Roadmovie

Text

von  minze

Wir steigen beide in Karlsruhe ein. Ich habe mich hektisch dazu entschieden. Ein Wunder, dass ich noch jemanden gefunden habe, der mich mitnimmt. Für mich war das eine schrille Warnung, als er den Hörer ins Telefon schlug und meinte, durchzudrehen oder dass es aus sein wird - irgendwas, was ich nicht mehr zusammen bekomme in allen Andeutungen. Kurz konnte ich durchatmen, sah klaren Himmel hinter diesem Dauergewittern, aber dann doch Panik. Ich musste das schnell hinbiegen. Was macht er sonst? Mein persönlicher Rekord, in 40 Minuten durch die ganze Stadt radeln mit einem kleinen Bündel Sachen im Rucksack, bis zu Mann Mobilia, dann den Rotz raushusten, Spucke am Kinn ablecken und verlegener Check, ob noch andere Mitfahrer rumstehen.
Da habe ich dich nicht erkannt. Es stehen ja viele rum.

Keine Ahnung, was der Fahrer meint. Ich rede hauptsächlich mit dir. Du hast also auch eine Fernbeziehung. Auch so ein Volltreffer, denke ich. Was ist wohl dein Problem, dass du keine normale Beziehung führst. Naja. Eigentlich bist du ganz relaxt, weniger abgehetzt als ich. Ich bin froh, erst mal im Auto zu angekommen zu sein. Ausatmen, vielleicht etwas zu deutlich - du grinst mich an. Jetzt kann die Zeit erst mal aussetzen. Eine Nacht Autobahn.

Du hast eine Käppi, irgendwann wirst du sie ablegen, wenn du deinen Kopf an meine Schulter legst. Das fühlt sich später abwechselnd an, als wärst du mein Bruder oder ein warmer Flirt. Wir finden es beide nicht so toll, zu fahren, am Wochenende hätte man tolle Sachen machen können in Karlsruhe, kann man oft, auch wenn man abends am Telefon hängt oder heimgeht, falls er wieder anrufen will. Rufe ich von mir aus an, befürchte ich einen zu sensiblen Moment zu erwischen, den falschen, auch wenn ich egal welcher Reaktion erleichtert bin, seine Stimme zu hören. Es stresst ihn dann. Manchmal schreit er ins Telefon, stellt mich bloß, wenn er sich aufregt, wegen kleiner Details – wenn ich nebenher esse und er das respektlos findet. Irgendwie ist das noch brutaler, als wenn er mich auf den Boden wirft, umdreht, die Tränen runterschluckt und mit mir schläft, ohne mich zu küssen. Zumindest habe ihn ich da bei mir und kann alles besser einordnen oder ich hänge nicht irgendwo, lose in der Leitung.

Du heißt Dennis, ich stelle mich auch vor. Es ist schon fast 20 Uhr, da kommen wir dann richtig in den Flow und reden Blödsinn. Wir kennen in jedem komischen Ort, der ausgeschildert ist bei den Ausfahrtzeichen einen Onkel oder eine Begebenheit und erzählen ausgedachten Schwank. Manchmal lesen wir auch nur seltsame Ortsnamen. Und lachen laut. Zwischendrin so schönes Schweigen. Ich weiß nicht, was mich erwartet, wenn ich einmal da bin, ich sagte, ich fahre, aber er war zornig oder am Ende – was sagte er noch - beweise es mir, und dass ich nicht in der Lage bin, ihn zu retten oder so. Ich will mich verkriechen in seinen Schrank und darin einziehen, bis er gesund ist und der Schmetterling wird, den ich mir erträume. Vielleicht würde er mich dann lieben. Und ich dann gehen können.

Deine Freundin ist Studentin aber du hast einen Beruf im Handwerk. Ich weiß nicht mehr, was. Ich glaube, deine ruhigen Hände machen großartige Sachen. Ich kann das ganz gelassen denken. Ich bin sowieso nur die Psychofreundin von meinem Typ. Kein Gegenüber zärtlicher Anwandlungen. Wahrscheinlich habe ich gar nicht viel gesagt dazu. Sonst hättest du mich sicher nicht so normal und so freundlich behandelt. Eine Geschichte habe ich auch nicht erfunden. Am wahrscheinlichsten ist es, dass wir die Beziehungsgeschichten so umschifft haben und uns irgendwie über Momentaufnahmen ganz platonisch unterhalten haben.

‚Man könnte mal was machen!‘ ist aber auch das einzige was hängen geblieben ist. Ich denke,wir haben uns nach der Fahrt in unsere Kisten zurückgezogen. Wenn ich ganz tief drin war, habe ich aber manchmal an dich denken müssen, dieser normale Kerl in meiner Nähe, der mich lustig findet. Der mich nicht von sich stößt, weil es unangemessen ist, einen lockeren Spruch zu machen.

Als wir in Hamburg aussteigen, gehst du in einen Kiosk und kaufst einen Tequila mit rotem Sombrero und ich stehe kichernd an der Türe und wir lachen darüber, dass man damit jetzt den Abend beschließen müsste. 1 Uhr in der U-Bahn oder so. Wir schauen uns noch an mit roten Gesichtern, doch mir wird unwohl. In mir steigt die Angst, was mich erwartet, wenn ich aussteige. Ich kann dich weniger entspannt ansehen und du schaust auch weg, aber eher versonnen, dich erwartet deine Freundin. Wir haben zwar Kopf an Kopf gepennt, aber ich kann deine Hand jetzt nicht nehmen, auch wenn das vielleicht das einzig Gescheite wäre. Zumindest für mich. Ich weiß nicht einmal, ob ich noch ein Tschüss herausbekomme.

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Kommentare zu diesem Text


 Sternenpferd (23.03.20)
https://www.youtube.com/watch?v=dBN86y30Ufc

fiel mir grade dazu ein :)
gefällt mir, da es authentisch rüberkommt, finde ich

lg m.

 minze meinte dazu am 23.03.20:
ja, das wollte ich ganz gerne, einen direkten und authentischen Text ohne so viele Schnörkel. Danke! entdecke mal noch den Song :)

 Dieter_Rotmund antwortete darauf am 24.03.20:
Willie Nelson war nie in Karlsruhe.

 Sternenpferd schrieb daraufhin am 24.03.20:
ach

 Dieter_Rotmund (24.03.20)
Ich finde es sehr erbärmlich, einen Text komplett zu löschen und wieder neu fast unverändert einzustellen, nur weil einem die Kommentare nicht passen.
Ich frug gestern nur nach lokalen Details zum anfangs genannten Möbelhaus-Parkplatz am Weinweg in Karlsruhe und erzählte kurz von einer eigenen Erfahrung dort. Ist das so unerträglich? Herrje...

 minze äußerte darauf am 24.03.20:
Zu deiner Frage: ja,war ne ganze Zeit ein MFG Treffpunkt.ob es noch so ist,keine Ahnung. Ich hab die P18 Beschränkung rausgenommen und konnte das nicht als Änderung machen,daher neu eingestellt.du kannst kommentieren,was du willst.die Gedanken sind frei.

 Dieter_Rotmund ergänzte dazu am 24.03.20:
Achso, sorry, aber es gibt so Schwachmaten.

Zum Text: Den leichten Lokalkolorit finde ich gut, trauen sich ja viele hier nicht.
Deine Uhrzeitformate könnten etwas besser sein: Wenn Du nicht gerade große Pünktlichkeit ausdrücken willst, dann ist (Bsp.) 10 Uhr besser als 10:00 Uhr.

Ansonsten gerne gelesen.

 minze meinte dazu am 24.03.20:
Gute Idee mit den Uhrzeiten.
Sätzer (77)
(24.03.20)
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 minze meinte dazu am 24.03.20:
Schön..danke dir!!
finnegans.cake (39)
(25.03.20)
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 minze meinte dazu am 25.03.20:
Danke für den Kommentar, für das sensible Feedback, das freut mich sehr, wie deine Lesart dazu ist.
Die Orte spielen keine große Rolle in dem Text, aber ich finde es ganz schön, sie als Start und Endpunkt, als "realen" Rahmen zu setzen und auch, dass der Leser dann seine eigenen Gedanken und Erinnerungen zu den Städten haben kann, da anknüpfen kann. Z.B. du mit den Respektbekundungen ;)
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