Epochenblick

Bild zum Thema Zeitreise

von  Prinky

Ist es schwierig den letzten Kuß zu geben, dachte sie, die alle Mutter nannten, sogar ihr Mann?

Eine kleine, aber beschwerliche Reise ist der Eintritt ins Sterbezimmer der Tochter bestimmt, schoss es ihr durch das Gehirn, und in ihrem Kopf hämmerte eine unbändige Angst.

Die Angst, der Tochter nicht tapfer in die Augen schauen zu können, und ihr somit den Übergang zu erschweren. Nein, ihr letztes Geschenk solle doch bitte Liebe sein! Denn Liebe ist eine schöne Begleitung, wenn das Leben sich aufmacht, den Körper zu verlassen, und somit die Seele antreibt, sich eine neue Heimstatt zu suchen.
Überhaupt sind vierzehn menschliche Erdenjahre  nicht gerade viel, auch wenn man bedenkt, daß die intensiveren Jahre ja erst noch vor ihr lagen.
Ihre Schritte schlurften schrecklich lange über den langen Flur, bevor sie sich aufmachten die einundzwanzig Stufen hoch zu Marias Zimmer zu erklimmen. Mit jeder Stufe schmerzte ihr Herz mehr, und in ihrem Tränensack war alsbald nicht mehr viel Platz. Doch noch platzte nichts!

Oben angekommen, schaute sie in den tiefer gelegenen Flur, an dessem Ende ein Geistlicher stand. Seine Augen anblickend, fast flehend, sprachen jedoch von einer absoluten Endgültigkeit. "NEIN" schoß es ihr durch den Kopf,
"wieso? Das muß doch nicht sein! Ist es ein Traum?
Ja, ein Traum, genau!"
Und alles wirkte so sureal, nichts stimmte, selbst die Farben, das Licht, die atmosphärische Geschlossenheit der Situation...
Ja, und doch nur Gedanken, die aberwitzig und dumm sind. Doch als der Tränensack seine Kraft verlor, verschwammen auch ihre Träume, und die schmerzvolle Wirklichkeit hielt wieder ein.
Da stand sie wieder!

Vor der Türe.

Sie wischte sich ihre Tränen ab, die nun doch schon geflossen waren, und durchschritt die kleine, doch harte Eichentüre.
"Mutter" schien sich in ihr Ohr zu drängeln, und sie erblickte ihr gefasstes Kind auf dem gewöhnlichen Bett. Das Sonnenlicht floss nur ganz wenig in den abgedunkelten und kühlen Raum, weswegen sie sich aufmachte, die Gardinen etwas zurückzuziehen.
"Mutter, schau, wie schön die Sonne lacht! Ach,
so schön..."
Marias Mutter weinte leicht, und meinte eher beiläufig, daß es schon ein recht schöner Maientag sei. Von Wolken keine Spur.
"Mutter, was ist Liebe", entfuhr es Maria, unde ihre Augen schauten wißbegierig in ihre Augen.
"Liebe", sprach sie, "ist das Gefühl, was ich für dich habe, und doch weiß ich das du wohl anderes meinst", fügte sie hintendran. "Liebe ist das bedingungslose Gefühl zu wissen, zu welchem Menschen man gehört. Ein Gefühl, das man eben nur für sehr wenige Menschen hat, mhmmm haben sollte," verbesserte sie sich.
Maria wußte es wohl, und dennoch war sie begierig darauf, es aus ihres Mutters Mund zu hören. Eine Reisebegleitung für eine endlose Reise, denn sie war schon der Meinung, daß ihre baldige Wanderung kein Ende im herkömmlichen Sinne habe, eher wäre es eine ewigwährende Danksagungstour. Oja, sie war schon gläubig. Gläubig genug, um ihren Gedanken auch eigenen Halt zu bieten.
Die Situation entbehrte keinem Klischee. Der jetztige sonnendurchflutet Raum, das todkranke Kind im Bett und natürlich die trauernde Mutter, die schwach und stark zugleich, sich der Verzweiflung entgegensetzte, nur um Stärke zu beweisen. Sich und ihrem Kind.

Und doch nur ein Gedankenflug im Gehirn eines wunderlichen Schreiberlings, der sich in falscher Zeit einer Romantik zugeneigt fühlt, die ihre Wurzeln längst verlor. Eine Zeit, die sich abgemeldet hat, um einer kalten, neuen und sehr fortschrittlichen Epoche Platz zu machen. Doch die Gedanken sind frei, und die Freiheit ist der Rückzug in die Gedankenwelt einer längst vergangenen Wirklichkeit, die sich allenfalls noch in Filmen und Büchern lebendig erhält.

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