call response

Erzählung

von  minze

Du fragst mich, woran es liegt, dass seine Hände zittern. Es kann sein, dass du es bereits in Zusammenhänge legst, vielleicht auch, weil ich kurz zuvor die Geschichte mit dem Krankenhaus im letzten Jahr erzähle. Ich lese es als eine Falle und bin überrumpelt. Mein überhastetes Gefühl, wie ich Luft schlucke, atme, ausstoße zur Antwort hin – als würdest du uns auf die Schliche kommen, schon früher, als das wir es aussprechen, sehen, wahrhaben oder so.


Es gibt viele Dinge, die sich darauf sagen lassen. Auch nehme ich zu wenig die Möglichkeit in Anspruch, gar nichts zu sagen, weil es sich nicht erklären lässt. Weil die Tatsache, dass seine Hand zittert, in seiner körperlichen Verfasstheit liegt, ohne, dass man einen Fakt dazu an Land zieht, eine Erklärung einer Krankheit.


Ich gehe aber bewusst Dinge ab, die fehl sein können, ich skizziere seinen Lebensrhythmus, vom Rauchen übers Trinken übers Essen über den Schlaf über alles Körperliche und wie ich's sage, stocke ich, mit dem Abblättern der Gegebenheiten wird er mir, werd ich mir fremd, nur über die Erzählung. Es wird logisch, greifbar, aber es sind nicht mehr wir, es ist gar nicht er.


Wenn du etwas fragst, antworte ich. Ich breche niemals ab, ich werde eine Erklärung finden. Erst später merke ich, dass dieser Automatismus sehr schnell ist. Dass es mein Automatismus ist und nicht beidseitig. Ich schweige im Nachgang und mein Schweigen ist viel geringer als all deine Verschwiegenheit, die ich mit Reden befülle. Wir kennen wir uns sechzehn Jahre, jetzt, als ich es sehe.


Viel wahrscheinlicher scheint mir mein Anlehnen an die Arthritis in seiner Familie. Das ergibt Sinn, ich sage es eher als Seitenbemerkung. Du hörst es, glaube ich, nicht richtig. Es ist erst zwei Wochen her, dass wir Mémé beerdigt haben, sie hatte krumme Zehen, anders hätte sie nicht noch so lange nähen können. Über die schiefen Füße hat er mit mir gesprochen – bei Angélique, der dritten Tochter, seien es die Halswirbel, bei Claire die Zehen wie bei Mémé und seiner Mutter eben die Hände.

Immer wieder schauen wir drauf, sie sagt ein bisschen mit Lachen, auch ein bisschen entsetzt, das Endstadium müsste erreicht sein. Wenn die Schübe kamen, dann hat es geschmerzt. Sie nimmt manchmal Kügelchen, aber eigentlich wartet sie, bis es aufhört.


Mémé muss im Tod so gelegen sein, wie das letzte Mal als wir sie im Spätsommer sahen, wie ein Embryo, und so habe ich sie gestreichelt und ich glaube, alles war dann ab ihrem Rumpf schon sehr wund und im wund sein auch weniger gekrümmt, schon verabschiedend. Dass ich ihre Position so in mir spüre, dieses Bild so zärtlich bleibt, tröstet mich über die Tatsache hinweg, dass wir ihren Leichnam nicht mehr haben sehen können, als wir spät am Beerdigungstag anreisen.


Ich weiß nicht, wieso ich die Erklärung mit den verkrümmten Gliedern heranziehe, ich will mich nicht sachlich damit befassen, ich will es integrieren in meiner Auffassung von seiner Körperlichkeit, wenn ich ihn so verstehe, wenn ich ihn begreife, dann geht er in mich und in mir über, so kann ich ihn beschützen und umrahmen.

Manchmal merke ich, dass er aufbäumt und erschöpft ist, wenn er vergisst zu essen und ein paar Tage getrunken hat, ich glaube, er giert nach Mineralien oder Nahrung, nach Ruhe, es gehen dann Blitze durch ihn, er liegt traumlos oder noch erschöpft da, eigentlich ist ein Part schon tief eingeschlafen; er zuckt noch. Ich mag es, wenn ich diesen unkontrollierten Moment wach spüre, wie etwas, was ich behüte, beachte, auch, wenn er es nicht kann, sondern nur als Nachwirkung passieren lassen muss.




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