Californication

Szene zum Thema Trauer/Traurigkeit

von  Jericho

Einkehren ist schwierig geworden im Spätsommer '21 also sitze ich nicht im obligatorischen Cafe sondern auf einer Bank im Park, neben mir der Cafe to go, selbstverständlich im Einwegbecher und mit Plastiquedeckel. Nicht nur damit falle ich im alternativen Teil einer deutschen Großstadt auf wie ein N-word im Solarium, auch unter Bekleidungsaspekten betrachtet hebe ich mich wohltuend von der Masse der Hoodies, Pants, Sneakers und ähnlichen Absonderheiten ab.
Die Jugend der Welt, obwohl latent adipös ergötzt sich an Sport und Spiel oder zumindest abhängen unter freiem Himmel, so schlecht kanns also alles nicht sein.
In den Lüften kreist der rote Milan, vor mir auf der Wiese ein Joint, dahinter spielen Kinder Fußball in den Trikots orientalischer Fluggesellschaften. Familien flanieren vorbei, andere grillen, keiner trägt eine Kippa.
Alle hier sind so glücklich, so zufrieden, ja fast ein bißchen stolz auf ein Stück Bullerbü, das  außerhalb Westeuropas und kalifornischer Universitäten nur verachtet wird. Der grade ziehende trägt ein T-Hemd der Blacklivesmatters – Kampagne. Tragisch, das nach den BLM-Regeln für käseweiße Mitläufer Leute wie er Leuten wie ihm aus phänotypischen (also rassistischen) Gründen verbieten würden von rassistischen Erfahrungen zu berichten, die sie vielleicht ja tatsächlich gemacht haben, so als schweinefleischfressende, Metal hörende Ungläubige in einer Welt die nach anderen Gesetzen funktioniert, nennen wir sie einfach mal Berufsgrundbildungsjahr Metall oder so ähnlich.
Eine Taube fliegt verschreckt auf, als ein Pass von Messi, der Mbappe erreichen sollte sie fast erwischt. Der Joint wechselt, in der Ferne hört man Polizeisirenen, die sich aber in das großstädtische Idyll einfügen, ja es noch perfekter machen. Es ist alles schön, keine Frage, die Konservativen und Nationalisten, die das in Abrede stellen haben keine Ahnung oder lügen, aber man kann das Knirschen im Gebälk hören, nicht mehr nur erahnen. Weisheit ist, im Sturm zu wissen wo man hingehört.
Mbappe und Messi haben ihr Spiel gegen Ronaldo und Messi2 zur Perfektion gebracht, wie choreographiert passen sie sich den Ball zu, der namenlose Torwart streckt sich vergebens.
Die alten weißen Männer von morgen sind fertig mit der Tüte und die Sonne geht auch langsam unter. Der Kaffee ist alle und ich beschließe, den Park zu verlassen. Auf einem Laternenpfahl wurde Nazipropaganda überklebt, doch als ich den Aufkleber aus blanker Neugier auf eben jene Propaganda vorsichtig mit dem Taschenmesser löse ist gar nichts darunter und das spiegelt den bundesdeutschen Kampf gegen Rechts auf so wunderbare Weise, das ich meinen leeren Becher aus einem pötzlichen Gefühl der Dankbarkeit tatsächlich im Mülleimer entsorge und nicht wie geplant im nächsten Lastenfahrrad.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text


 Pearl (19.10.21)
Wenn man das Leben so sieht, wie es ist, wird man traurig. Aber man kann dagegen anschreiben oder anträumen. Nichts kann lyrischer (oder wie hier epischer) sein, als das harsche Leben.

Dein Text ist mir in Erinnerung geblieben. Er stach heraus, als du ihn hier veröffentlicht hast.

Liebe Grüße

 Jericho meinte dazu am 19.10.21:
Danke. Ja, Trauer ist einer der Antriebe... Glaube, Liebe, Hoffnung aber ebenso große. In diesem Fall war es tatsächlich die Enttäuschung über Menschen denen ich mich früher mal verbunden fühlte. Man schaut ohne Wehmut zurück, aber ein komisches Gefühl bleibt.

Gruß, J
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram