Die Kapelle am Wehr

Gar nicht weit vom Wehr, da steht
die Kapelle, wo die Alten
nur zum Plaudern und zum Trinken

und zur Rückschau auf ihr Leben
sich versammelt haben abends.
Ach, wie traurig sind die Summen,

die aus allem sie da ziehen,
denn dem einen ist die Frau
in ein böses Nichtmehrwissen

und „Wer bist du?“ schnöd entschwunden,
und dem zweiten fraß der Brustkrebs
seine Vielgeliebte weg!

Hat den dritten nicht die Liebste
für ‘nen billigen Hallodri
sich entwertend selbst verlassen?

Kann man leben ohne Frauen?
Das ist ihre Frage, und sie schöpfen
Rotweinbowle in die Becher,

trinken auf die Tote, die Demente
in der alten Renaissance-Kapelle
die der Graf dem dänischen König

einst in inniger Männerfreundschaft
hat aus heimischem Alabaster
aufgerichtet und gewidmet.

Und die Fluten fallen rauschend
übers Wehr und schäumen lauter,
als sie trunken sind und singen …