Kutti

Meine Hand hat noch nie in eine fremde Tasche gegriffen, noch nie und das kann ich beschwören, bis heute. Ja, heute habe ich es getan. Und schuld daran war Karl. Karl, der es jahrelang geschafft hat, sich um fast jede Bezahlung mit den Worten „verdammt, ich habe schon wieder meine Geldbörse vergessen“ zu drücken. Es waren ja niemals große Beträge, aber auch Kleinzeug ist eben Mist für den, der es übernehmen muss. Wer sollte es auch sonst tun, war ja nie einer da und Karl hatte solch eine Art zu bitten, dass jede Ablehnung meinerseits wie ein Verbrechen an einem Freund gewirkt hätte. Dennoch, heute war ein Tag an dem ich es langsam satt hatte. Karl verschwand wieder einmal in den Bereich, der so gerne mit einem „ich muss mal eben kurz“ bezeichnet wurde und die Rechnung lag bereits auf dem Tisch der Gaststätte.

Ich wollte es jetzt wissen. In Hoffnung, dass Karls „kurz“ auch heute länger dauerte als versprochen, fasste ich in die Tiefen seines Parka. Aua! Hatte der etwa Nadeln in seiner abgeschabten Kluft? Ich  unterdrückte, so gut es ging, meinen schmerzlichen Laut. Also, nochmal rein und wieder ein Stich. War da nicht grade ein leichtes, heiseres Grunzen? Vorsichtig hob ich die Klappe über der Tasche und … das glaubt mir jetzt wirklich niemand! Überrascht vom Anblick, der sich mir bot, stotterte ich: Wwwwerrr bist du denn? Sieht man das nicht, Frollein, oder haben sie noch nie einen Igel betrachtet? Zwei kleine Knopfaugen grinsten frech in mein erstauntes Gesicht. Hände weg, oder ich steche nochmals! Brav! Rief mir eine etwas krächzende Stimme zu, als ich meine Hand zurück zog. Ich heiße übrigens Kutti, kam es aus dem kleinen, ironisch verzogenen Maul. Schauen sie nicht so, Frollein, sagte Kutti nur und reichte mir seine kleine Pfote. Nun, drücken sie mal, etwas Höflichkeit sollte schon sein!

Was machen sie denn hier, Kutti, so als Igel, fragte ich noch etwas verwirrt? Ist das artgerecht, dieses Leben in einer Parka-Tasche? Ach, artgerecht, wer lebt denn heutzutage noch artgerecht! Ich bin der Null-Checker von Karl und das seit ich denken und Karl geizen kann! Sprach Kutti, drehte sich ein wenig zur Seite und da erblickte ich sie. Diese fortdauernd vergessene Geldbörse, prall gefüllt und lederglänzend, streckte sich mir entgegen. Hätten sie jetzt nicht gedacht, Frollein? Kutti, grinste über beide Igelbacken. Der hat genug und wennse schlau sind, Frollein, dann verduften sie jetzt gleich, denn er kommt bald, das habe ich in den Stacheln!

Ich bin verduftet, aber nicht ohne Kutti zu danken. Frollein, rief Kutti mir noch zu, wennse mal selber nicht zahlen wollen, ich kann ja den Standort wechseln! Nee, nee, Kutti, ich zahle brav für mich, aber der da, der zahlt ab heute selbst! Das Gesicht von Karl hätte ich dennoch gerne gesehen, als er die Rechnung erblickte. Die Rechnung mit: Diesmal zahlst Du selbst und schönen Gruß noch an den Kutti! Bis dann, Regine!