Hinter den Schneebergen

Erzählung zum Thema Weltanschauung

von  Regina

In jenem Land hinter den Schneebergen herrschte eine ganz andere Weltanschauung als bei uns. Die Bevölkerung dort hielt es mehrheitlich für außerordentlich wichtig, sich mit einem oder gar dem einzigen Seelenpartner zu verbinden und die gemeinsame Zeit bis zum Tod im Einvernehmen zu verbringen, wenn nicht schon in diesem, so in einem folgenden Erdenleben. Körperliche Merkmale, erotische Anziehung, Intellekt und Lebensziele sollten im Einklang schwingen. Kommunikation, ethische Werthaltung und die Vorstellung von Geburt, Lebensmitte und Sterben hatten zusammenzupassen. Der Mann trachtete danach, sich auf den Pfad der Erlösung zu begeben, mit seiner inständigen Bitte an die Frau, ihn dabei zu unterstützen. Für junge Paare hatten sich Spezialisten als Berater ausbilden lassen, die vor Fehlpartnerschaften warnten und diese nach Möglichkeit zu verhindern suchten. Denn es wurde als großes Unglück angesehen, einen unpassenden Lebensgefährten erwischt zu haben, geradezu als sei dies ein schwerer Unfall oder eine kaum heilbare Krankheit, unzuträglich nicht nur der Gesundheit des Individuums, sondern auch der Gemeinschaft. Deshalb lieferten diese Leute Personen nach einer Trennung in eine Fachklinik ein, bis die Verletzungen disharmonischen Zusammenlebens auskuriert waren. Verkehrte Reaktionen und falsche Rollenbilder durften auf keinen Fall auf die nächste Beziehung übertragen werden. Nach der Genesung galt es, sich mit Geduld zu wappnen und auf den richtigen Partner zu warten, während man die eigene Vervollkommnung vorantrieb. Ein derartiges Single-Dasein wurde als nützlicher anerkannt als eine schlechte, nach außen hin bürgerlich erscheinende Ehe. Diese Menschen behaupteten sogar, dass das Wohl der Gesellschaft, der Zustand der Umwelt, die Bildung, das Sozialverhalten und alle anderen Bereiche des Gemeinwesens von der Liebesfähigkeit zwischen Mann und Frau abhingen. Schichten, die promiskuitiven Sex bevorzugten, galten als minderwertig. Auch Zufallsverbindungen, befristete Liebschaften, One-Night-Stands oder Zweckehen genossen keine hohe Reputation, vor allem dann nicht, wenn sie Aggressivität, kämpferische Wettbewerbsorientierung oder eine arrogante Haltung hervorbrachten, anstelle von Einfühlungsvermögen, Verständnis und Friedfertigkeit. Tief beeindruckt kehrte ich in mein Land zurück, wo man die Solaranlage auf dem Dach, Windparks und Elektrofahrzeuge als Glücksamulette anbietet und von der Unabdingbarkeit überzeugt ist, Planet A, B, C und weitere lückenlos durchdigitalisieren zu müssen, lange bevor die Rückkehr in paradiesische Gefilde bewerkstelligt werden kann.

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Kommentare zu diesem Text


 LotharAtzert (06.12.21, 13:38)
Gut so, gut so! Ähnliches berichten tibetische Lamas von Deva Chen, skt. Sukkhavati, oder das reine Land, wo selbst Worte wie Leid und Verzweiflung unbekannt sind. Dafür kommt aus allem Musik und Inspiration. Sie sagen aber auch, daß es eine Sphäre ist, in der man nur vorübergehend - ein paar Jahrhunderte - verweilen kann, um in entspannter Weise komprimiert zu lernen, wie man in anderen Daseinsbereichen, zB auf der Erde, Verzweifelten Hilfe zukommen lassen kann. Und vor allem - das reine Land steht allen offen, die auch nur einen Funken an selbstloser Barmherzigkeit verspüren.
Nach den tantrischen Lehren gibt es unzählige Bewußtseinsländer und für jedes geeignete Methoden, um diese heiligen Orte zu besuchen.
Daß dazu jemand geimpft werden muß, kann man ausschließen.

Eine kleine Einschränkung möchte ich aber doch anmerken: wir alle müssen Fehler machen dürfen, sonst würden die meisten nichts oder sehr wenig lernen. Insofern ist auch unsere Zeit fürs lernen durchaus geeignet.
Mit viel Freude gelesen

Namaste'
Lothar

 Regina meinte dazu am 06.12.21 um 13:46:
Danke für deinen Kommentar, lieber Lothar, der über den Text hinausweist.

Antwort geändert am 06.12.2021 um 16:53 Uhr

 Moja antwortete darauf am 06.12.21 um 17:27:
Gerne würde ich mal "hinter die Schneeberge" reisen und diese Menschen und ihre Wertvorstellungen, überhaupt ihre Vorstellungen vom Leben kennenlernen. Deine Erzählung eröffnet mir eine neue wohltuende Sichtweise, liebe Regina, ich las sie auch sehr gern. 

Lieben Gruß,
Moja

Antwort geändert am 06.12.2021 um 17:27 Uhr
wa Bash (47) schrieb daraufhin am 06.12.21 um 17:58:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Regina äußerte darauf am 06.12.21 um 18:02:
Dank an euch für die Kommentare. Ja, jeder sieht es anders.

 DanceWith1Life (06.12.21, 18:46)
Wir sind ja, als Mensch, auf der (w)Erde. in vielen Kulturen beheimatet, gern gelesen.

 Regina ergänzte dazu am 06.12.21 um 22:00:
Danke dir.

 AZU20 (06.12.21, 19:36)
Der Text hat mich sehr nachdenklich gemacht. LG

 Regina meinte dazu am 06.12.21 um 22:01:
Wirklich?

 AZU20 meinte dazu am 06.12.21 um 22:27:
Ja! LG

 EkkehartMittelberg (06.12.21, 21:44)
Hallo Gina, Utopien zu schreiben ist notwendig und bedeutet keineswegs weltfremd zu sein.
LG
Ekki

 Regina meinte dazu am 06.12.21 um 22:01:
Danke für deinen Kommentar.
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