Szenen aus meiner Schublade. 1. Szene: Und für dich einen Schwarzwaldbecher

Dialog zum Thema Fremde/ Fremdheit

von  tulpenrot

Kannst du mir sagen, weshalb dieser Unbekannte am Zaun zu meinem Garten steht und raucht? Ich hab ihn auch nur zufällig gesehen, als ich zum Gartenhäuschen ging. Ich konnte nur seine rechte Schulter, seine Hand mit der Zigarette und seinen Hinterkopf (mittelblondes Haar) erkennen. Den Rest verdeckte die Garage. Du vermutest, er war er zu Besuch bei den Nachbarn? Warum versteckt er sich dann? Oder ist er vielleicht der erwachsene Sohn der Nachbarn, der nicht will, dass die Eltern ihn rauchend sehen, sagst du. Aber wenn er doch erwachsen ist, kann er doch machen, was er will, entgegne ich. Du musst keine Angst haben, er ist sicher kein Wüstling, beruhigst du mich. Ich finde es aber trotzdem seltsam.

Schade, dass du nicht hier bist, sage ich. Die Sonne scheint, der Flieder duftet, ein Wind weht durch offene Fenster und Türen, die Tastatur ist voller Blütenstaub. Ich sitze auf der Terrasse.
Im Garten keimen Wicken, Dahlien strecken ihre feinen Blätter aus der Erde, Rosen haben erste Knospen. Jeden Tag zähle ich die kleinen grünen Knoten, die sich am Kirschbaum entwickeln. Es könnten einige Kirschen daraus werden. Offensichtlich habe ich einen Baum, der sich selbst befruchten kann, denn es kamen nur wenige Bienen, um den Baum zu besuchen.

Erinnerst du dich, dass ich dir einmal vom Kirschbaum unseres ehemaligen Nachbarn erzählte? Als wir noch im Schwarzwald wohnten, summte es unaufhörlich in dem mächtigen Kirschbaum auf dem Nachbargrundstück. Freundlicherweise breitete er seine Zweige auch über unseren Garten. „Der Baum singt“, sagte mein Mann immer, wenn er auf einer Dreibeinliege seinen Mittagsschlaf darunter hielt. Im Sommer brachte uns der Nachbar jedes Jahr einen Eimer voll gelber Kirschen, die er selber, trotz seines fortgeschrittenen Alters auf einer langen Leiter stehend, erntete. Wir hatten oft Angst um ihn, dass er stürzen könnte. Aber alles ging gut. Fast drei Jahrzehnte sind seitdem vergangen - mein Mann, der Nachbar und seine Frau sind inzwischen gestorben. Und der Baum alterte vor unseren Augen, verlor Äste und sah zuletzt erbärmlich aus. Niemand kümmerte sich darum. Sein Anblick schmerzte mich.

Vor ein paar Jahren bin ich weggezogen. Mein jetziges Bäumchen trägt rote Kirschen. Es wird klein bleiben, damit ich keine Leiter brauche, um die Kirschen zu pflücken. Du musst dir keine Sorgen machen.

Kannst du dir vorstellen, dass ich mich hier immer noch fremd fühle, nicht willkommen, obwohl ich viele Leute kenne?, sage ich. Wir grüßen uns auf der Straße, wechseln ein paar nichtssagende Worte. Es sieht aus, als sei alles in Ordnung. Und dann geht jeder seines Weges. Ein privater Kontakt wird nicht daraus.
Wie erklärst du dir das? fragst du.
Ich glaube, jeder hat genug am Hals mit Familie, Beruf und Verein, antworte ich. Da hat eine Fremde keinen Platz. Man lässt sie nicht in die Wohnung – das wäre ja vielleicht peinlich oder viel zu privat und es ist anscheinend unüblich, Fremde einzuladen oder gar zu besuchen.

Stell dir vor, was mir eine Mitarbeiterin der örtlichen Kirchengemeinde vor zwei Tagen erzählte. Sie gehört zum Besuchsdienstkreis. Die Mitarbeiter besuchen ältere Menschen ab 75 Jahren und überbringen die Geburtstagsgrüße der Kirchengemeinde. Nun war ein Ehepaar neu zugezogen. Doch keiner aus der Runde der Besuchsdienstleute wollte diese Neubürger in seine Liste aufnehmen. „Die sind neu hier, die kennen wir nicht“, sei die Begründung für die Zurückhaltung gewesen.
Findest du das nicht auch traurig? Wie sollen denn Fremde einheimisch werden, wenn man keinen Kontakt zu ihnen sucht? Es ist ein Armutszeugnis für diese Gemeinde. Ich bin empört. Aber was nützt das?

Was ich heute mache? Ich räume den Geschirrschrank aus - der hat sich über die Jahre ausgebeult. Die vier Einlegebögen liegen nicht mehr sicher auf den Stiften - hab’s vorgestern entdeckt! Welch ein Schreck!! Absehbar, dass sie abstürzen und das Geschirr zusammenschlagen! Der Schreiner war gestern da. Der besorgt dickere Böden, die er so anbringt, dass sie den Schrank wieder zusammenziehen. Ich mag den Schrank, ein Erbstück von meiner Mutter. Die hatte ihn auch schon als Geschirrschrank benutzt. Ich glaube aber, dass er ursprünglich als Wäsche- und Kleiderschrank gedacht war. Wir haben ihn also überlastet. Hoffentlich hält er nach der Reparatur noch so lange, bis ich in 10 Jahren ins Altersheim wandere. Ich kann es nicht glauben, dass ich schon soooo alt bin! und muss mir daher immer wieder solche krassen Sachen sagen.

Ohje. Du bist ja geradezu verzweifelt! sagst du. Komm, mach dir einen warmen Tee. Das tröstet. Also gut, sage ich und gehe in die Küche, um den Tee zu kochen und Mineralwasser zu holen.

Jetzt sitze ich wieder auf der Terrasse mit dem Laptop, neben mir Mineralwasser und die Tasse Tee, und die Tastatur ist wieder voller Blütenstaub. Nachher gibt’s ein einfaches Mittagessen. Kartoffeln mit Quark. Die Spatzen, Amseln und Tauben unterhalten sich, dazu Kinderstimmen in der Ferne ... Ich versuche etwas zu schreiben. Es entsteht aber bisher nichts Erhebendes. Alles viel zu brav, zu bieder, zu erklärend. Solche Texte hab ich massenweise in meiner Rubrik "Unfertiges".

Nebenbei lese ich Thomas Bernhard "In der Höhe. Ein Rettungsversuch. Unsinn". Kennst du das? Das passt irgendwie. Lauter Gedankenfetzen, wahllos(?) aneinander gereiht. Bei keinverlag.de wäre der Text sicher durchgefallen. hihi! Sowas müsste ich doch auch hinkriegen? Kennst du Th. B.?

Teetasse leer... Und jetzt hätte ich gerne ein Eis - z.B. Buttermilch- oder Käsekucheneis und Nuss!   Und für dich einen Schwarzwaldbecher...?

Ist Blütenstaub eigentlich schädlich für die Tastatur?
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April 2018

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Kommentare zu diesem Text


 AZU20 (23.11.18)
Was für ein Leben! LG

 tulpenrot meinte dazu am 23.11.18:
Naja ...
Du hast das hier vergessen...
Liebe Grüße und Danke!
Angelika
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