - tatsächlich habe ich dabei sogar Neues entdeckt, das mir beim Schreiben gar nicht bewusst war. Bei anderem hast du den Nagel sehr genau auf den Kopf getroffen.

Daher nochmals vielen Dank, dass du dich in dieser Weise auf den Text eingelassen hast und mir in deinem Kommentar deine Gedanken dazu mitgeteilt hast. Ich habe mich sehr darüber gefreut!

Liebe Grüße
Kathrin

PS: Noch etwas zur Form (welche auch ganz nach Gefühl so gesetzt ist): Meinst du, wenn ich hinter dem "nun" eine Leerzeile machte und dann erst "schon so lange" schriebe, käme das Tröpfeln, das du beschreibst, besser zur Geltung?

Antwort geändert am 26.01.2018 um 08:38 Uhr

 claire.delalune schrieb daraufhin am 26.01.18:
Und zur Anmerkung möchte ich auch noch etwas schreiben:
Mir ist die Bibel bzw. mein Glaube durchaus Trost und Hoffnung. :)
Es hat etwas mit Vertrauen zu tun, ob das Springen dann gewagt wird und ob es gelingt.
Marjanna (68)
(24.01.18)
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 claire.delalune äußerte darauf am 26.01.18:
Hallo marjolaine,

danke für deine Worte zu dem Text!
Du hast ihn gut interpretiert. Danke dafür.

Liebe Grüße
Kathrin

 idioma (26.01.18)
DANKE liebe Claire für Deine lange Antwort !
Nein nein keinesfalls sollst Du an der optischen Form etwas ändern !!! Diese ° ° ° sollten nur quasi naturalistisch die nonverbale Wirkung veranschaulichen, wie Du den Text angeordnet hast,
welch starke nonverbale Botschaft das hat, diese ausgetrocknete leere Wüste der weißen Schreibfläche rundum.............
DANKE auch für Dein mutiges Bekenntnis zum Buch der Bücher,
denn andernorts profiliert und brüstet man sich geradezu mit gegenteiligen Bekenntnissen..................
idi

 claire.delalune ergänzte dazu am 29.01.18:
Danke, idi,
für die Erklärung. Dann hatte ich das im ersten Kommentar falsch verstanden. Gut, dass ich nachgefragt hatte. :)

Zum Thema "Bekenntnis": Mutig? Für mich ist es einfach wahrhaftig, denn es gehört zu mir. Warum also sollte ich es verstecken? :)

Liebe Grüße
Kathrin
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